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Auslandspraktikum
Zum Löwen füttern nach England

In Sachen duale Ausbildung ist WMF ein Vorbild für viele andere Unternehmen: Der Haushaltswarenhersteller schickt seine Azubis für eine Zeit ins Ausland. Und die verbessern dort nicht nur ihre Sprachkenntnisse.

24.05.2014
    Ein weißer Löwe im Zoo von Rhenen.
    "Wir hatten schon Azubis, die haben Futter für die Löwen eingekauft." (dpa/VidiPhoto)
    Larissa Simon, 22 Jahre alt, Auszubildende als Industrie-Kauffrau bei der WMF AG in Geislingen, einem führenden Hersteller von Essbesteck, Kochtöpfen und Kaffeemaschinen:
    "Ich war fünf Wochen in England. Ich war vier Wochen eingesetzt in einer Art Praxis, Physiotherapie. Da musste ich an der Rezeption dann Anrufe entgegennehmen, Termine vereinbaren, Dokumente aktualisieren und solche Dinge. Und ich habe dort an der Rezeption alles in Englisch gemacht. Da war kein Deutsch oder irgendetwas dabei."
    Christian Brand, 23, Jahre, ebenfalls Auszubildender als Industriekaufmann bei WMF:
    "Ich war auch in England, im Süden, in Tolkey. Ich hatte meine vier Wochen Praktikum bei einem Finanzdienstleister, musste dort unterstützend am Computer arbeiten. Ich habe geholfen, Kundendaten aufzunehmen, Daten abzufragen, per E-Mail, per Computer."
    Dass kaufmännische Auszubildende während ihrer Auslandspraktika Jobs erledigten, die mit der Tätigkeit ihres Unternehmens zuhause gar nichts zu tun haben, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn: Erstens verbessern sie ihre Englischkenntnisse. Das kommt der Arbeit zuhause, nach dem Auslandsaufenthalt, erheblich zugute. Das ist aber längst nicht alles.
    "Dieser Zugewinn als interkultureller Kompetenz – davon profitiert das Unternehmen spätestens dann, wenn die Azubis wieder hier sind und in der Lage, sich leicht auf andere Gegebenheiten und andere Anforderungen einzustellen. Für ein Unternehmen, das fast die Hälfte seines Umsatzes im Export macht, als weltweit agierendes Unternehmen müssen wir uns auf unsere Kunden einstellen. Und wenn das unsere Fachkräfte nicht können, dann haben wir da draußen ein Problem."
    Selbstvertrauen und Sprachkompetenz
    Sagt Ausbildungsleiter Karl Grötzinger, der bereits seit Jahren Auslandspraktika für die Auszubildenden bei WMF organisiert. Fast zwei Drittel davon geht mittlerweile für sechs Wochen zu Unternehmen nach England. Damit steht WMF als Vorbild für viele andere Unternehmen. Der Auslandsaufenthalt ist ein wichtiger Baustein in der Ausbildungsphilosophie bei WMF. Und Grötzinger würde am liebsten alle Auszubildenden für ein paar Wochen im Ausland sehen, denn nach ihrem Aufenthalt haben die jungen Mitarbeiter nicht nur an Sprachkompetenz gewonnen, sondern auch an Selbstbewusstsein, wie beispielsweise Christian Brand:
    "Ich gehe neue Situationen ganz anders an, mit mehr Selbstvertrauen eben. Anfangs war es schwer, ich wart relativ unsicher, man war alleine auf sich gestellt, weil man eben ganz alleine in einer Firma war, wo alle nur Englisch sprechen. Sich trauen, habe ich da mitgenommen, einfach mal die Aufgabe selbstbewusst annehmen."
    Larissa Simon hat dagegen die Unterschiede in der Lebens- und Arbeitskultur zwischen Südengland und der Schwäbischen Alb registriert.
    "Die Engländer sind irgendwie anders als die Deutschen: Sie fangen später an zu arbeiten zum Beispiel oder sind ganz anders im Umgang mit den Leuten. Man lernt: Das ist in jeder Kultur anders. Also, wenn da morgen ein Araber vor einem steht, dann muss man da auch anders sein."
    Viele Länder kennen das duale System nicht
    Das Erlernen dieser interkulturellen Kompetenzen im Ausland sei für die spätere Arbeit ein enormer Zugewinn, zumal die meisten nach ihrer Ausbildung im Unternehmen bleiben. Deshalb schickt WMF nicht nur Kaufleute, sondern auch angehende Industriemechaniker, Mechatroniker und Elektroniker nach England.
    "Wir hatten schon Azubis, die waren dort beim TÜV. Die haben dann Müllfahrzeuge kontrolliert. Die waren zum Beispiel in einem örtlichen Zoo. Die haben Futter für die Löwen eingekauft und sonstige Dinge."
    Wer mal in einer fremden Umgebung Löwenfutter organisieren und Müllfahrzeuge kontrollieren muss, lernt dabei, sich selbst in einer fremden Umgebung optimal zu organisieren – und zu improvisieren. Das kommt dann nach der Rückkehr auch dem Mutterunternehmen zugute. Gerne würde Ausbildungs-Chef Karl Grözinger das Programm auch auf andere Länder ausweiten. Allerdings:
    "Wenn wir uns bewerben, dann tun sich die schwer mit dem Stichwort 'duale Berufsausbildung': In anderen Ländern ist das nicht bekannt. Wie haben lange gesucht in Schweden. Schweden funktioniert prima von Schule zu Schule. Wenn ich aber sage: Ich suche Partner für die duale Berufsausbildung, dann können die mit diesem Begriff nichts anfangen. Und ich bekomme keinen Plätze."
    Doch genau diese Erfahrung ist für Karl Grözinger ein Ansporn, auch in Zukunft so viele Auszubildende wie möglich ins Ausland zu schicken: Denn dies trage zum besseren Verständnis zwischen den Jugendlichen über die europäischen Grenzen hinweg bei.
    "Ich glaube, dass die Grundlagen, die wir hier mit diesem Auslandspraktikum anlegen – diese Grundlagen werden sehr lange anhalten. Und ich denke, so etwas schweißt dann auch Europa zusammen, dass bei den jungen Europäern die Skepsis Europa gegenüber wirklich kleiner wird."