Leutheusser-Schnarrenberger über NPD-Verfahren

"Was dort gedacht wird, verschwindet nicht mit einem Verbot"

Begleitet von Polizisten ziehen am 07.11.2009 Anhänger der rechtsextremen NPD im hessischen Friedberg durch ein Wohngebiet.
Die Hetze der Rechten wird weiter gehen, befürchten viele - auch ohne NPD. © pa/dpa/Roessler
01.03.2016
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt heute erneut über ein NPD-Verbot. Keine gute Idee, glaubt die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Denn das Problem des Rechtsextremismus werde damit nicht verschwinden.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt heute zum zweiten Mal über ein Verbot der rechtsextremen NPD. Ein erster Anlauf im Jahr 2003 war gescheitert, weil wichtige Zeugen aus der Partei gleichzeitig als V-Leute des Verfassungsschutzes fungierten. Doch auch bei dem neuen Verfahren ist die Ausgangslage schwierig, sagt die Bundesjustizminister a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Voraussetzung für ein Parteienverbot sei, dass sich neben verfassungsfeindlichen Zielen auch eine aggressive, agitatorische Aktivität nachweisbar lasse, die der Partei eindeutig zugerechnet werden könne, so Leutheusser-Schnarrenberger im Deutschlandradio Kultur. "Das ist wirklich die Frage, ob das so belegt werden kann, dass am Ende das Verfahren einen Erfolg hat - gerade angesichts der doch schwindenden Gesamtbedeutung dieser NPD."
Neben den juristischen habe sie auch politische Bedenken, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin. "Das war dort gedacht wird, bei den Mitgliedern dieser Partei, das verschwindet nicht mit dem Verbot der Organisation. Und wir sehen jetzt ja, dass diese Ausländerfeindlichkeit, dieser Rassismus auch bei Anhängern von Pegida, bei Anhängern der AfD, bei Anhängern der Partei des Dritten Weges zu finden ist. Jeder, der meint, jetzt hätte man genug getan gegen Extremismus, der wird nicht nur enttäuscht sein, sondern der wird etwas anderes erleben: Es wird weitergehen."
Fatale Folgen befürchtet Leutheusser-Schnarrenberger, sollte auch das zweite Verfahren gegen die NPD scheitern. "Wenn dieser Verbotsantrag scheitern würde, wäre es einmal natürlich eine Argumentationshilfe für die NPD selbst. Aber ich wage mir gar nicht vorzustellen, was es bedeutet auch für die anderen Anhänger dieser Denkrichtung."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Gerade in den vergangenen Tagen und Wochen häufen sich Berichte über das Mittun von NPD-Leuten bei Übergriffen auf Geflüchtete, aber auch auf Aktivisten, auf Linke. In Mecklenburg-Vorpommern wurden in mehreren Orten Bürgerwehren gegründet, und auch dabei mischen NPDler mit. Dass die Partei rassistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch ist, keine Frage, aber ist sie auch verfassungsfeindlich, müsste verboten werden? Aus dem Nordosten aus Mecklenburg-Vorpommern kommt das meiste Beweismaterial für die heute in Karlsruhe beginnenden Verhandlungen zum Verbotsverfahren, angestrengt vom Bundesrat. Beim ersten Versuch war das ja gescheitert, weil Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD von V-Leuten gekommen waren, aber auch jetzt ist nicht jeder vom Erfolg überzeugt, und zu den eher skeptischen Stimmen gehört die einstige Bundesjustizministerin, die liberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Sie haben sich bisher skeptisch geäußert, weil sie fürchten, dass auch der zweite Versuch eines Verbotsverfahrens scheitern könnte. Welche Chancen sehen Sie jetzt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist ein zweites Verfahren, wie Sie sagen, angestrengt vom Bundesrat, und es gehört zu einem Verbot einer Partei, was die absolute Ausnahme in einer Demokratie ist, dazu, dass neben verfassungsfeindlichen Zielen, die diese Partei verfolgt, und das tut die NPD ohne Zweifel, auch wirklich eine aggressive, agitatorische Aktivität dieser Partei nachweisbar sein muss und zwar unmittelbar dieser Partei, dieser NPD zugerechnet werden muss. Also es ist mehr als ein widerliches Programm, was wirklich uns alle abstößt, wenn man liest, und da ist wirklich die Frage, ob das so belegt werden kann, dass am Ende das Verfahren ein Erfolg hat, gerade angesichts der doch eher schwindenden Gesamtbedeutung dieser NPD.

Rechtsextremes Denken nicht nur in der NPD

Billerbeck: Sind Sie da skeptisch nur als Juristin oder auch als Politikerin, was die Notwendigkeit eines NPD-Verbots angeht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Einmal geht es mir natürlich um die verfassungsrechtliche Frage, denn hier geht es um ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht, ein sehr bedeutungsvolles Verfahren, und wenn die NPD dann nicht verboten würde am Ende, dann würde ja ein gegenteiliger Effekt eintreten, dann würden die noch eher damit werben können, aber ich habe natürlich gerade auch politische Bedenken, denn das, was dort gedacht wird bei den Mitgliedern dieser Partei, das verschwindet nicht mit dem Verbot der Organisation.
Wir sehen jetzt ja, dass dieses Denken, diese Ausländerfeindlichkeit, dieser Rassismus eben auch bei Anhängern von Pegida, bei Anhängern AfD, bei Anhängern dieser Partei des Dritten Weges zu finden ist, und jeder, der meint, jetzt hätte man genug getan gegen Extremismus, der wird nicht nur enttäuscht sein, sondern der wird etwas anderes erleben. Es wird weitergehen, und dann wird man sagen, ja, was hat denn dieses Verbotsverfahren überhaupt gebracht. Also es sind für mich auch sehr, sehr viele politische Überlegungen, die mich zum Zweifeln bringen, ob dieser Aufwand für dieses Verfahren jetzt wirklich sinnvoll und angebracht ist.
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigt nach rechts.
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger© dpa / Daniel Naupold
Billerbeck: Das heißt, Sie teilen die Positionen der Bundesregierung, die sich dem Antrag nicht angeschlossen hat, wohl auch, weil man die, in Anführungsstrichen, "absterbende Partei" nicht unnötig stärken wollte. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das ist natürlich für mich nachvollziehbar. Wir waren damals, FDP, damals noch Mitglied in der Koalition und haben lange diskutiert intern, ob dieses Bestreben des Bundesrats, was von einigen Ministerpräsidenten, gerade von Horst Seehofer, besonders aber auch dem Ministerpräsidenten in Mecklenburg-Vorpommern und Herrn Tillich aus Sachsen, betrieben wurde, unterstützt werden soll.
Wenn wir der Überzeugung gewesen wären, das ist der richtige Weg, mit großen Chancen auf Erfolg, dann hätten wir keine Argumente gehabt, zu sagen, wir lassen den Bundesrat allein einen Antrag stellen, denn 2002 war es ja so, dass alle Verfassungsorgane – Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat – den Antrag gestellt hatten, der dann kläglich im Vorverfahren gescheitert war.

Scheitern des Verbotsantrags hätte fatale Folgen

Billerbeck: Nun haben wir das damals erlebt, wie das nicht funktioniert hat. Was würde es denn bedeuten, wenn dieser Verbotsantrag ein zweites Mal in Karlsruhe scheitern würde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn dieser Verbotsantrag scheitern würde, wäre es einmal natürlich eine Argumentationshilfe für die NPD selbst, aber ich wage mir gar nicht vorzustellen, was es bedeutet auch für die anderen Anhänger dieser Denkrichtungen – AfD, Pegida, Dritter Weg, andere Parteien. Es ist ja nicht so, dass die NPD es alleine wäre, die diesen Fremdenhass, diese rassistische Ideologie vertritt.
Die Frage wäre, könnten sie sich dann auf dieses Urteil berufen in ihrer Agitation, wird es da auf mehr Akzeptanz stoßen. Also, das hat schon auch politische Auswirkungen, und ich glaube, man muss eben – und das waren auch die Überlegungen mit damals der Bundesregierung – immer auch bedenken, was folgt in jedem Fall der Entscheidung eines Verbotes oder aber auch der Ablehnung eines Verbotsantrags.
Billerbeck: Was folgt denn nun, wenn die NPD am Ende des Verfahrens tatsächlich verboten wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Dann ist eine Organisation erst mal als Plattform, als Agitationsplattform nicht mehr existent, aber es stehen ja schon viele andere bereit, die man jetzt nicht als Ersatzorganisation gleich mitverboten hätte, was durch so einen Verbotsantrag zunächst mit ausgesprochen würde, weil die schon existent sind.
Das heißt, es gibt nach wie vor diesen Extremismus, dieses Aufstacheln auch zum Rassenhass, verbunden mit Gewalttätigkeit, unabhängig von einer Mitgliedschaft in der NPD. Von daher sehe ich damit nicht eine wegweisende Verbesserung angesichts doch einer eher an Bedeutung verlierenden NPD, die in einem Landtag in Mecklenburg-Vorpommern noch vertreten ist und einen Europaabgeordneten hat. Ich sehe nicht einen – wer hat so schön kürzlich einen Kommentar geschrieben in der "FAZ" – Exorzismus des Rechtsextremismus. Nein, überhaupt nicht.
Billerbeck: Die einstiges Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP vor dem heutigen ersten Verhandlungstag in Karlsruhe in Sachen NPD-Verbot. Ich danke Ihnen!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich, Frau von Billerbeck! Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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