Rosamund Lupton: "Lautlose Nacht"

Gefährliche Fahrt durch die Polarnacht

Bildcombo: Buchcover "Lautlose Nacht" von Rosamund Lupton vor einem Foto des Polarlichts über Alaska
"Lautlose Nacht" von Rosamund Lupton ist ein intelligent gemachter Designerkrimi, urteilt Ulrich Noller. © dtv Verlag / dpa / Hinrich Bäsemann
Von Ulrich Noller · 24.01.2017
Was ist mit Matt geschehen? Um diese Frage kreist der Krimi "Lautlose Nacht". Frau und Tochter wollten ihn eigentlich in Alaska besuchen - und erfahren am Flughafen, dass er bei der Explosion in einem Eskimodorf umgekommen ist. Aber die beiden geben die Hoffnung nicht auf.
Da kann einem gleich doppelt oder dreifach kalt ums Herz werden: Fairbanks, Alaska. Draußen extreme Minusgrade, eine Gegend, die eigentlich nicht für Menschen gemacht ist. Und drinnen, im Flughafengebäude, und so beginnt "Lautlose Nacht", erleben zwei Menschen einen Schockzustand: Yasmin, Astrophysikerin, ist eben mit ihrer Tochter Ruby aus England angekommen, als die Polizei den beiden mitteilt, dass Rubys Vater Matt bei einer Katastrophe weit draußen im Eis, nahe des Polarkreises, ums Leben gekommen ist. Ein Eskimodorf, das 23 Einwohner hatte, ist von einer Explosion verwüstet worden, 24 Leichen wurden gefunden.

Die Sucherinnen werden verfolgt

Es gibt keine Hoffnung, für die Behörden ist die Sache klar. Yasmin und Ruby sehen das anders, sie machen sich auf den Weg, um Matt zu finden. Dieser Weg hat es allerdings in sich – zumal ein immenser Sturm aufzieht, der die Temperaturen noch weiter sinken lassen wird, auf um die 40 Grad unter Null. Selbst die Härtesten der Harten, die Alaska-Trucker, bleiben unter diesen Umständen lieber weg von der Eispiste, die man hier Straße nennt. Mutter und Tochter kapern einen der Lastwagen und fahren los – und sie merken schnell, dass ihnen ist jemand folgt.
So bietet dieser Roman gleich mehrere Spannungsbögen, die einem beim Lesen den Atem gefrieren lassen: Wer ist der Verfolger? Werden die beiden Frauen es an ihr Ziel schaffen? Wie? Was ist mit Matt geschehen? Außerdem wird in Rückblenden auf die Beziehungsgeschichte von Yasmin und Matt peu à peu aufgerollt, warum es für sie bei der Suche gleich in doppelt oder dreifachem Sinne darum geht, ihn nicht zu verlieren. Und dann ist da noch Rubys Handicap: Die Kleine ist taub, aber nicht stumm, sie spricht allerdings nicht, und die Frage ist, ob sie im entscheidenden Moment ihre Stimme benutzen können wird.

Zeitgenössisch konstruierte Unterhaltungsliteratur

Jede Menge Stoff, trotzdem ist "Lautlose Nacht" nicht überladen. Rosamund Lipton versteht ihr Handwerk, ihr Roman hat sprachlich und dramaturgisch genügend Substanz, um all die Themen und Bögen zu tragen. Diese Geschichte ist ein Paradebeispiel für zeitgenössisch konstruierte Unterhaltungsliteratur, ein intelligent gemachter Designerkrimi mit Mehrwert, wenn man so will. Lupton bedient verschiedenste Topoi, die gerade gefragt sind: Die Natur spielt eine große Rolle, Leser allen Alters werden angesprochen, auch dadurch, dass zum Teil die Tochter erzählt. Eine Lovestory steckt drin, Hochbegabung, starke "Frauen" sowieso, hinreichend exotisch ist es auch. Und es geht letztlich um eine sehr politische Angelegenheit, die Gefahren des Frackings nämlich.
Hartgesottenen Genreleser ist dieser Roman allerdings nicht zu empfehlen. Und zwar aus genau den Gründen, die erstmal für ihn sprechen. Für chronische Genre-Nerds ist "Lautlose Nacht" selbst in der finstersten Polarnacht bei frostigster Kälte zu licht und heimelig. Das Böse, das Finstere, der Abgrund, das Unsagbare? Für diese Varianten von Kälte, die zu den Basics des Noir zählen, ist "Lautlose Nacht" trotz Minusgraden und Eissturmböen letztlich zu gemütlich.

Rosamund Lupton: "Lautlose Nacht"
Aus dem Amerikanischen von Christine Blum
dtv Verlagsgesellschaft, München 2016
379 Seiten, 14,90 Euro

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