Letzte Ausgabe "Wetten, dass...?"

"Die Erinnerung zu Grabe tragen"

Thomas Gottschalk winkt in hellem Schutzanzug in die Kamera, flankiert von Olli Dittrich und Frank Elstner, im Hintergrund das Logo von "Wetten, dass...?"
Moderator Thomas Gottschalk (M.) mit seinem Vorgänger Frank Elstner (r.) und Komiker Olli Dittrich beim 20. Geburtstag von "Wetten, dass...?" im März 2001 © dpa / Rolf Haid
Gerd Hallenberger im Gespräch mit Julius Stucke · 13.12.2014
Das Konzept der großen Samstagabend-Show hat sich angesichts der Vielzahl neuer medialer Angebote schon längst überlebt, meint der Unterhaltungsexperte Gerd Hallenberger.
Wenn das ZDF heute zum letzten Mal "Wetten, dass..?" zeigt, wird nur symbolisch nachvollzogen, was längst abgetreten ist, meint der freie Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger. "Die große Samstagabendshow für die ganze Familie kann es im Grunde genommen schon seit 10, 15 Jahren nicht mehr geben", sagte der Unterhaltungsexperte im Deutschlandradio Kultur.
Das Publikum ist "längst in Individuen zerfallen, die sich vor einer unendlichen Menge medialer Lagerfeuer (...) versammelt". Dass die Sendung überhaupt noch so lange funktioniert habe, verdanke sich einem anderen Phänomen:
Viele hätten "Wetten, dass...?" aus Nostalgie weiter angeschaut: "Weil es an eine andere Zeit, eine gemütlichere Zeit, im deutschen Fernsehen erinnert hat. (...) Wenn es nicht mehr das eine Lagerfeuer gibt, vor dem sich alle versammeln: Man erinnert sich doch gerne daran, wie toll es war, als es einmal ein Lagerfeuer gab", erklärte Hallenberger.
Tatort oder Fußball
Was heute zu Grabe getragen werde, sei daher allenfalls die Erinnerung, aber nicht die Sendung, so der freie Medienwissenschaftler und Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Modernere Versuche, die große Samstagabend-Unterhaltung weiterzuführen, hätten gar nicht mehr dem Anspruch, "die gesamte Familie von 3 bis 99" vor dem Fernsehapparat zu versammeln, sondern wesentlich engere Zielgruppen, erklärte Hallenberger mit Blick auf Shows von Moderatoren wie Joko und Klaas oder Stefan Raab.
Auch angesichts der Tatsache, dass 25 Prozent der Bevölkerung gar kein komplett arbeitsfreies Wochenende mehr habe, sei der Samstagabend generell nicht mehr "wie in der Frühzeit der Paradetag für das deutsche Fernsehen". Zum meistgenutzten Fernsehtag habe sich zunehmend der Sonntag entwickelt. Größere Gruppen versammelten sich heute noch am ehesten gemeinsam vor dem Fernsehgerät, "wenn es um den Tatort oder Fußball geht", so der Medienforscher, zu dessen Tätigkeiten auch die Beratung verschiedener Fernsehsender und Fernsehsendungen zählt.
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Das gesamte Interview im Wortlaut:
Julius Stucke: Es gehört – diesen Eindruck habe ich manchmal – mittlerweile zum guten Ton, über diese Fernsehsendung zu lästern! Altbacken, langweilig, eine Beleidigung für Zuschauer und Gäste und Moderatoren zum Fremdschämen! Da hat sich über die Jahrzehnte einiges an Kritik angesammelt. Manches vielleicht auch zu Recht, aber manche derer, die mit Freude über diese Sendung herfallen und sie als peinlich geißeln, die haben auch den einen oder anderen Samstagabend vor dem Fernseher zugebracht. Darauf würde ich wetten! "Wetten, dass ..." gehörte fast 34 Jahre zum deutschen Fernsehen dazu. Gehörte! Heute Abend ist Schluss. Zeit, noch einmal darüber zu reden, bevor es endgültig vorbei ist. Wir tun das hier mit dem Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger, grüße Sie!
Gerd Hallenberger: Schönen guten Morgen!
Stucke: Herr Hallenberger, ich behaupte, fast jeder, der älter als 30 ist, hat wenigstens zu gewissen Zeiten "Wetten, dass ..." geschaut und verbindet damit auch irgendetwas. Egal, wie peinlich Ihnen das jetzt sein mag, geht es Ihnen auch so?
Hallenberger: Natürlich. Also, "Wetten, dass ..." war ja eigentlich der letzte wirklich erfolgreiche Versuch, den klassischen Typ der großen Samstagabend-Show im deutschen Fernsehen einmal mehr zu etablieren. Ein Versuch, der heutzutage eigentlich auch nicht mehr gelingen kann.
Stucke: Warum kann dieser Versuch heutzutage nicht mehr gelingen?
Hallenberger: Wir kennen ja alle diese wunderbare Metapher von der großen Samstagabend-Show als dem medialen Lagerfeuer, um das sich die Horde, sprich: Familie einträchtig versammelt. Und an diesem Bild funktioniert heute natürlich vieles nicht mehr. Die Horde versammelt sich nicht mehr insgesamt vor einem Lagerfeuer, sondern die Horde ist längst in Individuen zerfallen, die sich vor einer unendlichen Menge medialer Lagerfeuer mal einzeln, mal in kleineren Gruppen, ganz selten, wenn es um den "Tatort" oder Fußball geht, auch mal in großen Gruppen wieder sammelt. Aber es ist ganz, ganz schwer geworden, noch einzelne Orte, einzelne mediale Gelegenheiten zu finden, wo das noch so gelingen kann.
Stucke: Aber es gibt ja durchaus welche, die es noch versuchen. Also so ein, das Beispiel, was eigentlich immer hervorgekramt wird, sind Joko und Klaas, die mit verschiedenen Shows ja versuchen, die Leute noch vor die große Show zu bekommen, und Stefan Raab ganz sicherlich auch mit allem, was er im Fernsehen macht. Gelingt e s denen Ihrer Ansicht nach aber auch nicht richtig?
Hallenberger: Beide Namen stehen natürlich auch schon für ein anderes, eigentlich auch ein moderneres Konzept. Moderner in dem Sinne, dass es weder bei Stefan Raab noch bei Joko und Klaas darum geht, wirklich die Familie im Alter von drei bis 99 vor dem Fernsehapparat zu versammeln, sondern wesentlich engere, spitzere Zielgruppen, die da natürlich auch ganz anders, nämlich gezielter mit Angeboten bedient werden können.
Stucke: Also, würde ich dann sagen, bezeichnen Sie als eine Art natürlichen Tod, den diese Sendung heute Abend stirbt. Trotzdem die Frage: Ist es vielleicht mindestens aktive Sterbehilfe gewesen der Macher, des ZDFs, die ja vielleicht ihre Chance als einzige große, familienübergreifende Sendung hätten wahrnehmen können?
Hallenberger: Da muss man, glaube ich, zwei Sachen erst mal auseinanderhalten. Also, man sollte, finde ich, diese letzte Folge "Wetten, dass ..." nun wirklich auch nicht als das Riesenereignis, die große Trauerfeier nun inszenieren. Wenn man sich die Medienentwicklung anguckt, alle Prozesse vollziehen sich eher langsam. Und was heute passiert mit der letzten Folge "Wetten, dass ...", ist eigentlich der symbolische Nachvollzug von etwas, was eigentlich längst eingetreten ist. Die große Samstagabend-Show für die ganze Familie gibt es im Grunde genommen oder kann es im Grunde genommen schon seit zehn, 15 Jahren so richtig nicht mehr geben. Dass "Wetten, dass ..." so lange funktioniert hat, hat eigentlich eher was mit einem anderen Phänomen zu tun, nämlich dem, auch wenn es nicht mehr das eine Lagerfeuer gibt, um das sich alle versammeln: Man erinnert sich doch gerne, wie toll es war, als es einmal ein Lagerfeuer gab. Das heißt, sehr viele haben über die Jahre – da bin ich mir sehr sicher – "Wetten, dass ..." vor allem deswegen geschaut, weil es an eine andere Zeit, auch an eine gemütlichere, eine nettere Fernsehzeit vielleicht erinnert hat. Und was zu Grabe getragen wird, ist heute allenfalls die Erinnerung, aber nicht die Sendung.
Stucke: Also, will sagen: Das Feuer am Ende war auch nicht mehr so ein richtig schönes?
Hallenberger: Nicht so ganz. Zumal, man könnte schon ein wenig auch einige Gedanken zum Thema haben: Hätte es denn genau dieses Ende sein müssen? Ein kleines Beispiel: Die Einstellung mit einem so großen Vorlauf zu verkünden, bedeutete natürlich, Herrn Lanz mit einer schweren Bürde auszustatten, nämlich dem, was in den USA in der Politik so schön Lame-Duck-Status heißt. Jeder weiß, die Ente ist eigentlich schon nahezu bewegungsunfähig, und dann macht es auch nicht mehr so richtig großen Spaß, die letzten Folgen weder zu gestalten noch zu sehen.
Stucke: Das heißt aber auch, man hätte schon noch ein bisschen was dran drehen können? Das ist jetzt kein Ende, was gezwungenermaßen und natürlich kommt?
Hallenberger: Sagen wir mal so, ich könnte mir schon vorstellen, dass man das mittelfristig natürlich unausweichliche Ende der großen Samstagabend-Show, deren letzter großer Vertreter "Wetten, dass ..." nun mal war, noch ein wenig, ein, zwei, drei, vielleicht vier Jahre hätte hinauszögern können. Wahrscheinlich nicht sehr viel länger. Aber im Grunde genommen, es war absehbar, dass es nicht auf ewig diese große Show geben kann, außer denn als Erinnerung an diese Art von großer Show.
Stucke: Und wie ist da die Mutmaßung – oder vielleicht gibt es ja auch was Konkreteres – eines Medienwissenschaftlers, was dann an den Folgesamstagabenden passiert? Wie verteilen sich die Menschen dann? Suchen sie trotzdem ein anderes Lagerfeuer oder zerstreuen sie sich einfach?
Hallenberger: Ich glaube kaum, dass sie ein anderes Lagerfeuer suchen. Ich habe eher den Eindruck, da sind auch am Samstagabend schon eine ganze Reihe von kleineren Lagerfeuern in der Nähe. Außerdem darf man nicht vergessen: Der Samstag ist nicht mehr wie in der Frühzeit des deutschen Fernsehens der Paradetag für das deutsche Fernsehen, inzwischen wird sieben Tage rund um die Uhr gesendet und vor allem, der meist genutzte Fernsehtag ist eigentlich inzwischen der Sonntag. Samstag geht man durchaus auch mal aus, ins Kino, essen gehen oder sonst etwas. Also, es muss vielleicht auch nicht der große Samstag sein. Das ist mehr aus der Zeit, als das ganze Leben sich auf das Wochenende hin ausgerichtet hat, wo auch jeder mehr oder weniger ein freies Wochenende hatte, was heutzutage ja für 25 Prozent der Bevölkerung auch nicht mehr gilt, und wo natürlich auch das Fernsehen alles auf das große Wochenendprogramm hingearbeitet hat. Die heutigen Samstagabend-Highlights, wie gesagt, Sie haben einige Namen ja schon genannt, das kann zum Beispiel etwas sein, das für jüngere Zielgruppen Stefan Raab macht, das kann für andere Zielgruppen etwas sein wie Filme in verschiedenen dritten Programmen der ARD oder auf verschiedenen anderen Kanälen. Das kann auch mal ein komisches Programm sein, was sich auf dem einen oder anderen auch digitalen Spartenkanal der Öffentlich-Rechtlichen verbirgt und so weiter. Also, da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
Stucke: "Wetten, dass ...", die letzte Show gibt es auf jeden Fall heute Abend im ZDF nach fast 34 Jahren. Über dieses Stück Fernsehgeschichte, das zu Ende geht, war das Gerd Hallenberger, Medienwissenschaftler. Herr Hallenberger, danke Ihnen fürs Gespräch!
Hallenberger: Es war mir ein Vergnügen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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