Lettland

Naturschutz im militärischen Sperrbezirk

Wiedehopf (Upupa epops) beim Anflug auf seine Nisthoehle mit Kaefer im Schnabel
Auch der Wiedehopf fühlt sich wohl in der Sperrzone in Adazi. © imago/blickwinkel
Von Tim Krohn · 05.02.2015
Der Fall der Mauer war auch ein Glücksfall für die Natur: Hunderte Kilometer lang zieht sich das baltische Schutzgebiet bis runter zur Kurischen Nehrung. Nur in der militärischen Sperrzone im lettischen Adazi könnte allzu mutigen Wanderern das ein oder andere Sturmgewehr begegnen.
Man erkennt sie schnell an ihren leuchtend roten Kopffedern. Zwischen Baumflechten und Silbergras schnattern und gurren die Birkhühner von Adazi.
Viesturs Keruss liegt flach im Sand, bewaffnet mit Feldstecher, Kamera und Tonbandgerät. Der Ornithologe hat eine Sondergenehmigung in der Tasche. Denn dieser Teil vom "Grünen Band Europa" ist immer noch Sperrzone. Fast so wie früher, als hier die sowjetischen Panzer alles platt walzten, was ihnen in die Quere kam.
"Das Sonderbare an diesem Ort ist ja, dass er eigentlich fast zerstört war und daraus hat sich nun so ein wertvolles Naturschutzgebiet entwickelt. Das ist toll. Auch wenn es absurd klingt: Die größte Gefahr wäre jetzt, dass sich die Armee zurückzieht. Dann würde das alles hier sofort bewachsen und zum Wald werden. Dieses Gelände, das gibt es wirklich nur einmal."
Adazi, erzählt der Vogelkundler aus Riga, sei unter sowjetischen Panzerketten zur Heidelandschaft geworden. Es gibt zwei Seen, ein Sumpfgelände, kleine Wälder und 34 besonders geschützte Vogelarten. Das alles gleich hinter dem Stadtrand von Riga.
Alles wächst, wie es will
Auch Juris Smalinskis kennt hier jeden Strauch und jeden Weg. Er hat für das "Grüne Band Europa" die Karten erstellt. Das Naturschutzgebiet im Baltikum zieht sich hunderte Kilometer lang bis ganz hinunter auf die Kurische Nehrung.
"Hier auf der Karte können Sie es sehen: Die ganze Küste von Kolka bis runter nach Nida in Litauen, das war eine einzige Militärzone. 50 Jahre lang war die streng bewacht, niemand kam da rein. Keiner durfte diese Zone betreten."
Der Fall der Mauer sei auch ein Glücksfall für die Natur gewesen, sagt Smalinskis und zeigt auf seine Karten. Kein Ort, kein Mensch, alles wächst wie es will.
"In Europa finden Sie nur wenige Orte, an denen man dutzende Kilometer an der Küste spazieren kann und dabei kaum auf andere Menschen trifft. Ich habe in diesem Sommer die ganze Westküste von Lettland abgewandert. In fünf Tagen habe ich gerade mal zehn Menschen getroffen."
Zehntausend Hektar Sperrgebiet
Auf seinen Wanderkarten hat Smalinskis alles verzeichnet – fast alles. Denn die Wege in die Armeebasis Adazi sind auch heute noch gesperrt. Zehntausend Hektar groß ist dieses Areal. Ein Großteil davon wird von der lettischen Armee genutzt. Die Dünen- und Heideflächen in Adazi sind so riesig, dass sie auch gerne als Filmkulisse verpachtet werden. Adazi wurde im Kino zum Beispiel schon als chinesische Wüste verkauft. Und tatsächlich: alles hier wirkt irgendwie fremd, versandet. Und liegt doch mitten in Europa.
Der Wiedehopf fühlt sich wohl hier, lässt sich auch die Pilzsammler am Waldrand nicht stören. Viele von ihnen trauen sich weit hinein in das Sperrgebiet.
Zu weit manchmal. Dann stehen sich Pilzkorb und Sturmgewehr direkt gegenüber. Und der Wiedehopf guckt zu.
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