Lesezeichen

Von Uschi Götz und Martin Reischke · 29.09.2009
"Baden-Württemberg hat die besten Bibliotheken" - mit dieser Titelzeile fasste der Deutsche Bibliotheksverband das Ergebnis eines bundesweiten Leistungsvergleichs zusammen. Bibliotheken aus Sachsen-Anhalt dagegen schnitten eher schlecht ab.
Baden-Württemberg

Von Uschi Götz

"So, mit dem Strichcode nach oben, und dann kann man immer fünf drauflegen, man muss nicht jedes Buch einzeln eingeben."

Stapelweise legt eine etwa 30 Jahre alte Frau Bücher auf eine Art Tisch, in Wirklichkeit ist das Gestell mit vier Beinen ein Automat, ein Ausleihautomat. In der Mitte des tischähnlichen Gestells befindet sich eine quadratische Fläche, die Scanfläche. 28 Bücher registriert der Automat nun von der Kundin, das Ganze in weniger als drei Minuten.

"Das ist der Automat, an dem man seine Bücher und Medien verbuchen kann. Da drückt man hier auf 'Ausleihe', liest den Ausweis ein und kann dann die Medien hier drauflegen und dann wird das auf das Konto gebucht. Der erkennt das, da sind Chips drin, das funktioniert mit Funktechnik",

erklärt eine Mitarbeiterin der Bibliothek. Sie zeigt auf der Rückseite eines Buches einen Chip, eine kleiner erhabener Streifen, kaum sichtbar.

Kundin: "Das sieht anonym aus und am Anfang dachte ich erst auch, weiß ich jetzt auch nicht, ob das so prickelnd ist, nur noch mit Automaten zu Gange zu sein, aber es geht unglaublich schnell. Man muss nicht mehr in der Schlange stehen, sondern man geht einfach hin und gibt die Bücher einfach ab und auch das Ausleihen super, aber, es sind ja trotzdem noch alle Mitarbeiter da. Das ist ja nicht so, dass jetzt hier niemand mehr ist und man keine Frage mehr stellen kann, sondern man bekommt immer die Antwort, telefonisch ist auch problemlos möglich."

Die Reutlinger Bibliothek passt sich ihren Kundenwünschen an. Schnell muss alles gehen.

Viel Ruhe strahlt das preisgekrönte Gebäude der Bibliothek aus. Großzügig, knapp 4.500 Quadratmeter stehen, verteilt auf mehrere Etagen, allein den Besuchern zur Verfügung. An diesem Morgen sind kurz nach 10 Uhr mindestens 60 bis 70 Menschen in dem luftigen Haus. Viele lesen Tageszeitungen in einer kaffeeartigen Ecke.

In einer Bibliothek begegnen sich Menschen, die sich sonst nie begegnet wären, das ist an der Gruppe der stillen Leser deutlich sichtbar. Jeder Bereich der Bibliothek ist durch einen höchst individuellen Stil gekennzeichnet. Auch die einladenden und anspruchsvollen Raumkonzepte der einzelnen Ressorts machen die Bücherei einzigartig:

Bibliothekarin: "Wir sitzen hier im Moment im Wintergarten der Musikbibliothek, das sind Abhörplätze in Bussitzform, da sitzen ganz gerne viele Leser und hören sich hier CDs an, über Kopfhörer kann man die hier einspielen mit Blick auf den Heimatmuseumsgarten."

Neben Musik zum Hören stehen in der gleichen Ecke rund 20.000 Noten zur Verfügung. Wer nicht bis daheim warten kann, findet sogar etwas versteckt im großzügigen Haus ein Klavier.

Ein paar Etagen tiefer geht es weit weniger gediegen zu. In der Jugendbibliothek hängen schwarze Kopfhörer von der Decke, drei Mädchen sitzen auf einer poppigen Sitzbank nebeneinander und hören sichtbar extrem rhythmische Musik.

Die Besucher der Reutlinger Stadtbibliothek sind ausnahmslos hoch zufrieden mit dem Angebot und dem Service ihrer Bibliothek.

In Punkte ausgedrückt, kommt Reutlingen bei Büchereibesuchen in Deutschland im vergangenen Jahr pro Einwohner auf 6,4 Punkte zum Vergleich Dresden auf 3,5 Punkte. Platz eins auch beim Ausleihen: Nirgendwo sonst in Deutschland werden pro Einwohner mehr Medien ausgeliehen.

Christa Gmelch, Diplom-Bibliothekarin, leitet seit fast 20 Jahren die Reutlinger Bücherei. Von Anfang an hat sie auf eine enge Kooperation mit den Schulen gesetzt:

"Ich sage immer, wer in Reutlingen seine Schullaufbahn absolvierte, der war mehrmals mit der Schule auch bei uns im Haus - sei es durch Autorenlesungen oder sei es durch Klassenführungen, die je nach Altersstufe mit der Nutzung der Bibliothek vertraut machen. Und auf der Schiene, würde ich sagen, erreichen wir 90 Prozent, vom Kind bis zum Jugendlichen, und die bleiben dann auch und dann muss man auch daran arbeiten."

Verschiedene Kriterien waren beim Bibliothekenranking relevant. Unter anderem Auftragserfüllung, Kundenorientierung, Wirtschaftlichkeit, und Entwicklung. In allen Bereichen schnitt Reutlingen am besten ab. Kein Wunder, die Bibliothek wird wie ein modernes Unternehmen geführt:

"Wir arbeiten sehr teamorientiert und auch dezentral. Das heißt, das Ergebnis ist letztendlich eine Leistung des gesamten Bibliotheksteams. Wir haben hausintern Zielvereinbarungen jährlich. Wir überlegen, wo wir hinwollen, was wir machen wollen. Ja, das sind nicht nur eigene Überlegungen, sondern mit regelmäßigen Besucherbefragungen. Und das andere ist, dass die Reutlinger Bibliothek auch einen modernen Weg beschritten hat. Klar, wir sind Kultureinrichtung, wir sind Informationseinrichtung, wir nennen es unser Arbeitsmodell, eine hybride Bibliothek, also wir haben auf der einen Seite das reale Angebot und auf der anderen Seite die virtuelle Bibliothek, also, was wir die letzten Jahre sehr ausgebaut haben, mit einem Portal, wo sie auch in die Kataloge der regionalen Bibliotheken kommen. Und seit letzten Oktober die "E- Ausleihe", das heißt, sie können sich auch Medien, also man spricht ja jetzt von E-books, die können sie schon seit Oktober letzten Jahres downloaden."

Ob Reutlingen auch künftig sein Niveau halten kann, wird sich in diesem Herbst entscheiden. Wie viele andere Städte und Gemeinde muss auch der städtische Haushaltsplan in Reutlingen neu gerechnet werden:

"Und die Prognosen für das nächste Jahr sind nicht sehr positiv. Das bedeutet, wir haben eigentlich einen Doppelhaushalt, auch schon den für 2010, aber es gibt einen Nachtragshaushalt, was bedeutet, dass die dort eingestellten Zahlen ihre Gültigkeit verloren haben, also wir müssen auch da mit Kürzungen rechnen."

Der baden-württembergische CDU-Staatssekretär Georg Wacker warnt indes vor Kürzungen bei den öffentlichen Bibliotheken.

Mit 28 Millionen Besuchern im vergangenen Jahr sind die Bibliotheken in Baden-Württemberg die meist frequentierten Bildungs- und Kultureinrichtungen im Land. Wacker, der auch Vorsitzender des baden-württembergischen Bibliothekenverbands ist, wies gleichzeitig darauf hin, dass noch jeder fünfte Baden-Württemberger in einer Gemeinde ohne kommunale öffentliche Bibliothek sei.

Nicht so im Landkreis Esslingen. Von Montag bis Freitag ist dort der Bücherbus unterwegs. Schon seit vielen Jahren. Jeweils eine Stunde hält der Bücherbus an zentralen Orten der kleinen Vorstädte von Esslingen. Über 4500 Medien stehen zum Ausleihen bereit, auch eine individuelle Beratung ist im Bus garantiert:

Bibliothekar: "Da finden wir in jedem Fall was."
Frau: "Der braucht nicht immer politische Sachen lesen."
Bibliothekar: "Da regt er sich immer so auf, gell?"
Frau: "Ja natürlich, und ich bin die Leidtragende."
Bibliothekar: "Haben Sie das schon gehabt?"

Bibliothekar Ulrich Koch leitet die Esslinger Fahrbücherei schon seit etlichen Jahren. Seit Mai dieses Jahres steht ihm und seinem Team ein hochmoderner neuer Büchereibus zur Verfügung. Ein Mädchen mit schwarzen Haaren und dunkler Haut kommt herein, sie gibt einen ganzen Stapel Bücher ab. In diesem Fall nimmt der Busfahrer die Bücher entgegen, scannt sie ein und legt sie dann in eine Schütte. Auch im Bus herrscht mittlerweile High–Tech.

Viele ältere Menschen kommen regelmäßig in den Bus, aber auch Kids, vor allem Migrantenkinder. Viele von ihnen nutzen die Schülerhilfen, die es im Bus für alle Klassen zum Ausleihen gibt:

Mädchen: "Von 5 bis 6 Klasse für Englisch, weil ich auch noch in der 5. Klasse Französisch nehme, deshalb muss ich auch noch viel Englisch lernen."

Jetzt müssen neue Bücher her. Leiter Ulrich Koch nimmt sich besonders viel Zeit für die kleinen Kunden. Gemeinsam blättert er mit einem Jungen ein Buch durch und versucht, mit dem Kind das richtige Buch zu finden.

"Und das ist ein Vorteil von unserer Arbeit hier, dass wir auch mitkriegen, wie weit sind die jetzt und kommen die alleine klar. Manche greifen rein und sagen, das nehme ich und manche können sich überhaupt nicht entscheiden. Und denen muss man helfen, das ein bisschen schmackhaft machen."

Manche Kunden, vor allem die jüngeren, würden wohl gerne ein bisschen länger im Bus bleiben. Doch nach einer Stunde geht’s weiter, der Bus muss in die nächste Vorstadt. Die rollende Bücherei hat steigende Zuwächse, doch die Anforderungen steigen im gleichen Maß. Will man jungen Menschen das Lesen nahe bringen, müssen gerade auch öffentliche Einrichtungen noch flexibler werden:

"Was jetzt gerade kommt, ist die Thematik mit den Ganztagesschulen, also die Kernbetreuung und die Ganztagesbetreuung führt dazu, dass unsere Kinder, in der Zeit, in der wir unterwegs sind, oft noch in der Schule sind. Da müssen wir reagieren und das kann man mit so einem Bus auch. Wir können sagen, wir suchen uns eine neue Haltestelle an einer Schule und versuchen dann mit denen zu kooperieren."

Hoffentlich gelingt es. Doch die goldenen, also die finanzstarken Jahre - und davon hängt nicht zuletzt der große Erfolg der baden-württembergischen Bibliotheken ab - sind zu Ende, die Zukunft der öffentlichen Bibliotheken in Baden-Württemberg alles andere als rosig.

Sachsen-Anhalt

Von Martin Reischke

Aus Magdeburg raus über die Ausfallstraße Richtung Süden. Ortsnamen ziehen vorüber. Fermersleben, Salbke, Westerhüsen. Hier schlug bis zur Wende das industrielle Herz der Stadt. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Die Industrie ist zusammengeschrumpft, viele Werkhallen sind verwaist.

Mit der Arbeit verschwand auch das Leben, erzählt ein Anwohner:

"91/92 war das hier noch blühend, war in jedem Geschäft – da haben sie sogar noch neue Geschäfte gebaut – in jedem Geschäft war was drin, jetzt ist nicht mal mehr 'ne Apotheke hier, früher waren zwei Apotheken hier, und die Krämerläden sind alle eingegangen."

Doch mitten in diesem sterbenden Stadtteil, mit zugenagelten Ladenlokalen und zerbrochenen Scheiben, mit baufälligen Häusern und leeren Wohnungen, steht plötzlich ein großer schneeweißer Kasten. Im Eingang sitzt ein Jugendlicher auf einer hellen Holzbank:

"Keine Ahnung, also liegt auch kein Müll rum, wundert mich selber, wenn man sonst so guckt in Salbke, sieht ganz schön mies aus, die Häuser und Straßen, also ist schon ein schöner Ort hier."

Der schöne Ort heißt "Lesezeichen Salbke".

Aber: Was ist das, ein "Lesezeichen"?
Ein Gebäude? – Nein!
Ein Park? – Auch nicht!

Also erstmal die Fakten: Zwei lange Wände, mit weißen Alukacheln verkleidet und im rechten Winkel aneinander gestellt, grenzen den Raum vom Lärm der Straße ab. Von oben betrachtet bilden die Wände ein großes "L". Auf der Innenseite helles Holz, es gibt eine Bühne, eine akkurat geschnittene Rasenfläche, dazu gepflegte Schotterwege und Holzbänke. Und natürlich Bücher, die in Wandregale eingeordnet sind. Türen dagegen gibt es keine.

Was also ist das Lesezeichen?
Vielleicht das: Ein öffentlicher Ort, ein neues Zentrum für einen Stadtteil, der zu zerfallen drohte.

"Das war der Ausgangspunkt für diesen ersten Workshop, wo wir auch gesagt haben: Man muss eigentlich versuchen, hier an einem Ort, wo der Verfall und Leerstand so sichtbar ist und die Leute eigentlich auch immer weiter wegziehen, wieder einen Pol zu schaffen, der eigentlich so eine Gegenbewegung ermöglicht."

Gemeinsam mit den Bürgern von Salbke hat Stadtplanerin Sabine Eling-Saalmann vor vier Jahren eine Woche lang darüber nachgedacht, wie ein neues Stadtteilzentrum aussehen könnte. Schnell war klar, was die Anwohner wollten: Einen ruhigen, grünen Ort zum Sitzen und Lesen, der an die Geschichte des Ortes anknüpft. Schließlich stand hier zu DDR-Zeiten die Stadtteilbibliothek.

Also fing der örtliche Bürgerverein an, Bücher zu sammeln. Und für ein Wochenende wurde der beste Entwurf probehalber aufgebaut – aus Bierkästen.

"Das war so total irre, weil alle kannten diesen Platz als grauenhaften Ort und laut und die LKWs donnern vorbei und plötzlich an diesem Wochenende sah man, wie Leute mit dem Rücken zu den Bierkästen Bücher in der Hand lesend in der Sonne saßen, sich unterhielten, und man hat plötzlich gemerkt, was für 'ne völlig andere Qualität dieser Platz haben kann, wenn man ihn nur ein bisschen verändert."

Aus dem Bierkasten-Modell wurde schließlich ein dauerhaftes Bauwerk – vor allem deshalb, weil der Bund das Projekt mit Fördergeldern für den experimentellen Städtebau unterstützte – und die Stadt Magdeburg das Grundstück von den Eigentümern kaufte.

Die Bauphase war schließlich eine neue Erfahrung für alle Beteiligten: Für die Bürger, die mit ihren eigenen Ideen plötzlich selber zu Stadtplanern wurden. Und für die Architekten, die ihr Vorhaben nicht mehr wie üblich im Alleingang gestalten konnten, erinnert sich Stefan Rettich vom Leipziger Architekturbüro Karo:

"Es ist ein politisches Projekt, weil wir gemerkt haben, dass natürlich das neu ist, dass Bürger auch Forderungen stellen, weil sie natürlich irgendwie auch Aufgaben übernehmen."

Mit dem Ergebnis können die Macher bisher zufrieden sein: Im Juni wurde das Lesezeichen mit einem großen Fest eingeweiht, seitdem kümmert sich der Bürgerverein um den Betrieb: Sorgt bei leeren Regalen für Nachschub oder nimmt Bücher heraus, weil sich zu viele angesammelt haben. Denn das Lesezeichen basiert ausschließlich auf dem Vertrauensprinzip: Ohne Anmeldung und Nutzerausweis kann jeder ein Buch ausleihen, 24 Stunden am Tag.

Ist das die Bibliothek der Zukunft? Peter Petsch mag das nicht glauben:

"Nein, das ist absolut keine Konkurrenz, das ist der Versuch, ein Kommunikationszentrum, einen Treffpunkt im Stadtteil aufzumachen und das ist zu fördern und zu begrüßen, aber es hat mit Bibliothek, in dem Sinne, wie wir es kennen, mit öffentlicher Bibliothek nur begrenzt oder gar nicht zu tun."

Das stimmt: Einen Buchetat für Neuerscheinungen gibt es im Lesezeichen Salbke genauso wenig wie Bibliothekare, die sich um die Katalogisierung der Werke kümmern.

Aber auch der Leiter der Magdeburger Stadtbibliothek weiß, dass es um die Bibliotheken vor allem im ländlichen Raum von Sachsen-Anhalt nicht gut bestellt ist. Fast jede dritte wurde in den vergangenen zehn Jahren geschlossen – schließlich ist Kultur keine kommunale Pflichtaufgabe, und von den damals über 130 öffentlichen Büchereien sind nicht einmal 90 übrig geblieben.

Um wenigstens den vorhandenen Bestand zu sichern, hat der Deutsche Bibliotheken-Verband in Sachsen-Anhalt ein Bibliothekengesetz vorgeschlagen, das derzeit im Landtag diskutiert wird. Das soll die Existenz von Bibliotheken festschreiben, ohne sie jedoch zur Pflichtaufgabe der Kommunen zu machen. Im Ausland ist man da schon weiter.

"Es ist in anderen europäischen Ländern innerhalb der EU, zumindest in zwei Dritteln aller Länder so der Fall, die haben so ein Pflichtgesetz, in dem auch festgeschrieben ist, dass tatsächlich bestimmte Standards eingehalten werden müssen, da geht es um Geld, da geht es um Größen, da geht es um andere Faktoren, die sozusagen mit genuin zu einer Bibliothek heutzutage dazugehören und die als Teil der Bildungslandschaft, aber auch Teil der Demokratie verstanden werden, Demokratie heißt ja dann auch ein Stück weit Informationszugang, Informationsmöglichkeit, Meinungsbildung, Chance zur Meinungsbildung, all das kann man nicht an Geld binden."

Die Macher des Lesezeichens sehen das ganz ähnlich. Selbst wenn die Freiluftbücherei in Salbke keine herkömmliche Bibliothek ersetzen kann, so geht es auch hier um eine Idee, die radikal demokratisch ist, sagt Architekt Stefan Rettich:

"Es gibt in der Nutzung keine Einschränkungen, das ist auch das große Experiment, also es ist schon 'ne Form von einer radikalen Demokratie, das kann man schon so sagen, auch bei dem Projekt sieht man es ganz deutlich, die Gesellschaft ist keine unveränderliche Skulptur, sondern jeder kann daran mitarbeiten, er kann sie zum Positiven wenden, er kann sie aber auch zerstören."

Dass Vandalismus eine Gefahr für das Projekt sein kann, haben die Architekten und der Bürgerverein schnell lernen müssen. Kaum stand das Betonfundament des Lesezeichens, war es auch schon mit Graffiti besprayt. Also machten sie aus der Not eine Tugend und holten die Sprayer mit ins Boot – heute ist der ganze Sockel mit den "Tags" einheimischer Künstler verziert.

Jetzt müssen nur noch die Bürger lernen, die neuen Freiheiten auch zu nutzen – nicht nur zum Lesen, sondern auch für Konzerte oder Nachbarschaftsfeiern. Und auch in der Stadtverwaltung weiß man noch nicht so recht, wie man mit dem Lesezeichen umgehen soll.

"Es ist keine Sozialeinrichtung, also keine Kindertagesstätte, kein Jugendclub, das man das eindeutig dem Sozialamt zuordnen könnte, es ist aber auch keine Bildungseinrichtung, dass man sagen könnte, der Bereich Schule / Bildung / Sport würde das übernehmen. Es ist aber auch keine Tiefbaumaßnahme, dass man sagen könnte, es wird dem Tiefbauamt zugeordnet."

Natürlich geht es ums Geld. Heinz-Joachim Olbricht, der Leiter des Stadtplanungsamtes, zuckt mit den Schultern. Weil niemand die rund 5000 Euro übernehmen wollte, die jedes Jahr als Betriebskosten anfallen, ist sein Amt vorerst eingesprungen. Langfristig allerdings gibt es für die finanzielle Absicherung noch keine Lösung. Rainer Mann vom Bürgerverein findet das Verhalten der Stadt etwas befremdlich:

"Dass hier ein Lesezeichen steht, das europaweit einmalig ist, das nimmt man aber in dieser Stadt leider nicht wahr, nimmt man in Leipzig war, das nimmt man in Frankfurt wahr, das nimmt man überall wahr, aber in Magdeburg scheint das noch nicht so richtig angekommen zu sein."

Doch Rainer Mann ist kein ungeduldiger Mensch. Also wird er einfach vertrauen auf die Kraft einer Idee, deren Zeit schon längst gekommen ist.