Lernfähige Memristoren

Von Michael Engel · 04.04.2012
In der Science-Fiction gehört die künstliche Intelligenz zum Repertoire. Was da munter in der Zukunft spielt, könnte bald in unserer Gegenwart eine Rolle spielen. Mit sogenannten Memristoren sehen Forscher den Anfang möglicherweise bereits gemacht.
Kein Organ ist so rätselhaft wie das Gehirn. Man kennt zwar den Bauplan, die Nervenzellen, Fasern und Synapsen, doch wie in diesem neurologischen Geflecht geordnete Gedanken entstehen, wie und wo sie gespeichert werden, das kann bis heute kein Mensch beantworten.

Für den Mathematiker Andreas Dress, emeritierter Professor der Uni Bielefeld, hat das Gehirn viel Ähnlichkeit mit einem Orchester – nur ohne Dirigent:

"Wir müssen verstehen, wie aus der Wechselwirkung vieler Zellen, die in einem Netz miteinander verschaltet sind, wie aus diesem Konzert vieler Zellen, wie zunächst einmal alle ihre eigene Stimme spielen, und das klingt, wie wenn man im Konzert sitzt, und die Musiker stimmen noch ihre Instrumente und keiner hört dem anderen zu. Und das Erstaunliche ist, dass sich daraus eben sehr häufig ein Klangmuster ergibt. Und das scheint uns ein Paradigma auch sein zu können für die Art und Weise, wie durch Wechselwirkung mentale Aktivität entstehen kann. Geordnete, mentale Aktivität."

Im Gegensatz zu den Gehirnzellen, die keinen Dirigenten brauchen, muss einem Computer immer gesagt werden, was er tun soll. Insofern unterscheiden sich Gehirn und Computer erheblich, denn Nervenzellen brauchen das alles nicht. Bei den sogenannten Memristoren, mit denen Dr. Andy Thomas an der Universität Bielefeld arbeitet, liegen die Verhältnisse aber durchaus ähnlich:
"Das Gehirn hat eine ganz bestimmte Art und Weise, wie es sich erinnert: indem sich die Übertragungsstärke zwischen verschiedenen Nervenzellen verstärkt oder abschwächt. Wenn ich irgendeine Leitung besonders oft benutze, dann wird die Verbindung immer besser. Und das Schöne ist jetzt bei dem 'Memristor', dass der das Gleiche machen kann. Wenn ich eine Verbindung habe, die besonders stark ist, dann fließt dort besonders viel Strom, und das Ganze hat dann sehr viele Gemeinsamkeiten mit einem Gehirn."

Der Begriff "Memristor" ist eine Verbindung aus "memory", dem Gedächtnis, und "resistor", dem elektrischen Widerstand. Technisch gesehen handelt es sich um eine metallische Leiterbahn, die elektrischen Strom durchlässt - unterbrochen allerdings von einer hauchdünnen Schicht aus Magnesiumoxid. Fließt viel Strom hindurch, nimmt der Widerstand ab, das Material leitet nun besser. Bei wenig Strom verhält es sich umgekehrt. Ein ganzes Netzwerk aus solchen Memristoren, so die Überlegung, käme einem künstlichen Gehirn schon recht nahe. Man müsste ihm die Aufgaben dann aber erklären, weil ein Programm fehlt. Beispiel Staubsauger.

"'"Sie kennen vielleicht diese Staubsauger-Roboter, die durch die Wohnung fahren. Das kann ich auch durch herkömmliche Programmierung ganz leicht abbilden. Und trotzdem wollen wir jetzt versuchen, ein neuronales Netz aus Memristoren zu bauen und den Roboter zu bestrafen, wenn er vor die Wand fährt. Das ist ein Verhalten, das er nicht weiter reproduzieren soll, und zu belohnen, wenn er einfach so weiter durch die Gegend fährt. Und wenn man ihn nur lange genug in Ruhe lässt, dann soll er ganz ohne anfängliche Programmierung nur mit diesen beiden Regeln selbstständig zu einem Verhalten kommen, bei dem man nirgends wo mehr vorfährt.""

Dank seiner Memristoren, die das alles quasi "von klein auf" lernen - vergleichbar mit Neugeborenen, deren Nervenzellen im Gehirn auch noch nichts von der Welt wissen, in die sie hineinwachsen.

Sind Memristoren die Keimzelle für die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz, letztlich sogar die Keimzelle künstlicher Menschen, die sich eines Tages freuen können, fühlen und leiden wie wir?

"Ich würde da auf jeden Fall Angst bekommen, weil das ja etwas ist, was so weit von dem entfernt ist, was wir im Moment haben, dass mir eigentlich schon die Vorstellungskraft fehlt, wie das denn genau wäre."

Leiterbahnen auf Siliziumchips, dazwischen ein bisschen Magnesiumoxid: Es fällt schwer, sich hier quasi die Wiege der künstlichen Intelligenz vorzustellen. Der Weg dorthin indes ist vorgezeichnet. Forscher in den USA, besonders in Japan arbeiten an dieser Vision, die in Deutschland durchaus kritisch beäugt wird. Nicht nur in Bielefeld.

Prof. Hans-Werner Bothe, Experte für neuronale Prothesen der Uni Münster, würde sich eine breitere öffentliche Diskussion wünschen:

"Diese Vision ist ja keine Vision, die wir jetzt zum ersten Mal aussprechen würden. Sondern das ist eine Vision, die zum Beispiel intensiv dargelegt wurde von Hans Moravec in seinem Buch 'Mind Children', dass also tatsächlich der menschliche Geist nicht mehr an seinen biologischen Träger gebunden ist, sondern eventuell auch vollständig auf einem künstlichem Träger weiter funktionieren könnte. Ich denke, das muss man auf jeden Fall vermeiden, und man muss bei jedem Schritt, den man in diese Richtung tut, sich überlegen, ob es nicht schon ein Schritt zu viel wäre, den man da tut und ihn nötigenfalls unterlassen."

Im Film begegnen uns diese Figuren schon auf Schritt und Tritt. "Krieg der Sterne", "Artficial Intelligence" von Steven Spielberg, sogar in 3-D und ganz in Blau mit "Avatar". Schöne, bunte Welt. Und auch gruselig.
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