Lena Lauzemis als Gudrun Ensslin

Von Christian Geuenich · 17.02.2011
Mit Spannung wird auf der Berlinale heute der Wettbewerbsbeitrag von Andres Veiel erwartet. "Wer wenn nicht wir" heißt der Spielfilm, der ein sehr differenziertes Bild von den Anfängen der RAF zeichnet und versucht, zu erklären, wie es zur Radikalisierung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin kommen konnte.
In der Hauptrolle der Gudrun Ensslin, als Frau zwischen Baader und Bernward Vesper, ist die 28-jährige Schauspielerin Lena Lauzemis zu sehen:

"Das Reizvolle an der Rolle ist einmal die Auseinandersetzung mit Geschichte, und auch eine Frau zu spielen, die sich aufgrund ihrer Ideale und ihrer Werte, ihres Gerechtigkeitssinns radikalisiert hat und sich Mitteln bedient hat, die nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun haben."

Lena Lauzemis ist unprätentiös, freundlich, bietet erst einmal Getränke an, dreht sich eine Zigarette und hofft mit einem verschwörerischen Lächeln, dass der Feuermelder nicht anspringen wird. Sie trägt Sneakers, graue Jeans, schwarzes Jackett und eine weiße kragenlose Bluse. "Wer wenn nicht wir" ist ein Herzensprojekt für die blasse 28-Jährige, das zeigt sich in dem Feuer in ihren wachen, blauen Augen, wenn sie darüber spricht. Der Film erzählt die Vorgeschichte der RAF, zeigt den Ursprung der Gewalt und die Liebesgeschichte zwischen dem Verleger und Schriftsteller Bernward Vesper und der späteren Terroristin Gudrun Ensslin.

"Es ist eine junge Frau, die erwachsen wird, die Ziele hat und mit einem großen Kampf etwas durchsetzt. Es ist eben nicht einfach nur die schöne harte Frau, die gegen die Wand geht, sondern es ist eben dann doch sehr viel vielschichtiger, wenn man mal genauer hinguckt."

Ensslin verlässt nicht nur Bernward Vesper, sondern lässt auf dem Weg in den bewaffneten Untergrund nach Frankfurt auch ihr Baby zurück, um mit Andreas Baader die Gesellschaft zu verändern.

Ausschnitt aus dem Film "Wer wenn nicht wir":

"Ensslin: (weint) "Mach’s uns nicht so schwer."
Vesper: "Warum, warum jetzt?"
Ensslin: "Weil wir was gecheckt haben: Reden ohne handeln, geht nicht."
Vesper: "Weißt du, ich finde ja gut, dass ihr was macht. Man muss was machen, ich...ich mach auch was."
Ensslin: "Mehr als Bücher.""

Wie Lena Lauzemis Ensslins Zerrissenheit und schleichende Entwicklung zeigt, ihre inneren Zweifel erkennen lässt und ihr sukzessive härtere Züge hinzufügt, ist beeindruckend gespielt. Die schmale 1,75 Meter große androgyne Schauspielerin mit den dunkelblonden Haaren brennt für die künstlerische Bearbeitung von Stoffen, die sich mit Politik und Zeitgeschichte auseinandersetzen und beschäftigt sich auch privat damit.

Lena Lauzemis ist 1983 in Berlin geboren und mit ihren beiden älteren Brüdern in Kreuzberg aufgewachsen. Ihr Vater arbeitet als Drehbuch- und Hörspielautor, die Mutter als Grundschullehrerin. Mit 13 geht sie in die Theatergruppe "The Wild Bunch" an ihrer Schule.

"Und dann haben die sich mit Brecht beschäftigt, und den fand ich interessant – diese Liebesgedichte, diese Briefe, die er geschrieben hat an seinen Freund oder wie der mit Frauen umgegangen ist, und der war ja auch sehr politisch."

Im Alter von 14 Jahren sieht sie auf einem belgischen Theaterfestival eine ungewöhnliche Inszenierung zum Thema "Faschismus" Die Zuschauer werden nachts in einer Scheune abgeholt und über die Felder von Schauplatz zu Schauplatz geführt. Lena Lauzemis beobachtet erschrocken eine Erschießungsszene an einer Grube und sitzt am Ende regungslos in der Scheune, wo 15 Darsteller um eine Frau herumlaufen und ihr zehn Minuten lang immer wieder ins Gesicht spucken.

"Und dieses Bild, wie ich da saß und nichts gesagt habe und nicht 'Stopp' gesagt habe, gelähmt zu sein und trotzdem zu fühlen, das ist gerade unrecht, warum hören die nicht auf, ihr ins Gesicht zu spucken, das war ein Schlüsselerlebnis. Ich wollte auch Theater machen, ich wollte auch thematisieren."

Mit 16 spielt Lena Lauzemis im ZDF-Thriller "Das Alibi" eine Schülerin, die während einer Klassenfahrt Zeugin eines Mordes wird, aber heimlich in den Täter verliebt ist und ihn zunächst deckt. Nach dieser beeindruckenden Darstellung wurde sie in den Medien als "Geheimtipp" und "neuer Stern am deutschen Schauspielhimmel" betitelt, Der "Spiegel" war fasziniert vom "jungenhaft-herben Mädchen" und ihrer "wahrhaftig wirkenden Schauspielkunst". Mit 17 steht sie als Lavinia in "Titus. Fall of Rome" von Heiner Müller auf der Bühne.

"Und da kam so ein Interesse auf für Zusammenarbeit, Literatur, Sprache. Ich habe ja nichts verstanden. Ich habe ja Heiner Müller gelesen und gesprochen 3 Wochen lang und gedacht, ich habe kein Wort verstanden und nach 5 Wochen dachte ich mal, aha da ist das das und aber auch das, oder? Also das war schon vielleicht eine Leidenschaft, sich Sprache zu nähern."

Nach der 12. Klasse bricht sie die Schule ab. Ihre Eltern sind nicht begeistert, stehen aber hinter den Schauspielplänen ihrer Tochter und sind froh, als sie an der renommierten Ernst-Busch-Schauspielschule angenommen wird. Seit ihrem Abschluss ist Lena Lauzemis Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen und leitet dort außerdem eine Jugendtheatergruppe. 2005 dreht sie mit "Hitlerkantate" ihren ersten Kinofilm, ein sperriges kammerspielartiges Drama um eine blonde Musikschülerin, deren Liebe der Musik und dem Führer gilt.

"Nur ist dieser Film für mich nicht aufgegangen, und ich bin dann am Ende ein bisschen im Sofa versunken, und ich weiß nicht warum, aber ich habe da gedacht, das nächste, was ich mache, das ist was, was – wie soll ich sagen – das muss was Wichtiges sein."

Der Plan ist aufgegangen. Nach der heutigen Premiere könnte sie als Kandidatin für den Silbernen Bären gehandelt werden Natürlich ist sie etwas nervös und hat sich bei ihrer Ankunft in Berlin mit ihrer Agentin erst einmal den Roten Teppich am Berlinale Palast angeschaut, um zumindest ein bisschen zu erahnen, was auf sie zukommen wird.

Egal was passiert, abheben wird sie nicht. Lena Lauzemis betont immer wieder, wie wichtig der Teamgedanke für ihre Arbeit ist. Sie schwärmt von Handwerkern, die in harter Arbeit einen tollen Bühnenfußboden machen, von Ausstattern, Beleuchtern und ihrem Kollegen August Diehl, der Bernward Vesper spielt.

"Alleine mit dem zu spielen, da gehen Türen auf, und das ist gut. Das ist ein Mann und Schauspieler, der mich sehr inspiriert."

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