Leiter der Bayreuther Festspiele soll weiterhin ein Wagner sein

Moderation: Tom Grote · 07.11.2007
Der Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele beharrt darauf, dass die Familie Wagner auch in einer künftigen Leitung des Hauses vertreten sein muss, sagte Karl Gerhard Schmidt, Vorsitzender der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth". Dem hielt Opernexperte Wolf Dieter Peter entgegen, wenn man in der Familie niemand Geeignetes fände, müsste man auch "außen suchen".
Tom Grote: Wer wird der nächste Herr oder die nächste Herrin des Grünen Hügels? Gestern sollte auf der Sitzung des Stiftungsrats der Wagner-Festspiele in Bayreuth über die Nachfolge von Wolfgang Wagner beraten werden. Alle waren auch brav gekommen, nur Wolfgang Wagner nicht, der ließ sich durch einen Anwalt vertreten. Am Telefon sind jetzt Karl Gerhard Schmidt, er ist der Vorsitzende der einflussreichen Mäzene "Freunde von Bayreuth", er war bei der gestrigen Sitzung des Stiftungsrates dabei, und Wolf Dieter Peter ist am Telefon, unser Opernexperte und Bayreuth-Kenner. Guten Morgen, Herr Schmidt!
Karl Gerhard Schmidt: Ja, guten Morgen!
Grote: Und guten Morgen, Herr Peter!
Wolf Dieter Peter: Schönen guten Morgen.!
Grote: Herr Schmidt, da sitzen jetzt alle im Rathaus von Bayreuth, Sie dabei, und wollen unter anderem über die Nachfolge reden, und die Hauptperson kommt nicht. Was ist denn passiert, als klar war, Herr Wagner taucht nicht auf?
Schmidt: Ich darf da zunächst berichtigen, wir wollten gar nicht über die Nachfolge reden. Das stand auch gar nicht zur Debatte und auch nicht auf der Tagesordnung. Über die Nachfolge kann man erst reden, wenn Herr Wagner das Signal gegeben hat, dass er die Festspiele nicht mehr leiten will.
Grote: Und was ist mit...
Peter: Jetzt kommt ein Grummeln aus dem Süden. Darf ich Ihnen ins Wort fallen?
Grote: Das geht ja gut los.
Peter: Man kann natürlich sagen, das steht nicht auf der Tagesordnung. Da gibt es den Punkt sechs: Verschiedenes. Und das war nun ganz eindeutig, dass unter diesem Punkt darüber geredet werden soll, Herr Schmidt. Und es gibt auch einen Druck von außen. Und ich denke, es gibt einen eindeutigen Druck innen. Frau Merkel und Herr Beckstein haben bereits darüber geredet, also ich denke, jetzt beschönigen Sie bitte nicht zu viel. Wir wollen doch gehaltvoll darüber reden.
Schmidt: Ich beschönige doch gar nichts!
Grote: Also Herr Schmidt, was ist da gestern nun passiert als klar war, Herr Wagner taucht nicht auf. Ob es nun auf der Tagesordnung stand oder nicht, Thema war es doch ganz sicher.
Schmidt: Herr Wagner war vorgesehen als Berichterstatter über den Verlauf der letzten Festspiele. Und da war natürlich schon die Enttäuschung da, dass er diesen Bericht nicht geben konnte. Der andere Tagesordnungspunkt, es waren im übrigen nur drei, war die Renovierung und die Modernisierung des Hauses Wahnfried, des Richard-Wagner-Archives und -Museums, das bis 2013 ja fertig gestellt werden soll.
Grote: Wenn das alles überhaupt gar nicht so das große Thema ist, dann verstehe ich allerdings nicht, warum Sie sich da so weit aus dem Fenster gelehnt haben, was ja schon ungewöhnlich ist für die einflussreichen Mäzene "Freunde von Bayreuth", und Herrn Wagner konkret aufgefordert haben, doch bitteschön seinen Hut zu nehmen.
Schmidt: Ich habe ihn nicht aufgefordert seinen Hut zu nehmen. Das ist völlig falsch rübergekommen. Wenn, dann liegt es an ihm, dass er das Signal gibt, dass die Nachfolgeregelung nun in Gang kommt. Und wir können da überhaupt nichts machen und wollen auch nichts machen. Wenn, muss er, und ich meine, das würde auch adäquat seinem großen Lebenswerk sein, wenn er, wann immer das sein wird, das Signal gibt. Und das würde auch seiner Würde entsprechen.
Grote: Herr Peter, was sagen Sie dazu? Wie lange kann sich der Stiftungsrat die Spielchen von Wolfgang Wagner noch bieten lassen?
Peter: Also eigentlich überhaupt nicht mehr. Und ich bin ein bisschen enttäuscht, dass Herr Schmidt heute sehr rückzugsartig sich dahinter zurückzieht, wann Wolfgang Wagner ein Signal geben wird. Was war denn dann 2001, …2, …3 bereits los, als Eva Wagner-Pasquier mit 22 Stimmen vom Stiftungsrat gewählt wurde. Also Herr Schmidt, das ganze Thema ist doch virulent. Es gibt eine Verantwortung des Stiftungsrats für die 4,5 Millionen ungefähr öffentliche Gelder. Und Sie selber, wie Ihr Stellvertreter doch gesagt hat, haben in den letzten Jahren mehrere – 35 Millionen, habe ich hier stehen, seit 1990 in die Festspiele investiert. Also es gibt doch ganz konkret die Sorge, da ist ein höchst verdienstvoller, das möchte ich ausdrücklich als Bayreuth-Kenner und auch, ich sage in weiten Teilen, -Liebhaber sagen, höchst verdienstvoller Intendant und Impresario, der ein Lebenswerk hat.
Schmidt: Genau.
Peter: Diesem Mann werfen wir doch nicht charakterliches Versagen oder kriminelle Machenschaften vor,...
Schmidt: Richtig.
Peter: ...sondern ein altes Gehirn funktioniert nicht mehr. Also ich denke, wir dürfen doch sagen, wenn jemand erste Anzeichen von womöglich so etwas wie Alzheimer zeigt, ist das ja kein schlimmes Zeichen, sondern man muss sagen, wie schade, bedauerlich, das tut mir leid für ihn. Aber so einen Mann kann ich nicht an der Spitze einer Millioneninstitution, die deutsche Kultur in der ganzen Welt darstellt, haben. Also wir müssen was unternehmen! Was unternehmen Sie, Herr Schmidt?
Schmidt: Was unternehmen Sie? Wollen Sie dem Herrn Wagner den Amtsarzt schicken? Das können Sie doch nicht machen. Und davon abgesehen mit Alzheimer? Ich weiß nicht, dass Herr Wagner Alzheimer hat.
Peter: Ich weiß es auch nicht genau, aber es ist in den Kennerkreisen offensichtlich Gesprächsthema, dass er Ausfälle hat. Punkt. Ich kann es medizinisch nicht beurteilen.
Schmidt: Also ich war am 31. Juli das letzte Mal mit ihm zusammen bei einem langen Abendessen, und da habe ich keine Ausfälle festgestellt.
Grote: Gut, wir müssen jetzt nicht weiter über den Gesundheitszustand von Herrn Wagner spekulieren.
Schmidt: Tue ich auch nicht.
Grote: Herr Schmidt, Wolfgang Wagner hat einen Vertrag auf Lebenszeit, und der kann nur abgesetzt werden, wenn ihn der Stiftungsrat für geschäftsunfähig erklärt. Werden Sie das jetzt versuchen?
Schmidt: Nein!
Grote: Herr Peter, muss das eigentlich passieren?
Peter: Ich denke mir, es wird, wenn die Zurückhaltung, die Herr Schmidt heute durchgehend vertritt, wohl in Gang kommen. Ich kenne Persönlichkeiten des Stiftungsrates und auch der "Freunde", die gesagt haben, wenn nichts passiert, dann werden wir eine offizielle Anfrage stellen, ob in den letzten Jahren sämtliche geschäftlichen Vorgänge von Herrn Wagner getätigt wurden oder ob andere Personen, damit ist natürlich vor allem Frau Gudrun gemeint, daran beteiligt waren. Und wenn das nicht gegeben ist, kann man ihn natürlich juristisch unter Druck setzen. Das ist nicht erfreulich. Aber vielleicht hilft gegen 88-jährigen Starrsinn nichts anderes.
Grote: Die Nachfolge von Wolfgang Wagner ist nach wie vor ungeklärt. Herr Schmidt, wurde denn gestern bei der Sitzung darüber gesprochen, dass der Stiftungsrat jetzt sozusagen in die Richtung geht, Wagner für geschäftsunfähig zu erklären, weil eigentlich seine Arbeit seine Frau macht?
Schmidt: Darüber wurde überhaupt nicht gesprochen, weder in der Sitzung noch am Rande der Sitzung. Aber es wurde etwas beschlossen, damit man wegkommt von der reinen personellen Diskussion, wer nun, ob Katharina oder Eva oder Nike ...
Grote: Aber mit Verlaub, Herr Schmidt, das ist die wichtigste Frage im Moment.
Schmidt: Ja, darum, ich will ja gerade dazu etwas sagen. Damit man von dieser Diskussion im Moment mal wegkommt, dass man die Familienmitglieder der Familie Wagner, die interessiert sind an der Festspielleitung als Nachfolgerin oder Nachfolger von Herrn Wolfgang Wagner, dass man die bittet, erst mal jetzt ihre Konzepte vorzulegen, damit wir über das Inhaltliche schon mal diskutieren. Das war also das wichtigste Ergebnis der gestrigen Sitzung. Also wir werden die Familienmitglieder Wagner auffordern, uns ihre Konzepte vorzulegen, wie sie sich die Weiterführung der Bayreuther Festspiele vorstellen. Und dann werden wir mit den Betreffenden diskutieren, und auf diese Weise wird das Ganze, nehme ich an, auch in Gang kommen, was wir uns vorstellen.
Grote: Herr Peter, diese Konzepte gibt es doch längst, oder?
Peter: Sie sind zumindest in der Öffentlichkeit in Umrissen klar. Das ist, wie Herr Schmidt richtig betont, ein völlig unguter Vorgang. Man müsste solche Konzepte ausgearbeitet, realitätsnah...
Schmidt: Genau.
Peter: ... als erstes dem Stiftungsrat vorlegen...
Schmidt: Genau.
Peter: ...und dort diskutieren lassen und dann sagen, in den und den Punkten wollten wir, das haben wir eingeschränkt, und hier ist nun unser Konzept. Und dann sollten wir Feuilletonisten und Kulturkritiker eigentlich in die Diskussion eintreten. Das über "Bild"-Zeitung und andere Organe zu machen, halte ich auch für eigentlich singulär und unwürdig.
Schmidt: Ich auch.
Peter: Ich hätte, Herr Schmidt, noch folgende Frage.
Schmidt: Ja?
Peter: Es wird in dem einen Agenturbericht gestern zitiert, dass der Beschluss des Stiftungsrats von 2003, nämlich Eva Wagner-Pasquier zu benennen – dieser Beschluss von damals steht noch, hieß es aus Kreisen des Stiftungsrats. Ist dem juristisch und inhaltlich so?
Schmidt: Also das Juristische weiß ich nicht. Vom Inhaltlichen her muss man davon absehen, meine ich, weil ja gerade in Katharina Wagner eine neue Bewerberin aufgetreten ist. Die hat es ja damals noch nicht gegeben. Und wir wissen nicht, ob aus dem Kreis der Wagnerfamilie noch andere Bewerber auftreten. Also auf diesen damaligen Beschluss, meine ich, kann man sich nicht mehr beziehen. Das wäre nicht sachgerecht.
Grote: Das heißt, der Stiftungsrat hält es jetzt doch für möglich, dass Katharina Wagner die Leitung der Festspiele übernimmt?
Schmidt: Darüber ist nicht gesprochen worden. Es ist nur gesprochen worden, dass neue Bewerber aufgetreten sind und dass man auf den früheren Beschluss nicht mehr zurückgreifen will.
Grote: Welche neuen Bewerber sind das denn? Welche gibt es denn noch außer den drei Bekannten?
Schmidt: Im Moment weiter niemand.
Peter: Das wäre meine Frage noch in Richtung Herrn Schmidt: Hat man denn zumindest inoffiziell schon einmal überlegt gemäß der Satzung, wenn die Familie Wagner in ihrem Genpool sozusagen niemand Geeigneten hat, wie der Stiftungsrat dann prüfen wird, dass dann die Intendanten von Berlin, München und Wien aufgefordert werden, außen zu suchen. Hat man darüber schon mal en passant beim Kaffee in einer Gruppe gesprochen? Ohne dass Sie uns jetzt Geheimnisse ausplaudern.
Schmidt: Nein, da gibt es gar keine Geheimnisse. Also mit mir hat niemand über solche Möglichkeiten gesprochen. Ich kann Ihnen nur die Haltung der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" sagen. Wir sind der Meinung, dass auch künftig in der Festspielleitung ein Familienmitglied der Familie Wagner sein sollte. Und immerhin, es gibt ja drei Bewerberinnen, über die man durchaus diskutieren kann.
Grote: Also Sie folgen nicht Nike Wagner, die sagte, die Diktatur der Gene, die könnte durchaus aufhören?
Schmidt: Die wird sicher irgendwann mal aufhören, aber im Moment, meine ich, nicht.
Grote: Die Nachfolge von Wolfgang Wagner ist nach wie vor ungeklärt. Deutschlandradio Kultur dazu im Gespräch mit Karl Gerhard Schmidt, Vorsitzender der "Freunde von Bayreuth", und mit meinem Kollegen Wolf Dieter Peter, unserem Opernexperten. Vielen Dank an Sie beide!
Schmidt: Gerne!
Peter: Gerne!