Leistungsschau von zeitgenössischen Stücken
Die Hamburger Autorentheatertage haben sich, neben den Mülheimer Theatertagen, zur wichtigsten Leistungsschau zeitgenössischer Stücke entwickelt. Am Freitag wird dort bei der "Langen Nacht der Autoren" auch ein Theaterpreis vergeben.
Braucht das Theater überhaupt noch Autoren? Gleich das erste Gastspiel der diesjährigen Autorentheatertage kam ohne Autor aus: "Väter" hatte der lettische Regisseur Alvis Hermanis mit seinen drei Darstellern entwickelt. Sie erzählen von ihrem jeweiligen Vater, und weil der eine als Polizeiobermeister die Startbahn West verteidigte, der andere jahrelang im sibirischen Konzentrationslager saß und der dritte Schauspieler in Riga war mit der Lizenz zur Lenin-Darstellung, ist das eine höchst spannende Geschichte.
Die Mütter kamen auch zu Wort: Im gleichnamigen Projekt der holländischen Regisseurin Alize Zandwijk. Die verzichtete nicht nur auf den Autor, sondern gleich noch auf die Schauspieler: 14 Migrantinnen stellen Wendepunkte in ihrem Leben dar. Die Flucht nach Holland oder die Geburt des ersten Kindes. Zwischendurch tanzen sie gemeinsam, und wer nicht redet, kocht im Bühnenhintergrund jenes Essen, das die Zuschauer als krönenden Abschluss verzehren - nach drei bewegenden Stunden Theater. Der Trend, Lebensgeschichten ohne Umweg über einen Autor auf die Bühne zu bringen, ist allgegenwärtig. Juliane Kann, eine der ausgewählten Nachwuchsdramatikerinnen für die Lange Nacht der Autoren, hat das zuvor beim Festival "Radikal Jung" in München beobachtet.
"Da waren relativ viele Projekte, wo das ein Kollektiv entwickelt hat zwischen Ensemble, Regisseur und Schreiber. Beziehungsweise gar kein Schreiber mehr dabei war, sondern Ensemble und Regisseur das allein gemacht hat. Da sitz ich dann schon im Raum und denke mir: Ja Scheiße. Was mach ich dann mal, wenn es so weitergeht. Wenn es noch mehr gefragt ist, weil ich merke, es kommt unheimlich gut an. Da ist natürlich meine Position als reiner Schreiber erst einmal gefährdet."
Der Siegeszug des Dokumentartheaters, wie es die Gruppe Rimini-Protokoll zuerst entwickelt hat, zeugt von einer Sehnsucht nach Authentizität und Frische. Statt des Dramas soll das wahre Leben auf die Bühne. Und das ist nur zu verständlich angesichts der gelackten Gastspiele, die zu den Autorentheatertagen eingeladen waren. Stephan Kimmigs Inszenierung von Tom Lanoyes "Mamma Medea" sezierte eine moderne Ehehölle. Aber wozu der Rückgriff auf den abgelutschten Medea-Mythos? Armin Petras hatte vom Maxim-Gorki-Theater ein weiteres jener Ossi-Dramen mitgebracht, die er unter seinen Pseudonym Fritz Kater schreibt. Diese Aufarbeitungen der DDR-Vergangenheit funktionieren großartig auf der kleinen Studio-Bühne, wenn die zwischen Poesie und Schnoddrigkeit changierenden Petras-Figuren einem ganz nahe kommen. Doch jetzt im großen Haus brauchte es große Gesten. Heraus kam zuviel Drama, zu wenig Leben. Die gesunde Mischung zwischen beidem versucht Autor Paul Brodowsky in seinem für die "Lange Nacht" ausgewählten Stück "Regen in Neukölln", indem er einerseits dem Volk aufs Maul schaut.
"Für das Stück speziell bin ich tatsächlich sehr viel durch Neukölln gelaufen. Nachts mit einem kleinen schwarzen Notizbuch. Und hab mich immer in irgendwelche Ecken verdrückt, weil ich dachte: Man muss mich ja für einen Polizeispitzel halten. Wer läuft sonst durch Neukölln, um irgendwelche Dinge aufzuschreiben."
Andererseits überhöht und verzerrt Brodowsky seine Figuren: Ihren kleinen Alltagsbeobachtungen fügt er merkwürdige Vokalverdrehungen ein.
"Du spinnst doch! Klar, sag ich. Sie: Wo ist der Stoff? Wie os der Stiff, denk ich, in meiner Hose, sag ich. Sie fasst mir in den Schritt. Ich beiß sie in die Schulter. Sie knallt mir eine. Die Droge im System, denk ich."
Alle vier Autoren, die Theaterkritiker Gerhard Jörder für die "Lange Nacht" ausgewählt hat, haben bereits einen Verlag für ihre Stücke. Drei von ihnen haben einen Studiengang für Kreatives Schreiben absolviert. Sie sind also gut ausgebildet und fast schon arriviert. Aber trauen sich weiterhin, ganz einfache Fragen zu stellen. Wie Anne Habermehl in ihrem Stück "Letztes Territorium". Da lässt ein Flüchtling aus Algerien die schwelenden Konflikte in einer Familie aufbrechen. Zwischen Vater und sechzehnjährigem Sohn.
""Wo ist Mehdi?" – "Wer?" – "Mehdi. Dein Flüchtling." – "Mein Flüchtling! Schau in den Spiegel, Papa. Du warst seit sechs Samstagen nicht zuhause. Ansonsten gibt’s hier keine Flüchtlinge." – "Nur das Problem ist, Mehdi ist gar kein Flüchtling. Der ist Migrant. Da, wo er herkommt, ist gar kein Bürgerkrieg." – "Er kann nicht zurück." – "Wer sagt das?" – "Er!" – "Das glaubst du doch wohl selber nicht!" – "Ist doch scheißegal, warum er hier ist, wenn er hier sein will!"
Ich weiß nur, das es für mich so ne ganz wichtige Frage war, warum es Menschen gibt, die hier leben dürfen, und warum es Menschen gibt, die hier nicht leben dürfen."
Antworten zu geben, wird zunehmend schwierig, stellt Philipp Löhle fest in seiner Polit-Komödie "Lilly Link". Bereits im Mai prämiert beim Heidelberger Stückemarkt. Die abstrusen Aktionen seiner jungen Aktivisten drücken bei aller Komik auch eine verzweifelte Suche aus. Nach angemessenen Ausdrucksformen für die eigene politische Überzeugung.
Philipp Löhle: "In Bamberg gibt’s wohl eine Gruppe, die immer George-Bush-Fähnchen in Hundescheiße gesteckt hat. Und die wurden dann total gesucht, aber selbst wenn man die gefunden hätte, hätte man gar nichts gegen die machen können, es ist nicht verboten, George-Bush-Fähnchen in Hundescheiße zu stecken. Und da ist so was, wo man so denkt: Na ja, ist das jetzt der neue Weg. Oder geht man jetzt auf ne Demo, so G-8-Demos, um danach bei McDonald’s zu essen oder so was."
Kann halt nicht jeder die großen politischen Probleme dieser Welt so einfach auf einen Nenner bringen wie der in Kanada lebende Libanese Wajdi Mouawad in seinem Erfolgsstück "Verbrennungen". Da entdeckt ein Geschwisterpaar aus Kanada seine Wurzeln im Libanon: Ihr Vater, übelster Folterknecht der libanesischen Miliz, hat die Mutter im Gefängnis vergewaltigt. Doch zugleich – jetzt festhalten bitte – ist er ihr verlorener Sohn. Also Vater und Bruder unseres Geschwisterpaares.
Den platten Text unterstreicht Regisseur Stefan Bachmann mit plattesten Mitteln, ist von einem Bombenanschlag die Rede, flammt und kracht auf der Bühne, was die moderne Pyrotechnik hergibt. Das Hamburger Publikum war geradezu trunken vor Begeisterung. Ja, vielleicht brauchen wir wirklich keine Autoren mehr. Nur noch Sprachhandwerker, die Rosamunde-Pilcher-Romane in ein aktuelles Krisengebiet verlegen.
Die Mütter kamen auch zu Wort: Im gleichnamigen Projekt der holländischen Regisseurin Alize Zandwijk. Die verzichtete nicht nur auf den Autor, sondern gleich noch auf die Schauspieler: 14 Migrantinnen stellen Wendepunkte in ihrem Leben dar. Die Flucht nach Holland oder die Geburt des ersten Kindes. Zwischendurch tanzen sie gemeinsam, und wer nicht redet, kocht im Bühnenhintergrund jenes Essen, das die Zuschauer als krönenden Abschluss verzehren - nach drei bewegenden Stunden Theater. Der Trend, Lebensgeschichten ohne Umweg über einen Autor auf die Bühne zu bringen, ist allgegenwärtig. Juliane Kann, eine der ausgewählten Nachwuchsdramatikerinnen für die Lange Nacht der Autoren, hat das zuvor beim Festival "Radikal Jung" in München beobachtet.
"Da waren relativ viele Projekte, wo das ein Kollektiv entwickelt hat zwischen Ensemble, Regisseur und Schreiber. Beziehungsweise gar kein Schreiber mehr dabei war, sondern Ensemble und Regisseur das allein gemacht hat. Da sitz ich dann schon im Raum und denke mir: Ja Scheiße. Was mach ich dann mal, wenn es so weitergeht. Wenn es noch mehr gefragt ist, weil ich merke, es kommt unheimlich gut an. Da ist natürlich meine Position als reiner Schreiber erst einmal gefährdet."
Der Siegeszug des Dokumentartheaters, wie es die Gruppe Rimini-Protokoll zuerst entwickelt hat, zeugt von einer Sehnsucht nach Authentizität und Frische. Statt des Dramas soll das wahre Leben auf die Bühne. Und das ist nur zu verständlich angesichts der gelackten Gastspiele, die zu den Autorentheatertagen eingeladen waren. Stephan Kimmigs Inszenierung von Tom Lanoyes "Mamma Medea" sezierte eine moderne Ehehölle. Aber wozu der Rückgriff auf den abgelutschten Medea-Mythos? Armin Petras hatte vom Maxim-Gorki-Theater ein weiteres jener Ossi-Dramen mitgebracht, die er unter seinen Pseudonym Fritz Kater schreibt. Diese Aufarbeitungen der DDR-Vergangenheit funktionieren großartig auf der kleinen Studio-Bühne, wenn die zwischen Poesie und Schnoddrigkeit changierenden Petras-Figuren einem ganz nahe kommen. Doch jetzt im großen Haus brauchte es große Gesten. Heraus kam zuviel Drama, zu wenig Leben. Die gesunde Mischung zwischen beidem versucht Autor Paul Brodowsky in seinem für die "Lange Nacht" ausgewählten Stück "Regen in Neukölln", indem er einerseits dem Volk aufs Maul schaut.
"Für das Stück speziell bin ich tatsächlich sehr viel durch Neukölln gelaufen. Nachts mit einem kleinen schwarzen Notizbuch. Und hab mich immer in irgendwelche Ecken verdrückt, weil ich dachte: Man muss mich ja für einen Polizeispitzel halten. Wer läuft sonst durch Neukölln, um irgendwelche Dinge aufzuschreiben."
Andererseits überhöht und verzerrt Brodowsky seine Figuren: Ihren kleinen Alltagsbeobachtungen fügt er merkwürdige Vokalverdrehungen ein.
"Du spinnst doch! Klar, sag ich. Sie: Wo ist der Stoff? Wie os der Stiff, denk ich, in meiner Hose, sag ich. Sie fasst mir in den Schritt. Ich beiß sie in die Schulter. Sie knallt mir eine. Die Droge im System, denk ich."
Alle vier Autoren, die Theaterkritiker Gerhard Jörder für die "Lange Nacht" ausgewählt hat, haben bereits einen Verlag für ihre Stücke. Drei von ihnen haben einen Studiengang für Kreatives Schreiben absolviert. Sie sind also gut ausgebildet und fast schon arriviert. Aber trauen sich weiterhin, ganz einfache Fragen zu stellen. Wie Anne Habermehl in ihrem Stück "Letztes Territorium". Da lässt ein Flüchtling aus Algerien die schwelenden Konflikte in einer Familie aufbrechen. Zwischen Vater und sechzehnjährigem Sohn.
""Wo ist Mehdi?" – "Wer?" – "Mehdi. Dein Flüchtling." – "Mein Flüchtling! Schau in den Spiegel, Papa. Du warst seit sechs Samstagen nicht zuhause. Ansonsten gibt’s hier keine Flüchtlinge." – "Nur das Problem ist, Mehdi ist gar kein Flüchtling. Der ist Migrant. Da, wo er herkommt, ist gar kein Bürgerkrieg." – "Er kann nicht zurück." – "Wer sagt das?" – "Er!" – "Das glaubst du doch wohl selber nicht!" – "Ist doch scheißegal, warum er hier ist, wenn er hier sein will!"
Ich weiß nur, das es für mich so ne ganz wichtige Frage war, warum es Menschen gibt, die hier leben dürfen, und warum es Menschen gibt, die hier nicht leben dürfen."
Antworten zu geben, wird zunehmend schwierig, stellt Philipp Löhle fest in seiner Polit-Komödie "Lilly Link". Bereits im Mai prämiert beim Heidelberger Stückemarkt. Die abstrusen Aktionen seiner jungen Aktivisten drücken bei aller Komik auch eine verzweifelte Suche aus. Nach angemessenen Ausdrucksformen für die eigene politische Überzeugung.
Philipp Löhle: "In Bamberg gibt’s wohl eine Gruppe, die immer George-Bush-Fähnchen in Hundescheiße gesteckt hat. Und die wurden dann total gesucht, aber selbst wenn man die gefunden hätte, hätte man gar nichts gegen die machen können, es ist nicht verboten, George-Bush-Fähnchen in Hundescheiße zu stecken. Und da ist so was, wo man so denkt: Na ja, ist das jetzt der neue Weg. Oder geht man jetzt auf ne Demo, so G-8-Demos, um danach bei McDonald’s zu essen oder so was."
Kann halt nicht jeder die großen politischen Probleme dieser Welt so einfach auf einen Nenner bringen wie der in Kanada lebende Libanese Wajdi Mouawad in seinem Erfolgsstück "Verbrennungen". Da entdeckt ein Geschwisterpaar aus Kanada seine Wurzeln im Libanon: Ihr Vater, übelster Folterknecht der libanesischen Miliz, hat die Mutter im Gefängnis vergewaltigt. Doch zugleich – jetzt festhalten bitte – ist er ihr verlorener Sohn. Also Vater und Bruder unseres Geschwisterpaares.
Den platten Text unterstreicht Regisseur Stefan Bachmann mit plattesten Mitteln, ist von einem Bombenanschlag die Rede, flammt und kracht auf der Bühne, was die moderne Pyrotechnik hergibt. Das Hamburger Publikum war geradezu trunken vor Begeisterung. Ja, vielleicht brauchen wir wirklich keine Autoren mehr. Nur noch Sprachhandwerker, die Rosamunde-Pilcher-Romane in ein aktuelles Krisengebiet verlegen.