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VW-Bußgeld
Was tun mit einer Milliarde Euro?

Gefangen im Abgasskandal hat VW ein Bußgeld von einer Milliarde Euro akzeptiert – und prompt an die Landeskasse des gesetzlichen Empfängers Niedersachsen überwiesen. Der unverhoffte Geldsegen bereitet kurz vor der Haushaltsklausur der rot-schwarzen Regierungskoalition viel Kopfzerbrechen.

Von Alexander Budde | 22.06.2018
    Autoturm im Hauptgeschäftssitz von Volkswagen in Wolfsburg
    Autoturm von Volkswagen in Wolfsburg (AFP / Odd Andersen)
    Eins steht fest: das Geld ist da! Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erwähnt das Mitte der Woche im Landtagsplenum wie beiläufig.
    "Übrigens: Justizministerin Havliza hat mir vorhin berichtet, dass das Geld am 18. Juni auch eingegangen ist."
    Eine Summe mit gleich neun schwarzen Nullen ist verbucht, bestätigt Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU):
    "Ich habe nicht auf den Kontoauszug geguckt, aber wenn eine derartige Summe eingeht, sieht das gut aus bei uns!"
    Klar, Bußgelder verhängt man nicht aus Eigennutz, weiß auch Frank Bornemann. Aber, die juristische Aufarbeitung des Dieselbetrugs bindet reichlich Personal - und nun finanziert die ohnehin schon überlastete Justiz ihren Stellenmehrbedarf quasi selbst, frohlockt der Vorsitzende des Niedersächsischen Richterbundes (NRB):
    "Wir werden bei unseren Stellenforderungen immer gefragt, woher denn das Geld kommen soll für neue Richter und Staatsanwälte, die wir dringend brauchen - und jetzt ist es da! Und es ist sogar so, dass die Justiz das Geld selbst geliefert hat, nämlich die knappe Milliarde Euro."
    Mit einer VW-Milliarde sind Stellen für Richter und Staatsanwälte für die nächsten 40 Jahre finanziert
    250 zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte sind versprochen - im Koalitionsvertrag noch "unter Finanzierungsvorbehalt". Macht rund 25 Mio. Euro im Jahr, so kalkuliert Bornemann: Mit der VW-Milliarde langt es für die nächsten 40 Jahre.
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) äußert sich am 26.07.2017 in Wolfsburg (Niedersachsen) im VW-Markenhochhaus gegenüber Medienvertretern zur Kartell-Selbstanzeige des Konzerns. Weil ist für eine außerordentliche Sitzung des Volkswagen-Aufsichtsrates in Wolfsburg. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa | Verwendung weltweit
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) (dpa/Philipp von Ditfurth)
    Blöd nur: Anja Piel, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, macht eine ganz andere Rechnung auf:
    "Ich glaube, dass wir das dringend einsetzen müssen, um die Schulden abzugleichen, die wir bei den Menschen hier in Niedersachsen haben. Und wir haben Schulden am Klima und Schulden an guter Luft. Wir müssen dafür sorgen, dass in den Städten wieder 'ne Luftqualität hergestellt wird, und wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen in Niedersachsen den ÖPNV nutzen können und nicht mehr ihr privates Auto, dass es ein gleichwertiges Angebot gibt!"
    Elektrobusse, Radwege oder marode Schulen? - die Liste ist lang
    Elektrobusse, Radwege: Auch Linken-Chefin Anja Stoeck meint, die Zeit sei reif, die Handbremse bei den Investitionen nun zu lösen:
    "Das bedeutet für uns natürlich, im Sinne der sozialen Gerechtigkeit, dass man sich um marode Schulen kümmern müsste, bezahlbaren Wohnraum schaffen sollte - da kann man schon gut viel Geld reinstecken, denke ich."
    Auch benachbarte Bundesländer wie Schleswig-Holstein haben Gründe, den Finger zu heben - dabei ist im Bundesgefüge klar geregelt, dass eine solche Einnahmen allein der Landeskasse zufließt und nicht etwa im Länderfinanzausgleich verrechnet wird.
    "Schluss mit den Blütenträumen!", fordert Stefan Birkner. Das "turned ab" - aber der FDP-Chef meint, wo Zinslasten geringer werden, da eröffnen sich neue Spielräume für künftige Generationen:
    "Niedersachen hat über 60 Mrd. Euro Schulden - und wir müssen endlich mal in diesen Zeiten, in denen die Steuereinnahmen sprudeln, es dem Land also gut geht, in den Schuldenabbau einsteigen! Wann, wenn nicht jetzt? Das muss heute geschehen, wenn solche zusätzlichen Einnahmen kommen, dann erst recht!"
    Unverhofftes Luxusproblem
    Das Geld ist da, aber das Misstrauen auch. Der AfD-Finanzpolitiker Peer Lilienthal will wissen:
    "Inwieweit bleibt das netto auch hier? Denn, VW hat zwar auf Rechtsmittel verzichtet, aber hat natürlich nicht darauf verzichtet, die steuerlichen Folgen aus dieser Zahlung zu ziehen."
    In der Tat wird noch ergründet, ob VW zumindest jenen Löwenanteil des Bußgeldes von 995 Mio. Euro, der als Wertabschöpfung bezeichnet wird, womöglich als Betriebsausgabe abrechnen darf. Geminderte Dividendenzahlungen könnten noch eine Rolle spielen, oder Verluste bei den Gewerbesteuern entstehen.
    Blick in der Treppenhaus der Grundschule am «Weißen See» am 23.04.2013 in Berlin
    Marode Schulen gibt es auch in Niedersachsen (picture alliance / dpa)
    Es ist kompliziert. So kurz vor der rot-schwarzen Haushaltsklausur gibt es widersprüchliche Ansichten darüber, wie das Land mit seinem unverhofften Luxusproblem umgehen sollte:
    "Sparen, weil es auf die Dauer nicht anders geht!"
    "Billigen Wohnraum beschaffen, also Häuser bauen, wo Menschen mit wenig Geld oder Berufsanfänger wohnen können. Weil die anderen sind zu teuer!"
    "Das sollen sie mal richtig anlegen, für die Kitas usw. – nur das Beste draus machen! Aber unsere Politiker wissen das ja nicht, die machen sowieso alles falsch!"
    VW soll sich nicht aus der Verantwortung freikaufen können
    Grünen-Fraktionschefin Piel betont, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sich der VW-Konzern von jeglicher Verantwortung für den Diesel-Betrug freikaufen könnte.
    "Das ist nicht so, man bezahlt ein Bußgeld - und alles andere ist damit abgegolten! Das ist kein Ablasshandel für den Betrug, der stattgefunden hat. Und deswegen müssen der Ministerpräsident und sein Stellvertreter, der Wirtschaftsminister auch weiter an harten Forderungen gegenüber VW festhalten: das aufgeklärt wird. Wenn es eine Beteiligung der Vorstandsebene gegeben hat, dann stellen sich für VW aber in der Tat auch noch ganz andere, existentielle Fragen."
    Unterdessen verkündet Ministerpräsident Weil, die Landesregierung werde auf ihrer Haushaltsklausur einen klugen und der Zukunft dienlichen Vorschlag ausarbeiten.
    Noch mal rechnen? Bitte sehr!
    "Man kann vielleicht sagen, für die eine Milliarde, die wir erhalten haben, erhalten wir gleichzeitig auch zehn Milliarden Vorschläge, das heißt, wir werden unter dem Strich mutmaßlich neun Milliarden Enttäuschung auslösen."