"Leimen"

Rezensentin: Edelgard Abenstein · 30.05.2005
Wer richtig gute Geschäfte machen will, muss richtig gut betrügen können, der muss die Kunst des "Leimens" beherrschen. Die erlernt Frans Laarmans, Hauptfigur in Willem Elsschots Roman "Leimen", recht schnell. Der Autor des Bestsellers "Käse" liefert hier eine wunderbar frische Satire auf die Werbewelt, die auch heute noch begeistert: Die Erstausgabe erschien schon im Jahr 1924!
Es ist erst ein Jahr her, dass ein kleines Buch überraschend zu einem großen Erfolg wurde, umso erstaunlicher, weil es einen wenig literaturverdächtigen Titel hatte, von seinem Autor hatte man noch nichts gehört, obwohl es in den 50er Jahren schon mal auf dem Markt war. Das Buch stand wochenlang auf den Spiegel-Bestsellerlisten und brachte es in drei Monaten zu immerhin vier Auflagen. "Käse" hieß der Roman, eine köstliche Satire auf die Geschäftswelt und einen, der sich darin zu behaupten versucht. Wer diesen Roman komisch fand, wird sich freuen, dass es nun einen weiteren gibt: "Leimen".

Wie sein Namensvetter aus dem Vorgänger, Frans Laarmans, hat der Held auch hier den Büroalltag gründlich satt. Er rechnet sich aus, dass er es auf redliche Weise nie zu etwas bringen wird, und lässt sich von einem erfolgreichen Unternehmer als Sekretär anwerben. Der Herausgeber der "Allgemeinen Weltzeitschrift für Finanzen, Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft" ist außerdem noch Generaldirektor des "Museums für einheimische und ausländische Erzeugnisse".

Hinter diesem großsprecherischen Namen kann, man ahnt es schon, keine wirklich reelle Firma stehen. Dahinter verbirgt sich ein scheinbar völlig legales Unternehmen, das nichts anderes im Sinn hat, als Geschäftsleute auf mehr oder minder trickreiche Weise auszunehmen. Die Zeitschrift, alles andere als seriös, dient nur als Köder, um die Kunden mit losen Werbeversprechen einzufangen.

Der durchtriebene Verleger schlägt, so sein Arbeitsprinzip, seine "Partner" mit ihren eigenen Waffen. Die Funktonsweise dieser "Geschäftsidee" lernt Laarmans bald kennen. Er wird in die hohe Schule des "Leimens" eingeführt. Denn wer richtig gute Geschäfte machen will, so die Moral, muss richtig gut betrügen können.

Scharf in der Beobachtung, sarkastisch in seiner Erzählfreude rückt Elsschot seinem Helden und dessen Gegnern auf den Leib. Er zeigt ihn mit seinen großen Ambitionen, mit allen Tugenden und Untugenden, Ehrgeiz, Eitelkeit, Aufstiegswillen, Stolz, Habsucht und den Bewegungen des Herzens. Und er zeigt ihn auch mit Wärme und Sympathie. In Laarmans sieht man eine Figur wie von Loriot erfunden, komisch, verzweifelt in ihrem Bemühen, sich selbst zu behaupten, immer wieder voll des Mitgefühls für die Betrogenen, lächerlich und anrührend zugleich.

Und man mag kaum glauben, dass diese Figur und ihr Aktionsfeld 80 Jahre alt sind. Oft genug haben Satiren ein kürzeres Verfallsdatum, entzünden sie sich doch meist am Widerspruch zum Zeitgeist. Und der ist eher verderblich. Aber Frans Laarmans Geschichte liest sich erstaunlich frisch. Auch wenn die Begleitumstände etwas altmodisch klingen, auch wenn hier weder Internet, noch Einschaltquoten oder Videoclips eine Rolle spielen, so liest sie sich, als wäre sie von einem Insider geschrieben, von einem intimen Kenner der Branche heute. Elsschots Roman ist eine hoch amüsante Studie über ein Kapitel der Wirtschaftsgeschichte, als public relation, als Werbung noch Reklame hieß.

Wie eine Reihe seiner Kollegen war auch Willem Elsschot kein Schriftsteller, kein Nur-Schriftsteller. Wie Italo Svevo etwa, mit dem ihn die Vorliebe für den "kleinen Mann" verbindet, ging er hauptamtlich einem bürgerlichen Beruf nach. Wenn er schrieb, verarbeitete er, wie dieser, immer wieder autobiographische Erlebnisse aus seinem Arbeitsleben. Diese Doppelexistenz hat, wie wir sehen, der Literatur auf alle Fälle genutzt.

Willem Elsschot ist übrigens ein Pseudonym. Unter diesem Namen verfasste der Autor in seiner Freizeit eine Reihe von erfolgreichen Büchern, ohne dass selbst seine Familie etwas von seiner anderen Existenz geahnt hätte. Im richtigen Leben hieß er Alfons de Ridder, arbeitete lange Jahre wie sein Held aus "Käse" als Büroangestellter, machte sich später selbständig und gründete eine florierende Werbeagentur. woraus er den Stoff für "Leimen" bezog.

Mit seinem 1924 erstmals erschienenen Roman hat er ein weiteres Kabinettstück der tragikomischen Literatur vorgelegt. Elsschot war ein Freund der knappen Worte, der lakonischen Sprache und - der kurzen Romane. Seine gesammelten Werke, darunter 11 Romane, umfassen insgesamt nicht mehr als 770 Seiten. Man wünscht sich immer noch mehr im Ton dieser schwungvollen Satire auf die Welt des Scheins in der Marktwirtschaft, wo das Lügen und Betrügen seit jeher zur gängigen Handelsware gehört.

Willem Elsschot: Leimen. Aus dem Niederländischen von Gerd Busse. Unionsverlag 2005, 18,90 Euro.