Leierkastenmann mit Bundesverdienstkreuz

Von Maja Ellmenreich · 02.12.2005
Auf einer Dienstreise hatte er das Instrument erstanden, weil sich August Desenz an einen Leierkastenmann aus seiner Kindheit erinnert hatte. Nun hat der Wilhemshavener schon mehr als 20 Drehorgel-Dienstjahre auf dem Buckel. Das Geld, das auf seinem Teller landet, spendet er an gemeinnützige Einrichtungen.
Wenn der Wind günstig steht, ist die Drehorgel von August Desenz schon von weitem zu hören. Der durchdringende Klang der Pfeifen erreicht alle Ohren auf dem Wilhelmshavener Wochenmarkt - ob sie wollen oder nicht. August Desenz weiß, dass die Pfeifentöne seiner Drehorgel auch Nerven strapazieren können:

" Hab' ich auch Verständnis für. Wenn einer kommt und sagt: Herr Desenz, können Sie nicht mal ein bisschen weiterziehen? Dann mach' ich das! Verkäuferinnen auf dem Wochenmarkt zum Beispiel, wenn die kassieren müssen und sich mit Kunden unterhalten, die leben ja von dem Geschäft, dann sehe ich schon zu, dass ich nicht immer an einem Standort stehe, sondern wechsel. Aber ich muss auch da stehen, wo es… ich kann mich nicht auf den Sportplatz stellen, da ist nichts los, nur am Wochenende, wo ich auch hingehe."

Wochenenden und Feierabende im landläufigen Sinne kennt August Desenz allerdings schon lange nicht mehr aus eigener Erfahrung. Wo immer Menschen in Wilhelmshaven vorbeigehen oder zusammenkommen, sorgt August Desenz mit seiner Drehorgel für die Begleitmusik: bei Familienfesten und Sportwettkämpfen, nach dem Theater oder vor dem Konzert, in der Fußgängerzone und auf der Strandpromenade. Seine Kleidung wählt August Desenz dabei nach bester Leierkastenmann-Tradition: Zum bunten Hemd die passende Hose, um den Hals eine Fliege und auf dem Kopf einen Steifhut.

" Meine Prämisse ist es auch, nicht zu oft die Kleidung zu wechseln. Ganz einfach deshalb, dass die Leute auch sehen: Aha, da steht er wieder! Weil, es gibt ja nun mehrere Drehorgeln. Und wenn ich ständig in einem anderen Aufzug auftreten würde, dann würden die Leute… "

…dann würden sie ihn womöglich verwechseln mit jemandem, der das Geld vom Tellerchen in die eigene Tasche steckt. Nicht so August Desenz: Er spendet jeden einzelnen Cent an soziale, kulturelle, gemeinnützige Einrichtungen und führt genauestens Buch darüber. Ganze Aktenordner füllen seine Aufzeichnungen.

" So, und dann hier die größten Summen: 3000 Heimatverein Sengwarden. (blättert) Diakonisches Werk - Jubiläum. Wilhemshavener Kinderhilfe. (blättert) Dünenspielgarten 40.000 Mark, das war zur Expo. Ja, so habe ich genau aufgegliedert, wer wo was bekommt."

Sein Engagement für andere bringt August Desenz immer wieder Lob ein, 1989 sogar in Form eines Bundesverdienstkreuzes.

" Das war ja eine Auszeichnung für die ganze Familie: für die Kinder wie für meine Ehefrau, die sind ja nun auch daran beteiligt. Die Stunden, die ich nicht zu Hause bin, fehlen der Ehefrau und ich mach's ja seit über 20 Jahren, die habe ich den Kindern entzogen."

Zu Hoch-Zeiten stand August Desenz an seinen vermeintlich-arbeitsfreien Tagen nicht selten 14 Stunden hinter dem Leierkasten und drehte die Kurbel. Sein Ziel? Noch zu D-Mark-Zeiten wollte er eine Million zusammenbekommen. Bei seinem Sammeleifer übertraf er das selbstgesteckte Ziel sogar noch um einige tausend Mark; und seit der Einführung des Euro vor knapp vier Jahren sind schon wieder mehrere Hunderttausend zusammengekommen. Einen Teil des Geldes legt er auf die hohe Kante - natürlich nicht zum privaten Vergnügen.

" Ich möchte aus Anlass meines 70. Geburtstages 2008 eine Stiftung gründen. Und für diese Stiftung habe ich jetzt zurzeit € 45.000 zusammen und bis zur Gründung in drei Jahren möchte ich € 100.000, sonst lohnt sich so eine Stiftung nicht ins Leben zu rufen."

Wohl durchdacht und gut geplant ist mittlerweile alles bei August Desenz. Dagegen waren seine Drehorgelanfänge eine reine Bauchsache gewesen: Auf einer Dienstreise hatte er das Instrument erstanden. Ganz spontan. Weil er sich an einen Leierkastenmann aus seiner Kindheit erinnert hatte.

Bevor die Drehorgel aber drohte, nur unbenutzt das Wohnzimmer zu schmücken, nahm er sie kurzerhand mit zu einem Betriebsfest. Die Kollegen machten sich einen Spaß daraus, Geld in die Schale auf der Orgel zu legen, und die beachtliche Summe wurde am Ende einem wohltätigen Zweck gespendet.

Die Idee war geboren - August Desenz, der Leierkastenmann. In 21 Drehorgel-Dienstjahren hat er genügend Zeit gehabt, seine Mitmenschen genau zu studieren.

" Da kommt zum Beispiel eine Mutter mit drei Kindern an der Hand. Dann holt die aus ihrem Portemonnaie einen 10-Euro-Schein und legt ihn in die Schale rein. Und beim Weitergehen dieser jungen Mutter denke ich: So viel hätte es doch nun wirklich nicht sein brauchen. Und dann kommen Leute mit Schlips und Kragen aufgedonnert, sehr auffällig, kramen in ihrem Portemonnaie rum, ganz groß, dass es jeder sieht, und legen dann - auch das beobachte ich - verdeckt Kupfergeld in die Schale. Ich gucke nicht zu, was eine Person da gerade reinlegt, aber ich weiß, was in der Schale lag. Man hat da so einen Blick für entwickelt. Ohne Groll oder was. Bei mir zählt jeder Cent. Ich mache es ja nicht für mich, es ist für andere. Und da zählt jeder Cent. Und wenn der nicht mehr geben will, dann gibt er halt nicht mehr!"