Leidenschaftlicher Computerspieler

Von Gerhard Richter · 03.01.2011
Seit ein paar Jahrzehnten gibt es ein neues Musikgenre, das fast nur im Computer stattfindet: Videospielmusik. Das Gedudel zum Daddeln. Der junge preisgekrönte Pianist Benyamin Nuss hat es nun geschafft, die Musik von Computerspielen in den Rang der Klassik zu erheben.
Benyamin Nuss sitzt am Flügel der Berliner Philharmonie und spielt sich ein. Der 21-Jährige mit den asiatischen Gesichtszügen trägt eine bequeme Strickjacke und Jeans. Ein Fernsehteam baut die Kamera auf - die Computerredaktion interessiert sich für ihn - den jungen Pianisten.
Benyamin Nuss: "Ich bin ja ein Digital Native. Ich bin mit Videospielen halt auch aufgewachsen. Und ich fing an mit Tetris und Gameboy, Nintendo und so."

Aber lange vor den Knöpfen der Spielekonsolen hat Benyamin Nuss die Tasten des Pianos entdeckt. Sein Vater Ludwig Nuss ist ein bekannter Jazz-Posaunist und Musik war allgegenwärtig in Benyamins Elternhaus in Bergisch-Gladbach.

"Also wir hatten zwei Klaviere. Wir hatten eins unten, wo mein Vater immer geübt hat, und oben ein E-Piano. Ja das hat mich halt immer fasziniert - als Möbelstück schon und hab auch immer versucht dranzukommen. Und als ich´s dann endlich mal geschafft habe auf Zehenspitzen dranzukommen, hat mich dieses Instrument nicht mehr los gelassen und zieht mich an wie ein Magnet."

Benyamins Talent zeigt sich früh. Seine Mutter, eine Englischlehrerin aus Singapur und sein Vater lassen ihm das Spielzeug.

"Und ich hab versucht auf dem Klavier so Situationen darzustellen: Zum Beispiel ein Gewitter nachzumachen. Ein schöner Tag am Strand, plötzlich fängt´s Gewitter an."

Mit sechs Jahren bekommt er Unterricht, als Jugendlicher gibt er schon Konzerte und gewinnt erste Preise: Beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert, beim Steinway Wettbewerb, beim Prix d´Amadeo de Piano. Er siegt mit klassischen Stücken. Daneben hört er jede Menge Jazz-Musik: Miles Davis, John Coltrane, Count Basie.

"Da lag immer eine Count-Basie-Platte im Auto, und immer dieses eine Stück 'Shiny stockings', und ich hab versucht immer alle Instrumente gleichzeitig zu imitieren, also versucht das Schlagzeug nachzumachen und dann die Band, wenn sie Dä däääh! Und mein Vater wurde irgendwann wahnsinnig, weil ich das Stück immer wieder hören wollte, und hat dann irgendwann gesagt: 'Nein, jetzt reicht´s.'"

Neben der Musik werden Computerspiele die zweite Leidenschaft. Vor allem Rollenspiele, bei denen man Figuren und Charaktere stundenlang durch komplexe Handlungen führen muss.

"Dann fing das an so mit 13, 14, weil mich dann ein Freund davon überzeugt hat, dass ich Final Fantasy mal spielen sollte. Dann haben wir uns beide so dafür begeistert, dass wir ins Internet gegangen sind und die Midi Files, also die 'digital music files' der Videospiele runtergeladen haben, um das dann auf dem Klavier nachzuspielen und so."

Wie im Film gibt es zu jeder Situation eine komponierte Musik. Hier spielt Benyamin Nuss eine Sequenz aus dem Spiel 'Lost Odyssee'.

"Da muss man sich vorstellen, dass der Hauptprotagonist Kaim, der hat vergessen, was er ist, wer er ist, hat Amnesie. Und in diesem Stück 'Sign of Hope' trifft er seine Tochter wieder, er hat geglaubt, sie ist tot. Und kurz nach dem Wiedertreffen stirbt sie an einer Krankheit. Und dieses Stück wird eingeblendet, wenn er sie zu Grabe trägt quasi."

Nach Abschluss der Schule studiert Benyamin Nuss an der Musikhochschule Köln/ Aachen. Er übt täglich vier bis sechs Stunden, darunter auch Computerspielmusik. Vor allem Werke des Japaners Nobuo Uematsu, der in seiner Heimat bereits als Star der Szene gilt. Benyamin Nuss trifft den Komponisten in Köln und erzählt ihm von seinem Plan, dessen Stücke für ein großes deutsches Klassik-Label aufzunehmen.

"Der war natürlich überrascht im positiven Sinne, dass jemand der auch Klassik studiert und auch Klavier studiert, wirklich seine Musik so schätzt und liebt, und aufnehmen will überhaupt. Und das stellt ihn ja noch mal auf eine ganz andere Stufe mit anderen Komponisten: Beethoven, Liszt, Prokofjew und jetzt Nobuo Uematsu auf Deutsche Grammophon. Das war für ihn natürlich ein Ritterschlag."

Die CD schafft es in die Klassikcharts. Benyamin Nuss tourt damit durch Deutschland und gibt sogar zwei Konzerte in Japan, der Heimat Uematsus.

"Japan war natürlich der Hammer, auch vor 5.000 Leuten mal zu spielen, hab ich noch nie erlebt. Aber 5.000 Leute und dieser Saal! Und da kommst du natürlich ganz anders auf die Bühne, da bist du richtig aufgeregt, und du fühlst dich wirklich richtig klein."

Festlegen will er sich nicht auf Computerspielmusik. Dafür mag er Jazz zu sehr, die Improvisation und die Klassik. Sein Leben, sagt er, sei wie ein Buch. Und das letzte Kapitel habe er noch nicht gelesen:

"Klar ist halt, dass ich halt soviel vom Leben mitnehmen will, wie ich kann. Auch soviel lernen will, wie ich kann - bis an meine Grenzen zu gehen und einfach auch als Musiker und als Person zu wachsen. Das ist das Wichtigste für mich und auch das einfach zu machen, was mir Spaß macht."

Service:
Mehr über den Pianisten Benyamin Niss erfahren Sie auf seiner Homepage.