Leid allein macht niemanden besonders

Von Natascha Pflaumbaum · 14.09.2013
Borcherts Drama "Draußen vor der Tür" von 1947 beschreibt das Schicksal der Kriegsheimkehrer, die verlassen und vergessen vor den Trümmern ihres Zuhauses stehen. In Frankfurt hat Jürgen Kruse das Stück als deprimierendes Wimmelbild inszeniert.
Beckmann (Manuel Harder) steht im Regen, nachts, dichter Nebel umgibt ihn, er ist klitschnass, verwundet, dreckig, verwahrlost und ein Ausbund an Wut. Er will sterben, sich ertränken, doch die Elbe spuckt ihn immer wieder aus: zu jung, zu wenig Lebenserfahrung für einen Selbstmord. Meckert die Elbe (Heidi Ecks). Dabei hat er gerade Stalingrad hinter sich. Hamburg, Zweiter Weltkrieg, düster, dreckig, unheimlich, es nieselt.

Das Kriegstrümmerfeld im Borchert-Text, das den Kriegsheimkehrer Beckmann fast verschluckt, ist hier im Schauspiel Frankfurt eine Rumpelkammer mit alten verlutschten Sesseln, Kohlen, Zinkeimern, einem Bauträgergerüst mit grauen Planen, riesigen Kabelrollen, wie man sie an Häfen sieht. Zwei Frauenschenkel der legendären Bar "Die Ritze" auf Hamburg St. Pauli markieren das Milieu, ein Strick hängt allzeit bereit zum Selbstmord am Bühnenrand. Übervoll mit Requisiten bastelt Regisseur Jürgen Kruse einen Zeichenraum zurecht, der den Krieg und die Historie ziemlich schnell hinter sich lässt, aber den Ort "Hamburg" zu einem Symbol von Verlassenheit macht.

Dieses Kruse’sche Rumpelkammer-Wimmelbild-Hamburg (Bühne: Volker Hintermeier) ist eine höchst artifizielle Konstruktion von Verlassensein, die ist atmosphärisch so dick und drückend und deprimierend, dass man in dieser kaputten Welt bei jedem Detail zwingend sogar nach Erinnerungen aus der eigenen Biografie sucht.

Spukende Schattenrisse in Beckmanns Kopf
Durch diese Zeichentrümmer ackert sich Manuel Harder als Beckmann wie ein Besessener, der sich nicht damit abfinden kann, dass er "draußen" ist, draußen vor der Tür. Nichts bringt Beckmann mehr auf als das Gefühl, das ihm die Elbe, der Oberst, der Andere, Frau Kramer vermitteln: das Gefühl, nach dem Krieg nicht mehr dazuzugehören. Dieses Draußensein, Ausgeschlossensein ist das Leitmotiv dieser Frankfurter Inszenierung. An ihm spielt Jürgen Kruse die Frage durch, wie man schwere Schuld loswird bzw. wie man damit weiterleben kann. Denn Beckmann ist ein Mörder: Die Toten, die er auf dem Gewissen hat, wandeln schattenrissartig im Gegenlicht auf der Bühne. Sie spuken ihm pausenlos im Kopf herum.

Borcherts Stück wird dabei in Krusescher Manier einverleibt: die Sprache erweitert durch Kalauer, Sprachspiele, Wortassoziationen, mal dümmliche, mal groteske Witze. Die Satzmelodien werden gegen den Strich auf Monotonie gebürstet. Nur Beckmann schreit, brüllt, weint, jammert volltönend im Hamburger Slang. Shanties, Popsongs und Schlager verbinden die einzelnen Szenen und geben so einen gewissen "Sound of Life" vor.

Jürgen Kruse macht aus Borcherts Kriegsdrama ein fast zeitloses Existenzdrama, das nach gut zweieinhalb Stunden Wasser- und Blutsudelei, einigen Kalauern und viel guter Musik auf zynische Weise lakonisch endet: Leute wie Beckmann, die Täter und Opfer zugleich sind, die schwere Schuld auf sich geladen haben, die an ihrer eigenen Biografie zerbrechen, bleiben sich selbst überlassen. Niemand nimmt Notiz von ihnen: Leid allein macht niemanden besonders.
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