Lee Lais Comic "Steinfrucht"

Queere Schale, harter Kern

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Ausschnitt aus der Graphic Novel "Steinfrucht" von Lee Lai: Figuren, die wie Mischwesen aus Mensch und Tier erscheinen, sind in einem Park unterwegs.
Bron ist Transfrau und lebt in einer lesbischen Beziehung mit Ray. Mit deren Nichte erleben sie unbeschwerte Momente. © Lee Lai / avant-verlag
Katrin Doerksen im Gespräch mit Max Oppel · 26.04.2021
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In ihrer Graphic Novel "Steinfrucht" erzählt die Australierin Lee Lai von einem lesbischen Paar. Immer wieder verleiht sie ihm tierische Züge und rückt dabei Themen wie Transfeindlichkeit und Depression in die Aufmerksamkeit.
Immer mehr Graphic Novels erzählen von queeren Lebensgeschichten. Die Form eignet sich gut, äußere wie innere Konflikte darzustellen. Das zeigt auch Lee Lais Debüt "Steinfrucht". Die 27-jährige Australierin hat ihre Comicstrips bereits im "New Yorker" veröffentlicht - entsprechend viel Aufmerksamkeit erhält ihr Werk.
Im Zentrum stehen Bron und Ray, ein lesbisches Paar. Die beiden verbringen zwei Nachmittage pro Woche mit einer sechsjährigen Nichte. "Wenn sie mit der Nichte zusammen sind, dann nehmen sie die Rolle der lustigen Tanten ein, mit denen man viel Spaß haben und im Park rumtollen kann", sagt die Kritikerin Katrin Doerksen.
An anderen Tagen stellt sich Brons und Rays Lage allerdings als nicht so rosig dar. Beide haben Schwierigkeiten mit ihren Familien – Bron, weil sie Transfrau ist, und Ray wegen der lesbischen Beziehung, in der sie lebt. Das bedroht ihre Beziehung zur Nichte, aber auch ihre Beziehung miteinander.

Transfiguren als Monster

Die Autorin habe sich von Fantasygeschichten zu einem sehr gelungenen stilistischen Kniff inspirieren lassen, findet Katrin Doerksen. "In diesen ausgelassenen Spielszenen mit der Nichte verändern sich die Figuren plötzlich und morphen zu Mischwesen aus Mensch, Fisch, Amphibien."
In diesen Momenten erinnert der Comic an Monsterfilmklassiker wie zum Beispiel "Der Schrecken vom Amazonas" von 1954 - ein Paradebeispiel für die lange Genretradition, in der das Monster das Fremde verkörpert, das gesellschaftliche Normen herausfordert.
"Lange Zeit war das eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt, so etwas wie eine queere Repräsentation auch nur ansatzweise in den Mainstreammedien unterzubringen." Denn im Hollywoodkino der 50er-Jahre waren Filme über Transfiguren zwar nicht möglich, aber eben doch, ein Wesen zu zeigen, das sich Frauen mit in seine Höhle nimmt, was zumindest allegorisch eine unkonventionelle Form von Sexualität andeute, so Doerksen.

Themen wie Transfeindlichkeit oder Depression

Schön an diesem Comic findet Doerksen daher, "dass die Autorin dieses Motiv umdreht und sagt: Die queeren Figuren werden nicht mehr von anderen als etwas Monströses wahrgenommen, sondern das entspricht deren Eigenwahrnehmung. In ihren besten Momenten wachsen sie quasi über sich hinaus und existieren außerhalb von Schubladen, ganz selbstverständlich."
Der Titel "Steinfrucht" sei daher als das Gegenteil der Wendung "harte Schale, weicher Kern" zu verstehen, erklärt Katrin Doerksen. Auf den ersten Blick wirke die Graphic Novel wie eine "fluffige Geschichte über Tanten und ein Kind", aber tatsächlich gehe sie viel tiefer. Im Kern gehe es um Themen wie Depression, Vorurteile gegenüber Transpersonen und toxische familiäre Altlasten.
(abr)
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