Lebensverlängerung mit Gentechnik

150 Jahre leben - warum nicht?

Laborgefäße, wie Glaskolben und Messzylinder, mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten
Eine alter Menschheitstraum: die Suche nach dem Lebensverlängerungselixier © dpa / Michael Rosenfeld
Sebastian Knell im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.07.2016
Schon bald könnten Medizin und Gentechnik so weit sein, dass sich die menschliche Lebensspanne um das Zwei- bis Dreifache ausdehnen lässt. Eine "moderate Ausweitung" wäre eine Glückschance, meint der Philosoph Sebastian Knell, warnt aber vor Nebenwirkungen.
Das Leben mithilfe von Medizin und Gentechnik um das Zwei- bis Dreifache zu verlängern - daran forschen Unternehmen wie die Google-Tochter Calico intensiv.
Damit gerate erstmals eine alte Vision der Menschheit, "nämlich der Wunsch, die begrenzte Lebensspanne auszudehnen und den körperlichen Verfall abzubremsen" in den Fokus einer rationalen Wissenschaftskultur, sagt der Philosoph Sebastian Knell vom Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn.
Eine moderate Ausweitung der Lebensspanne sei eine "Glückschance", meint Knell. "Die Verdoppelung der Lebensspanne wäre etwas, was ich auf jeden Fall mitnehmen würde." Allerdings würden sich durch solche Möglichkeiten das Problem der Überbevölkerung verschärfen sowie die soziale Ungleichheit. Denn die teuren Therapien zur Verlängerung des Lebens könnten sich nur die Privilegierten leisten.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wenn Sie heute 40 Jahre alt sind, dann haben Sie laut Statistik noch gute 43 Jahre vor sich. Ihre Lebenserwartung liegt bei 83,7 Jahren als Frau, als Mann müssen Sie zwei, drei Jahre abziehen. Das ist der Stand der Dinge. Die Forschung ist aber längst schon bei ganz anderen Zahlen, Hoffnungen und Erwartungen. 150 Jahre alt werden? Eine greifbare Utopie, wie Martin Winkelheide zu berichten weiß.
((Einspielung))
Immer älter werden, die Forschung arbeitet daran. Zeit für die ethische Debatte um die Möglichkeiten zum ewigen Leben heute Morgen mit dem Bonner Philosophen Sebastian Knell, Koherausgeber des Buches "Länger leben. Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven". Ich grüße Sie, Herr Knell!
Sebastian Knell: Ich grüße Sie, Herr Frenzel!
Frenzel: Was passiert da gerade? Erklären wir das Alter zur Krankheit, zum Mangel?
Knell: Was auf jeden Fall gerade passiert, ist, dass eine alte Vision der Menschheit, die in die Anfänge sämtlicher Hochkulturen zurückreicht, nämlich der Wunsch, die begrenzte Lebensspanne auszudehnen und den körperlichen Verfall abzubremsen, dass diese Vision erstmals sozusagen in den Fokus einer rationalen Wissenschaftskultur gerät, indem eben Biogerontologen nach den genauen Ursachen des Alterns forschen. Das ist nicht die irdische Realisierung des Traums vom ewigen Leben, sondern das ist bestenfalls eine begrenzte Ausweitung der endlichen Lebensspanne auf der Basis fortwährender Sterblichkeit. Das ist das, womit wir konfrontiert sind, als Zukunftsvision.

Mit Biotechnik 150 Jahre alt werden?

Frenzel: Aber es geht ja schon um durchaus interessante Zeitspannen. Man hört, so 150 Jahre leben, das soll irgendwann möglich sein. Die Frage an Sie als Philosophen: Was wir wissenschaftlich, medizinisch irgendwann möglicherweise können, sollen wir das eigentlich wollen?
Knell: Ich glaube, wenn wir tatsächlich über solche signifikanten Zeiträume sprechen wie den, den Sie jetzt erwähnt haben, dass wir bis zu 150 Jahre leben können, dann wird das nur in der Form gehen, dass wir tatsächlich die gesunde Lebensspanne ausdehnen, und das heißt auch in einem gewissen Sinne die Phase, in der wir noch vital sind und in diesem Sinne jugendlich. Deswegen ist das verknüpft in der Tat mit so etwas wie einer biotechnischen Jungbrunnen-Perspektive. Wir müssen natürlich die biologische Jugend, die wir auf diese Art und Weise verlängern, unterscheiden von dem, was man vielleicht die geistige Jugend nennen kann, die nicht automatisch konserviert wird, wenn wir einfach nur körperlich länger jung und vital bleiben.
Denn der menschliche Geist wird weiterhin Erfahrungen akkumulieren, immer mehr Welt sich aneignen und sich dadurch dann auch verändern und in diesem Sinne altern. Und die spannende Frage ist natürlich, ob diese unausweichliche Alterung des menschlichen Geistes irgendwann einen Punkt erreicht, wo das Leben sich aus der Perspektive des Betroffenen dann nicht mehr als reizvoll darstellt. Das ist eine sehr umstrittene Frage, die natürlich auch eine psychologische Seite hat und deswegen jetzt nicht rein philosophisch beurteilt werden kann.
Frenzel: Die Frage ist in der Tat, was macht man mit all der Zeit? Das sind ja dann, gemessen an früheren Standards, sogar drei Leben. Beginnt man dann drei verschiedene Jobs, hat drei verschiedene Familien?
Knell: Ich denke, es spricht einiges dafür, das als eine Glückschance tatsächlich zu begreifen. Sie könnten beispielsweise, wenn Sie 150 Jahre Zeit zur Verfügung hätten, vielleicht im Anschluss an Ihre Tätigkeit als Journalist vielleicht noch ein Faible für Architektur ausleben und noch mal als Architekt tätig werden oder vielleicht eine Karriere als Eiskunstläufer hinlegen.
Frenzel: Daran zweifle ich.
Knell: In einem gewissen Sinne könnten wir sagen, da wir Menschen diese unterschiedlichen Potenziale in uns tragen aufgrund der kulturellen Formung unserer Natur, ist das auch eine gesteigerte oder wäre das auch eine gesteigerte Form der Selbstverwirklichung.

Die Kehrseite: noch mehr Überbevölkerung

Frenzel: Wenn alle länger leben, dann haben wir auf unserem engen Planeten mit jetzt schon siebeneinhalb Milliarden Menschen ein Problem, eine massive Überbevölkerung, oder?
Knell: Das ist in der Tat so. Allerdings haben wir das Problem natürlich schon heute. Wenn wir projektieren, wie sich die Bevölkerung weiter entwickelt wird, kommen wir ja heute schon nicht darum herum, über Maßnahmen der Geburtenkontrolle oder der Einschränkung der Fortpflanzung nachzudenken. Dieses Problem wird sich auf jeden Fall verschärfen, dass wir nämlich die komplizierte Abwägung vornehmen müssen, was uns wichtiger ist: die Freiheit der individuellen Fortpflanzung oder die möglicherweise bestehende Glückschance, die sich mit einer signifikant ausgeweiteten Lebensspanne für den Einzelnen verbindet.
Auf jeden Fall besteht eine sehr große Gefahr darin, dass natürlich solche Therapien, wenn sie denn eines Tages zur Verfügung stehen, mindestens in einer ersten Phase ihrer Entwicklung und Bereitstellung sehr teuer sein werden, und dass dann nur diejenigen, die sowieso schon zu den privilegierten Teilen der Gesellschaft zählen, in der Lage sein könnten, sich das zu leisten. Und dann hätten wir am Ende eine Verschärfung einer Zweiklassengesellschaft, bei der dann diejenigen, die ohnehin schon mehr in der Tasche haben, auch noch vielleicht sagen wir mal doppelt so lange leben, um ein extremes Szenario zu wählen. Deswegen ist es unbedingt wichtig, dass wir uns auch im Vorausblick auf die Möglichkeit politisch einstellen, dass solche Therapiemöglichkeiten eines Tages zur Verfügung stehen könnten, um vorauseilend dafür Sorge zu tragen, dass so etwas dann eben tatsächlich über die Solidargemeinschaft für alle, die daran Interesse haben jedenfalls, finanziert werden kann.
Frenzel: Herr Knell, wenn Sie Ihre praktischen und philosophischen Überlegungen zusammen nehmen und das auf einen Nenner bringen müssten für sich selbst – wie alt möchten Sie werden?
Knell: Die Verdoppelung der Lebensspanne wäre etwas, was ich auf jeden Fall mitnehmen würde. Ich würde denken, dass es für uns Menschen keinen Sinn macht, unbegrenzt fortzuleben. Das ist natürlich auf der anderen Seite auch kein realistisches Szenario, aber ich glaube schon, dass der Mensch aufgrund seiner kulturellen Potenziale in gewisser Weise in der naturwüchsig vorgegebenen Lebensspanne etwas zu beengt lebt, sodass hier eine moderate Ausweitung in jedem Fall sinnvoll und auch eine Glückschance wäre.
Frenzel: Sebastian Knell vom Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn. Ewiges oder besser gesagt längeres Leben. Welche ethische Überlegungen wir angesichts der neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten anstellen müssen, für diesen Austausch, für dieses Gespräch danke ich Ihnen sehr!
Knell: Vielen Dank, Herr Frenzel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.