Lebenslange Liebe ohne Erfüllung

13.10.2006
In dem Roman geht es um die Idee von der alles umstürzenden Liebe und darum, wie ein Mann sich sein ganzes Leben lang einer einzigen Frau ausliefert, die für immer unerreichbar bleibt. Selten wirkt die Liebesobsession allerdings überzeugend, stattdessen ist Vieles unerfindlich in dem Buch, zumal das Objekt der Begierde blass, fern und unbeschrieben bleibt.
Ein ehrgeiziges Projekt: Der 1984 geborene Helmut Krausser behandelte in vier Romanen nichts weniger als die existentiellen Themen der Menschheit: Liebe, Tod, Mythos und die Zeit. Begonnen hat er die Tetralogie, von der er selbst erklärt, sie sei etwas "großsprecherisch" angelegt, 1993 mit "Melodien", einem Buch über den Orpheus-Mythos und die Geburt der Oper, dann folgten 1996 "Thanatos" und 2003 "Ultrachronos". "Eros" hat er sich bis zum Schluss aufgespart. Es geht darin um die Idee von der alles umstürzenden Liebe und darum, wie ein Mann sich sein ganzes Leben lang einer einzigen Frau ausliefert, die für immer unerreichbar bleibt.

Dieser unerhört Liebende ist ein schwerreicher Fabrikant, dessen Familie zunächst in der Rüstungs-, später in der Metallverarbeitungsindustrie großen Reichtum aufgehäuft hat. Alexander von Brücken, in den Siebzigern und todkrank, lädt den Ich-Erzähler, einen Schriftsteller, auf sein oberbayerisches Schloss ein, um ihm von seiner lebenslangen Obsession für Sofie zu erzählen. Aus dieser Lebensbeichte soll gegen ein astronomisch hohes Honorar ein Roman entstehen, genau der, den wir in Händen halten.

Das Schlüsselerlebnis findet im Kriegsjahr 1944 statt: Im Luftschutzkeller verliebt sich der 14-jährige Alexander in das arme Nachbarmädchen Sofie, das sich schon damals nichts aus dem Adelsspross macht. So wird es bleiben, trotz dessen unermüdlicher Anstrengungen, ihre Zuneigung zu gewinnen. Als er sie nach dem Krieg ausfindig macht, scheitert sein Versuch, sie mit eigenem Flugzeug und Champagner zu gewinnen. Selbst ein Schloss lässt sie sich nicht zu Füßen legen, was den Ehrgeiz des solchermaßen Verschmähten ins schier Unermessliche steigert. Dank seiner finanziellen Mittel und bester Beziehungen legt er ein Netz aus heimlichen Schutzmaßnahmen um die spröde Geliebte, das immer dann, wenn sie in Lebensgefahr schwebt, auf wundersame Weise hilfreiche Kräfte entfaltet. Dazu gibt es reichlich Gelegenheit.
Denn Sofie, die zunächst Kindergärtnerin wird, studiert in Berlin Politologie, gerät über einen sprichwörtlich machohaften Desperado in die 68er-Bewegung, dann in die Terroristenszene. Dabei schildert Krausser Anti-Springer-Demos, marxistische Debatten, den Schahbesuch und den Mord an Benno Ohnesorg. Schließlich erhält die per Steckbrief gesuchte Sofie Asyl in der DDR. Sie wird Museumswärterin in Leipzig und lebt dort zurückgezogen und unerkannt unter dem Namen "Inge Schulz", bis sie schwer depressiv und suizidgefährdet von ihrem Schutzengel, der sogar die Stasi bestechen kann, wieder in den Westen geschleust wird.

Neben einem Roman über Liebe, Macht und Ohnmacht ist "Eros" also auch ein Zeitroman, der ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte von der Nazizeit bis in die Gegenwart aufblättert. Siebzehn Fassungen gingen, so Krausser, der vorliegenden Version voraus. Diese Arbeit ist dem Buch jedoch nicht durchweg anzumerken.

Der Autor, der bisher geglänzt hatte durch ein postmodernes Potpourri verschiedenartigster Schreibstile, der Tagebuchfiktionen und Altherrenprosa, Essayistisches und die Rede in kühnen Bildern ebenso beherrschte wie die ironisch gebrochene Wissenschaftssprache und unterschiedlichste Alltagsjargons, legt hier einen Roman vor, der trotz einer Unzahl märchenhaftester Kolportageelemente eigentümlich hölzern wirkt. Denn sein scheinbarer Kunstgriff erweist sich als Missgriff, nämlich dass der Erzähler, entgegen von von Brückens ausdrücklichem Wunsch, fast alles, was dieser auf Band gesprochen hat, im Wortlaut belässt. So hat die Geschichte letztlich mit einer einzigen Perspektive auszukommen.

Selten wirkt die Liebesobsession überzeugend, stattdessen ist Vieles unerfindlich in diesem Roman, zumal das Objekt der Begierde blass, fern und unbeschrieben bleibt. Es gibt keine Antwort auf die Frage, warum sich ein schwerreicher Firmenerbe für jenes Mädchen aus der Unterschicht interessiert und ihr ein Leben lang verfällt. Ist es ihre Schönheit, ihre Intelligenz, ihre Verführungskraft? Nichts davon wird so überzeugend in seiner unausweichlichen schicksalhaften Kraft geschildert, dass man es für ein glaubwürdiges Motiv hielte. Außerdem bleibt rätselhaft, warum die solchermaßen Angebetete ihren Gönner, dem sie immer wieder begegnet, niemals als den erkennt, der ihr seit Kindheitstagen nachstellt. Eine "amour fou", die den Urgrund für ihre Verrücktheit schuldig bleibt.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Helmut Krausser: Eros
DuMont Literatur Verlag, Köln 2006, 320 Seiten, 19,90 Euro