Lebensgeschichte eines Hasardeurs

27.08.2009
Man kennt ihn nicht, und als Schriftsteller muss man ihn auch nicht unbedingt kennen lernen. Denn wie viele andere gehörte Axel Rudolph in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu den längst vergessenen Unterhaltungsschriftstellern, die den Markt wie am Fließband mit billiger und leicht verderblicher Ware versorgten - mit Liebes-, Arzt-, Heimat- und Abenteuerromanen.
Die Titel seiner Bücher heißen: "Amor im Pazifik", "Kameraden im Busch", "Lore kommt für alles auf" oder "Eingereist über Wladiwostok". Was Axel Rudolph aber auszeichnet, ist seine ungewöhnliche Biografie, sein Aufstieg aus dem Nichts, der in eine beispiellose Karriere in den 30er-Jahren mündete, obwohl er mit den Nazis nicht einmal sympathisierte, und sein jäher Fall.

Nichts anderes also als der Stoff für einen Groschenroman – oder die Illustration zu Hans Falladas Erfolgsroman "Ein Mann will nach oben". So denkt man, wenn man die Stationen dieses Lebens liest: Aus ärmlichen Verhältnissen stammend wird der Bochumer zunächst Bergmann, desertiert im Ersten Weltkrieg, flüchtet aus russischer Gefangenschaft, gerät für lange Jahre in einen Kreislauf aus Kriminalität, Obdachlosigkeit, missglückter Ehe, um dann per Zufall – da ist er schon 40 Jahre alt – in einem Preisausschreiben der Ufa für eine Filmidee prämiert zu werden.

Axel Rudolph wird über Nacht zum gefeierten Schriftsteller. Neben unzähligen Drehbüchern, die unter anderem mit Liane Haid und Brigitte Helm verfilmt wurden, schreibt er über 50 Abenteuerromane und Krimis, für die er aus seinem abenteuerlichen Leben schöpft. Als ihn wie andere "Schundliteraten" 1939 das Schreibverbot der Reichsschrifttumskammer ereilt, schlägt er den Nazis ein Schnippchen: Vier Jahre lang veröffentlicht er - ebenso erfolgreich- Afrikaromane unter Pseudonym. Eine abrupt beendete Liebesaffäre mit der Tochter eines NSDAP-Funktionärs bringt ihn vor Freislers Volksgerichtshof, wo er zum Tode verurteilt und 1944 hingerichtet wird.

Dass sich die Lebensgeschichte dieses Hasardeurs wie eine fabelhafte Erfindung liest, die jeden Groschenroman in die Ecke stellt, liegt nicht nur an dem flotten Erzählstil, den Martin Keune beherrscht. Der Werbefachmann zieht gekonnt eine Reihe von literarischen Registern: er arbeitet mit dramaturgischen Spannungsbögen, Hypothesen und knappen Dialogen. Dabei ist das, was so anschaulich und farbig wie ein spannender Roman daherkommt, genau recherchiert - nicht nur das Leben Rudolphs in Berlin und dem havelländischen Dorf Semlin. Keune entwickelt ein facettenreiches Bild der Zeit, er liefert daneben aufschlussreiche Einsichten in den zeitgenössischen Film- und Buchmarkt.

Die nüchterne Geschichtsschreibung verlegt er in den Anmerkungsapparat, der die Quellen aus erster Hand wie Briefe, Aufzeichnungen, Augenzeugenberichte ebenso akribisch nachweist wie weitere Zeitdokumente. Den Angelpunkt seiner Erzählung aber bildet die 80-seitige Gestapo-Akte, die ein namenloser Mitarbeiter des Geheimdienstes zunächst auf eigene Faust über Axel Rudolph anlegte, weil der ihn einmal gekränkt hatte - lange bevor Axel Rudolph sich mit einem regimekritischen Trennungsbrief an seine Nazi-Geliebte in tödliche Gefahr brachte. Dass Diktaturen nur bestehen, weil sie vor aller Ideologie auf persönliche Ranküne, auf Neid und Missgunst zählen können, dies zu zeigen, ist das größte Verdienst dieses Buches.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Martin Keune: Groschenroman. Das aufregende Leben des Erfolgsschriftstellers Axel Rudolph
be.bra-Verlag, Berlin 2009
304 Seiten, 19,90 Euro