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Klimagerechtigkeit
"Müssen CO2-Ausstoß der Gutverdiener einschränken"

Mira Alestig (Oxfam) hat mehr Klimagerechtigkeit gefordert, denn laut einer Studie sind es vor allem die Armen, die die Umwelt schützen, während die Reichen immer stärker die Umwelt belasten. Der Green Deal der EU sei ein wichtiger Hebel für mehr Klimagerechtigkeit, sagte sie im Dlf.

Mira Alestig im Gespräch mit Georg Ehring | 08.12.2020
Autos, die Abgase aufstoßen, auf einer Straße in München
Gruppen mit höheren Einkommen seien auch für mehr CO2-Emissionen verantwortlich, erklärte Mira Alestig im Dlf (dpa / Okapia)
Eine neue Untersuchung, die die Entwicklungs- und Nothilfe-Organisation Oxfam zusammen mit dem Stockholm Environment Institute verfasst hat, zeigt: Die Armen schützen das Klima; die Reichen steigern ihre Emissionen immer weiter. Mira Alestig, Mitautorin der Studie bei Oxfam in Schweden, meint: Der von der EU-Kommission verabredete Green Deal könne helfen, die europopaweite Ungleichheit bei der CO2-Reduzierung zu bekämpfen.
Die EU ringt um ihre KlimaschutzzieleDie EU-Kommission will Europa bis 2050 zum treibhausgasneutralen Kontinent machen. Ein ambitioniertes Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn der Treibhausgasausstoß schärfer abgesenkt wird als bislang geplant.
Georg Ehring: Mira Alestig, wie haben Sie und ihr Team herausgefunden, dass es vor allem die Reichen sind, die das Klima stärker belasten?
Mira Alestig: Wir haben neue Daten ausgewertet, die zeigen, für wieviel CO2-Ausstoß die einzelnen Einkommensgruppen innerhalb der EU verantwortlich sind. Dafür haben wir die Jahre zwischen 1990 und 2015 analysiert. Das ist klimapolitisch gesehen eine sehr wichtige Zeit, denn in der Zeit haben sich die klimaschädlichen Emissionen verdoppelt. Wir haben uns die sogenannten Verbrauchsemissionen angeguckt, die Verbrauchsemissionen eines Landes, und die haben wir dann den einzelnen Haushalten in der EU zugeteilt, basierend auf aktuellen Daten zur Einkommensverteilung.
Gruppen mit höherem Einkommen haben höhere Emissionen
Ehring: Wie haben sich denn die Emissionen der besonders Reichen und der Ärmeren entwickelt?
Alestig: Wir sehen eine beachtliche Ungleichheit in der Europäischen Union, wenn es darum geht, wie die CO2-Emissionen verteilt sind. Wir sehen, dass die Gruppen mit höherem Einkommen auch höhere Emissionen haben, und die totalen Emissionen in der EU sind zwar um bescheidene zwölf Prozent gesunken in der Zeit, aber die gesamte Emissionsreduzierung ist Bürgerinnen und Bürger mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zuzuordnen. Die reichsten zehn Prozent der Europäer und Europäerinnen hingegen haben ihren CO2-Ausstoß hartnäckig gesteigert.
Flug- und Autoverkehr hauptverantwortlich für CO2-Emissionen
Ehring: Aber es heißt doch immer, Klimaschutz ist teuer, man muss das Haus dämmen, kann eine Solaranlage aufs Dach montieren, vielleicht ein E-Auto kaufen, Bioprodukte für die Ernährung erwerben. Das kostet doch alles Geld und das kaufen eher die Reichen.
Alestig: Genau. Wenn wir uns angucken, woher die Emissionen kommen, dann sieht man in der Tat, dass die Emissionen der reicheren Bevölkerung vor allen Dingen von Emissionen von Flugreisen und Autofahrten herkommt. Die machen einen Großteil der Emissionen bei den reicheren Europäern aus. Die machen rund 30 bis 40 Prozent aus. Je mehr man verdient, desto mehr fliegt man und desto mehr fährt man mit dem Auto.
Große Ungleichheit auch in Deutschland
Ehring: Wie sieht es denn in Deutschland aus? Haben Sie auch Zahlen für Deutschland?
Alestig: Ja, wir haben auch Zahlen für Deutschland, und in Deutschland sieht die Situation relativ ähnlich aus. Man sieht auch innerhalb Deutschlands, dass die Ungleichheit sehr groß ist. Hier sind die reichsten zehn Prozent der deutschen Bürger*innen für fast genauso viele Emissionen verantwortlich wie die ärmste Hälfte der deutschen Bevölkerung. In Deutschland sind die totalen Emissionen zwischen 1990 und 2015 um 25 Prozent gesunken. Das war aber hauptsächlich eine Leistung der ärmeren 90 Prozent der Deutschen. Die haben ihre Emissionen weitaus mehr reduziert als die reichsten zehn Prozent in Deutschland.
Ehring: Dass Reichere mehr emittieren, ist verständlich. Aber warum wird die Lücke größer?
Alestig: Das kann man vor allen Dingen daraufhin zurückführen, dass die Ungleichheit innerhalb der EU immer weiter gestiegen ist in der Zeit. Selbst wenn die Emissionen sich reduzieren, werden die Emissionen auch weiter ungleich verteilt.
Ehring: Wie sähe denn gerechterer Klimaschutz aus? Wo könnte man da ansetzen?
Alestig: Wir sehen einfach, dass die Emissionen, die vor allen Dingen von Flugreisen und Autofahrten, wie ich gesagt habe, herrühren, dass die angegangen werden müssen. Wir müssen den exzessiven CO2-Ausstoß der Gutverdiener einschränken, die Ungleichheit angehen und die Wirtschaftssymbole aller klimagerecht umbauen, und hier ist der Verkehr ein wichtiger Hebel.
Alestig: Investieren in E-Mobilität und öffentliche Verkehrsmittel
Ehring: Was würde das konkret heißen?
Alestig: Auf der EU-Ebene sagen wir, dass die EU-Regierungen, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament den europäischen grünen Deal nutzen können, um sowohl Emissionen zu senken als auch die Ungleichheit in Europa zu bekämpfen. Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt eine neue Verordnung für Leistungsstandards in Kraftfahrzeugen, die genutzt werden könnte, um stark umweltverschmutzende Luxusautos zu verbieten, aber auch den Ausstieg aus der Nutzung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu beschleunigen und stattdessen in Elektroautos und öffentliche Verkehrsmittel zu investieren.
Auf Landesebene können die EU-Regierungen weitere Maßnahmen vornehmen. Auch hier ist der Verkehr ein wichtiger Hebel. Es könnte zum Beispiel Steuern auf klimaschädliche SUVs und Einführung von Gebühren für Vielflieger oder Business-Class-Flüge geben. Das wäre ein wichtiger erster Schritt.
Alestig: Gerechtigkeit spielt bei Klimazielen bislang keine Rolle
Ehring: Spielen denn bei der EU Gerechtigkeitsüberlegungen eine Rolle, wenn es in den nächsten Tagen um das Klimaschutzziel bis 2030 geht?
Alestig: Bisher noch nicht. Darum sagen wir auch, dass der europäische grüne Deal ein erster Schritt ist, aber er muss die Ungleichheit bekämpfen, um effizient wirklich die Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.