Leben nach Fukushima

Versuche, den Strahlen zu entgehen

Die strahlende Atomkraftwerkruine Fukushima aus einem Helikopter
Die strahlende Atomkraftwerkruine Fukushima © picture alliance / dpa
Von Michaela Vieser · 07.05.2015
In Okinawa herrscht vermeintliche Sicherheit. Viele Tokioter Familien sind nach Fukushima auf die südlichste Insel Japans gezogen. Doch auch hier lässt die Angst vor den Strahlen die Menschen nicht los.
Mit dem Taxi sind es nur zehn Minuten vom Flughafen Naha auf Okinawa bis nach Downtown. Okinawa ist die südlichste Insel Japans und weil sie mit dem Flugzeug nur zwei Stunden von Tokio entfernt liegt, sind nach dem atomaren Unfall in Fukushima viele Familien aus Tokio mit ihren Kindern hierhergezogen. Auch Uchiko. Auch sie hat Angst vor den radioaktiven Strahlen.
"Andere denken, dass ich überreagiere. Ich glaube das nicht. ich muss meine Kinder beschützen. Falls nichts passiert, dann ist ja alles gut. Wir haben das Geld und deshalb konnte ich umziehen, andere können das nicht."
Uchikos Mann ist einer der berühmtesten Musiker Japans, sie sind reich. In ihrem nagelneuen Haus, mitten in Tokio lebt jetzt nur noch der Ehemann. Uchiko und die drei Kinder sind in ein bescheidenes Apartment auf der Insel gezogen. Einmal im Monat fliegt sie zu ihm.
"Ich bin natürlich sauer auf die Regierung, und ich bin auch traurig, dass ich von meine Mann getrennt lebe. Er ist allein, ich leben hier in diesem kleinen Apartment und das große Haus in Tokio. Aber ich habe mich so entscheiden, ich habe mich für die Gesundheit meiner Kinder entscheiden."
Erzählt mit die 43-Jährige auf dem Weg zum Einkauf. Uchiko will Rindfleisch kaufen, fürs Abendessen.
Sie greift in die Kühltruhen und holt ein eingepacktes Fleischstück nach dem andern heraus, schüttelt den Kopf, legt es zurück und erklärt , dass es früher eine Auszeichnung war, wenn auf dem Fleisch der Aufdruck Nihon Kokusan stand, produziert in Japan. Heute ist das anders. Es ist ein Ausschusskriterium. Wenn die Präfektur, in der es produziert wurde nicht draufsteht, kauft Uchiko es nicht. Es könnte ja aus Ibaraki, Chiba, Fukushima, Gunma, Tohoku oder sonst irgendwo aus Ost-Japan herkommen. Regionen, in denen erhöhte Radioaktivität gemessen wurden – obwohl sie außerhalb der Sperrzone liegen.
Da es heute kein Fleisch gibt , auf dem eindeutig steht, dass es aus einer der sicheren Regionen also im West oder Süden Japans kommt, kauft Uchiko auch nichts ein. Am Abend gibt es dann eben eine Gemüsepfanne. Das Gemüse kommt aus Okinawa. Zum Kochen und Trinken benutzt sie nur Wasser aus Plastikflaschen. Alles andere kommt nicht in Frage. Auch wenn die Kinder gebadet werden, gilt Vorsicht: Ins Badewasser kommt löffelweise Backpulver ins Wasser, weil das vor Strahlenschäden nützen soll – angeblich.
3/11 nennen die Japaner den Tag, als am 11. März 2011 im Atomkraftwerk Daiichi die Kernschmelze begann und radioaktive Stoffe austraten. und nichts mehr so war, wie zuvor.
Selbst Parkanlagen werden geschlossen
Nach drei Tagen im vermeintlichen Inselparadies, fliege ich nach Tokio und treffe Sho, einen Fernsehproduzenten.
"Was sich am meisten geändert hat, ist, dass Dinge, die wir zuvor als selbstverständlich betrachtet haben, es heute nicht mehr sind. So haben wir zum Beispiel zuvor immer angenommen, dass Japan sicher sei. Auch das Essen dachten wir, sei sicher, sauber, das ist heute aber alles nicht mehr so."
Sicher ist heute in Japan nichts mehr: Selbst Parkanlagen nicht. Erst vor kurzem wurden sechs Parks in der Nachbarpräfektur von Tokio aufgrund erhöhter Strahlenbelastung geschlossen. Freunde erzählen mir, dass ihre Kinder nicht mehr draußen spielen dürfen. Schilddrüsenkrebs nimmt in manchen Gegenden rapide zu. Ein hoher deutscher Beamter will mir kein Interview geben, weil die offizielle Version sich nicht mit seiner deckt. Ich selbst bin misstrauisch: Tausche das Wasser im Teekocher gegen französisches Trinkwasser aus der Flasche aus und hoffe, es sieht mich keiner dabei. Pilze esse ich gar keine.
"Natürlich müssen die Bauern in Tohoku auch ihr Gemüse verkaufen und damit ihr Leben bestreiten, das tut mir ja auch Leid, aber da ich daran denke, wie ich meine Familie davor schützen kann, ziehe ich es vor, das Gemüse nicht zu essen."
Keiner will mehr Gemüse von nördlich von Tokio kaufen, auch wenn alle dazu aufgerufen werden. Die japanische Regierung hat gerade eine Solidaritätskampagne gestartet, Essen aus Fukushima zu genießen. Als Prince William im März in Japan war, wurde er gefilmt, wie er eine Schale Reis aus Fukushima aß. Und die japanischen Airline ANA serviert in ihrer Business Class Spezialitäten aus Fukushima.
Ist das gefährlich, frage ich den Strahlenphysiker Yoichi Tao. Er leitet das Programm "Resurrection of Fukushima", pflegt aber einen ganz eigenen Umgang mit dem Unglück.
"Ich habe die Atombombe von Hiroshima live miterlebt. Ich wusste damals natürlich nicht, was das bedeutet. Aber über den Zeitraum von zehn Jahren habe ich begonnen zu begreifen, was das war. Menschen aus Hiroshima wurden diskriminiert, die Frauen, weil sie keine Kinder bekommen konnten. Und daher war es ein Geheimnis, von klein an, so ab der Grundschule, dass ich aus Hiroshima war. Niemand durfte das wissen. Auch als ich nach Tokio gezogen bin, habe ich nie jemanden davon erzählt. Erst jetzt tue ich das.
Und was bekomme ich als Antwort? In letzter Zeit werde ich öfter gefragt 'Und – sind deine Kinder gesund?' Kann man sich vorstellen, dass ich das heute noch gefragt werde? Warum fragen die Leute mich das?
Und jetzt sehe ich, dass dasselbe mit Fukushima passiert. Die Leute sagen: man kann das Essen aus Fukushima nicht mehr genießen. Immer und immer wieder höre ich das. Dabei ist es unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass man Nahrung von dort wieder genießen kann."
"Letztendlich kann man nicht fliehen"
Yoichi Tao betont immer wieder: Nie ist etwas im Leben nur gut oder schlecht. Der Umgang mit Radioaktivität gehöre dazu.
"Das menschliche Leben hat eine lange Geschichte. Es gibt nicht nur ja und nein. Wir müssen uns auch langfristige Konzepte dafür ausdenken, wie Menschen auch noch in Zukunft hier leben können."
Durch Tschernobyl, durch Atomkraftwerke, durch lange Flugreisen, durch die natürlich auftretende Strahlung und den Abbau von radioaktivem Gestein aber auch durch medizinische Untersuchungen sind die Menschen, egal wo sie wohnen, heute mehr Strahlen ausgesetzt, als noch vor 100 Jahren, so Tao weiter.
"Ich versuche die Diskussion dahin zu bringen, dass wir ein globales Problem bewältigen müssen. Es geht um mehr. Selbst wenn man nach Okinawa flieht, das reicht nicht. Letztendlich kann man nicht fliehen."
Mit "Resurrection of Fukushima – Die Wiederauferstehung von Fukushima" startet Yoichi Tao eine Versuchsreihe, um mit einfachen Methoden die Strahlung aus der Erde zu schwemmen, und nicht, wie die Regierung versucht, durch Billigarbeiter den Boden abtragen zu lassen und ihn in schwarze Plastikmüllsäcke zu stecken.
Tags drauf sehe ich in einer japanischen Zeitung einen Cartoon mit zwei Menschen, die im Regen stehen. Nur einer hat einen Regenschirm, den er aber nicht aufgespannt hat. So werden beide nass. Darunter steht: Nur in Japan stellen sich aus Solidarität beide in den Regen.
Am Ende meiner Reise bade ich in einer heißen Quelle, fernab von Tokio, inmitten bewaldeter Berge. Es ist wunderschön hier. Auch, weil ich mich sicher fühle. 600 Kilometer liegen zwischen mir und Fukushima. Gefühlt Sicherheit.
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