Leben nach Corona

Ein Sommertagstraum

03:54 Minuten
In einem Garten sitzen Menschen zum Essen an einem langen Tisch.
Unbeschwert gemeinsam: Für viele im Moment ein ferne Erinnerung an Vor-Corona-Zeiten. Doch die Nach-Corona-Zeit wird kommen. © Unsplash / David Todd McCarty
Ein Gedankenspiel von Nicola Schubert · 20.01.2021
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Man wird ja noch träumen dürfen: zum Beispiel von einem unbeschwerten Sommertag mit Schwimmbad und Biergarten in einer coronafreien Zukunft. Die Schauspielerin Nicola Schubert malt sich einen Tag in Himmelblau.
Es ist heiß, 30 Grad im Schatten. Keine Arbeit, also Freundin anrufen und ab ins Freibad. Im Bus ist es so eng, dass mich der schweißnasse Arm eines anderen Passagiers streift. Der Mann keucht vor Hitze. An seinem Atem, der wegen der Enge im Bus direkt in mein Gesicht weht, kann ich erkennen, dass er ein Pfefferminzbonbon im Mund hat. Nicht direkt angenehm, so angeatmet zu werden. Aber was soll man machen, wenn es so voll ist!
Vor dem Bad hat sich eine lange Schlange gebildet. Alle stehen dicht an dicht und drängen sich noch weiter zusammen, damit die Letzten nicht mitten auf der Straße stehen müssen. Ungeduld liegt in der Luft, wird aber von der Aussicht auf die Erfrischung abgemildert. Es ist erst Vormittag, aber die Liegewiese ist schon überfüllt. Obwohl eigentlich viele in den Urlaub gefahren sind – nach Italien, Frankreich, an die Ostsee. Die große Welle: überbuchte Züge und Flugzeuge, man drängelt sich auf den Gängen und Sitzen. Alle Zuhausegebliebenen sind offenbar wie ich im heimischen Freibad.

Vom Beckenrand schubsen sich Kinder ins Wasser, die Bademeisterin brüllt vergeblich ins Megafon. Mit meiner Freundin teile ich mir eine Cola. Wir trinken aus derselben Flasche.
Unter der Dusche stehen zwei kleine Mädchen unter einer Brause, denn auch hier ist es voll. Dampf steigt auf, angereichert vom Atem der Duschenden in der Sammelumkleide. Aerosole, was war das nochmal?

... und mittags in den Biergarten

Mittags ziehen wir um in den Biergarten. Weil alle Tische bereits belegt sind, setzen wir uns zu einer Familie. Deren Kleinkind springt unvermittelt auf meinen Schoß und fasst mir ins Gesicht, wo es einen Rest Sonnenmilch auf meiner Haut verteilen möchte. Der Vater entschuldigt sich – halb so wild.
Im Supermarkt ist das Mineralwasser ausverkauft. Toilettenpapier gibt es genug. Ein überhitzter, schwitzender Mitarbeiter drängelt sich an Kundinnen vorbei, um eine weitere Kasse zu öffnen. Es ist rappelvoll, weil alle noch Grillgut kaufen wollen. Kein Einkaufswagen oder Korb ist mehr übrig.
Am städtischen Halbmarathon, der meinen Weg nach Hause durch Sperrungen etwas erschwert, nehmen 3000 Menschen teil. An der Strecke stehen noch mal so viele und feuern sie laut an. Ein Läufer rempelt beim Überholen einen anderen an, der zu Boden stürzt. Erschrocken reicht ihm der stehengebliebene Sportler die Hand und hilft ihm wieder auf.

Die Küche voller Leute

Nach Hause gehe ich am Abend nur schnell, um mich umzuziehen. Warum sollte ich an einem so warmen Tag auch viel Zeit in der Wohnung verbringen? Meine Mitbewohnerin sieht das offenbar etwas anders. Sie hat sich zehn Freundinnen und Freunde eingeladen, sie kochen zusammen. In der kleinen Küche haben sie sich zwischen Herd und Kühlschrank verteilt, ich passe gar nicht mehr in den Raum. Irgendwie geht es dann doch, ich bekomme einen Teller in die Hand gedrückt. Die Gäste lachen laut. Die Freundin mir gegenüber muss plötzlich niesen, ein Sprühregen ergießt sich über uns. Alle lachen noch lauter.
Obwohl es schon spät ist, gehen wir noch mal raus. Ein nächtlicher Rave im Park. Die Polizei ist auch da, hat aber wohl nur Augen für die Dealer. Zwischen den Bäumen feiern über hundert Menschen. Tanzende tauschen Küsse aus und drängen in die Mitte der wogenden Masse. Als die ersten Sonnenstrahlen zu sehen sind, wird es ruhiger. Arm in Arm liegen die Raverinnen und Raver auf der Wiese. Müde, zufrieden und entspannt lasse ich die Menschenmasse hinter mir und steige in die U-Bahn, mit der andere Leute gerade zur Schule, zur Arbeit oder zum Shoppen fahren.

Nicola Schubert ist Schauspielerin und freie Autorin. Sie begann bei den "Ruhr Nachrichten" und Radio 91,2 in Dortmund und mit einem Theater- und Medienwissenschaftsstudium. Zurzeit ist sie, nach Schauspieldiplom in Frankfurt am Main und Erstengagement in Ostwestfalen, am Theater Ulm engagiert.

© Birgit Hupfeld
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