Leben im Kollektiv

Das Theaterkollektiv SHE SHE POP mit einzigem "Hahn im Korb"
Das Theaterkollektiv SHE SHE POP mit einzigem "Hahn im Korb" © Stefanie Hermann
Von Sonja Kloevekorn · 08.03.2012
Annemarie Matzke, genannt Mieke Matzke, macht Theater. Sie gehört zur Gruppe She She Pop, einem Berliner Theaterkollektiv, in dem ausschließlich Frauen mitarbeiten. Deren Performance ist schwer auf einen Nenner zu bringen, genau wie Mieke Matzke: Autorin, Dramaturgin, Schauspielerin.
"Also ich bin 1972 in Braunschweig geboren, mein Vater ist Physiker, meine Mutter Verwaltungsangestellte, es war ein Elternhaus in dem sehr sehr viel gesungen wurde, ich war im Kinderladen, also bin eher so ein typisches 68er Kind."

Ein Café in Berlin Kreuzberg. Draußen herrscht klirrende Kälte, am Tisch sitzt Mieke Matzke und strahlt. Die mittelgroße, knapp 40-Jährige mit den grünen Augen, trägt die blonden Haare zum Knoten zusammengesteckt und trinkt einen Cappuccino.

"Und es war ein sehr liberales Elternhaus, die auch schon immer Interesse an Kunst hatten, auch wenn es nicht typisch kunstaffin war, also wir sind nie in Kunstausstellungen gegangen oder so."

Das typische 68er Kind interessiert sich in der Schule hauptsächlich für Geschichte. In ihrer Freizeit spielt Mieke Matzke Cello und entdeckt mit sechzehn in einer Mädchenmusiktheatergruppe die Leidenschaft fürs Theater.

"Das war für mich in der Zeit der Pubertät, wo ich gerade Probleme auch mit den Leuten in der Schule hatte, so eine zweite Heimat und ich hab gemerkt, es macht mir sehr viel Spaß da auf der Bühne zu stehen."

Trotz ihrer Begeisterung fürs Theaterspielen entscheidet sich die Abiturientin gegen ein Schauspielstudium und beginnt an der Universität in Gießen ein Studium für angewandte Theaterwissenschaften.

"Ich habe sehr früh gemerkt, ich will nicht Schauspielerin werden, weil ich das einen sehr abhängigen Beruf finde."

In Gießen genießt die Studentin den Freiraum des Studiums, bemerkt aber schnell eine klassische Rollenverteilung unter den Studierenden, die ihrem Verständnis von Emanzipation widerspricht: Während die Männer als Regisseure und Dramatiker dominieren, produzieren Frauen nur wenig selbst. Aus Protest und auch aus Spaß gründet Mieke Matzke daraufhin mit sieben Kommilitoninnen ein Frauenkollektiv.

"Und dann haben wir gemerkt, wir haben eigentlich Lust anders zu arbeiten und wollen jetzt selber auch nicht in diese Regie- oder Dramatikerinnenposition, sondern haben nach neuen Arbeitsmodellen gesucht."

Die Studentinnen machen alles gemeinsam, schreiben Texte, nähen Kostüme und performen selbst. Mitte der Neunzigerjahre gehen sie dann als feministisches Theaterkollektiv She She Pop auf den freien Theatermarkt und spielen auf Nachwuchsfestivals in Hamburg, Berlin und Zürich.

In dieser schwierigen Anfangszeit erhält Mieke Matzke ein Stipendium an der Universität in Hildesheim von dem sie erst mal leben kann. Mit ihrer Promotion legt sie den Grundstein für eine wissenschaftliche Laufbahn. Das Kollektiv hat hierbei einen erheblichen Anteil.

"Später für mich auch die Frage, schaffe ich es meine Doktorarbeit abzuschließen und gleichzeitig She She Pop zu machen und da hatte ich das Glück, dass es das Kollektiv gab, das dann weiter gemacht hat, auch wenn ich mal zwei Jahre sehr sehr wenig gemacht habe."

Auch heute verfolgt Mieke Matzke Wissenschaft und Kunst gleichermaßen. Nach ihrer Habilitation an der Freien Universität Berlin wird sie mit 37 Jahren Professorin in Hildesheim im Studiengang Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis. Ein Doppelleben in zwei Städten – während des Gesprächs in dem Café in Berlin Kreuzberg in der Nähe ihrer Wohnung erzählt die Künstlerin mit Begeisterung.

"Ich habe in Hildesheim den tollsten Job, den man sich vorstellen kann. Ich unterrichte wahnsinnig gerne und She She Pop ist gerade an so einem Punkt, wo wir auch das Gefühl haben, die äußeren Bedingungen stimmen gerade alle."

Alles super also, aber woher nimmt das wohlbehütete 68er Kind Mieke Matzke bei diesen guten äußeren Bedingungen das Protestpotenzial?

"Das ist jetzt glaube ich kein Protest gegen unsere Eltern im klassischen Sinne, sondern eigentlich vielleicht eher ein Protest gegen die Behauptung, die auch mit 68 und einer Liberalisierung der Gesellschaft verbunden ist, wir haben die Emanzipation der Frau, ihr habt alle Möglichkeiten, immer wieder die gesellschaftlichen Strukturen auch dahingehend zu hinterfragen, wo ist das denn eigentlich nur eine Behauptung."

Eng verknüpft mit der Emanzipation der Frau ist natürlich auch die Frage nach Kindern und Familie. Die unverheiratete und Kinderlose Mieke Matzke geht damit offensiv um: In der 2011 zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Inszenierung "Testament", holen sie und die anderen She She Pop Mitglieder ihre eigenen Väter auf die Bühne.

"Ja ich habe ein anderes Thema und zwar Kinderlosigkeit, ich bin jetzt 38 und wie es aussieht werde ich auch in nächster Zeit keine Kinder kriegen und habe auch jetzt keine. Ist das eigentlich für Dich ein Problem Papa, dass ich Dir keine Erben schenke?"

Die Antwort des Vaters darauf ist ein Schulterzucken. Die Probenarbeit mit ihrem Vater war nicht immer einfach. Mieke Matzke nimmt es aber sehr humorvoll. Familienleben scheint nicht negativ besetzt zu sein. Trotzdem lebt sie ein anderes Familienmodell als ihre Eltern.

"Das ist natürlich bei She She Pop, da sind die Überschneidungen Privatleben Beruf sehr eng und das ist auch Familie."

Auch wenn vom Kollektivgedanken in der 68er Generation nicht viel übriggeblieben ist, das 68er Kind Mieke Matzke hat ein altes Konzept entstaubt und für sich neu erfunden.

"Das Tolle ist natürlich, dass ich immer sagen würde, das Kollektiv selbst ist eigentlich unser Kunstprojekt."

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She She Pop