Leben auf dem Vulkan

Thomas Wiersberg im Gespräch mit Frank Meyer · 29.01.2013
Die Menschen westlich von Neapel leben auf "brennenden Feldern" - so nennen sie die Region, unter der einer der größten Vulkane der Welt schlummert. Manches scheint auf einen baldigen Ausbruch hinzudeuten, doch der Geochemiker Thomas Wiersberg warnt vor voreiligen Schlüssen.
Frank Meyer: "Brennende Felder", "Phlegräische Felder", so haben die alten Griechen ein Gebiet westlich von Neapel genannt wegen des Dampfes und des Rauchs, der dort aus der Erde aufsteigt. Unter diesen brennenden Feldern liegt ein sogenannter Supervulkan, die seltenste und gefährlichste Art von Vulkanen.

Seit Wochen hebt sich nun der Boden in dieser Gegend mit großer Geschwindigkeit, derzeit drei Zentimeter pro Monat. Einige Forscher befürchten, das könnte ein Anzeichen sein für einen bevorstehenden Ausbruch dieses Supervulkans. Der italienische Zivilschutz hat deshalb schon die Warnstufe für diese Gegend erhöht. Der Geochemiker Thomas Wiersberg vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam gehört zu dem internationalen Team, das die Vulkanaktivität unterhalb der brennenden Felder untersucht. Seien Sie willkommen, Herr Wiersberg!

Thomas Wiersberg: Ich grüße Sie!

Meyer: Herr Wiersberg, dieser Supervulkan bei Neapel, also nicht der Vesuv, sondern ein anderer, der ist schon mindestens zweimal ausgebrochen, vor 39.000 Jahren und vor 15.000 Jahren. Was waren denn damals die Folgen?

Wiersberg: Damals sind Mengen an Material freigesetzt worden, Größenordnung ungefähr 100 Kubikkilometer, bei dem früheren Ausbruch, vor 39.000 Jahren. Und Folgen dürften gewesen sein, dass es sicherlich lokale Folgen gegeben hat, dann aber auch regionale und vermutlich auch globale Folgen.

Meyer: Wenn Sie von lokalen und regionalen Folgen sprechen beim Ausbruch dieses Supervulkans, was meinen Sie denn damit konkret?

Wiersberg: Lokal im Sinne von im Prinzip der Gegend, die direkt beeinflusst wird, Größenordnung 100 Quadratkilometer. Alles Leben war ausgelöscht, Ähnliches wissen wir halt auch von Krakatau, dass da im Prinzip das Leben ausgelöscht worden ist innerhalb eines gewissen Raumes. Die Tsunamis, die ausgelöst werden könnten, bei der Campi-flegrei-Caldera wäre das durchaus möglich. Beim Krakatau hat es die Tsunamis ja gegeben. Santorin, klassisches Beispiel, kennen Sie wahrscheinlich auch aus dem Mittelmeer, hat es ja auch einen Tsunami gegeben, auch gewaltige Flutwellen, die wir aus Ablagerungen aus Kreta her auch kennen und wissen. Globale Folgen im Sinne der Aschemengen, die freigesetzt worden sind in die Atmosphäre, die dann auch klimarelevante Effekte hervorgerufen hat.

Meyer: Es heißt in einem Zeitungsbericht, dass der Ausbruch vor 15.000 Jahren mit seinen Aschemengen für einen jahrelangen vulkanischen Winter gesorgt habe – ist das so ungefähr die zutreffende Beschreibung?

Wiersberg: Das kann man so sagen. Ein vergleichbares Event hatten wir in 1883 in deutlich kleinerem Maßstab, als der Krakatau in Indonesien ausgebrochen ist, der hatte damals ungefähr 25 Kubikkilometer gefördert, also deutlich weniger als das, was wir von den großen Ausbrüchen der Campi-flegrei-Caldera, wovon wir ausgehen. Damals gab es auch eine Abkühlung der Durchschnittstemperatur auf der Nordhalbkugel um knapp ein Grad. So eine Abkühlung würde halt so lange dauern und einsetzen, bis die freigesetzten Teilchen wieder aus der Atmosphäre ausgewaschen werden. Insofern, solche Klimaphänomene sind durchaus wahrscheinlich.

Meyer: Wenn der Vulkan heute wieder ausbrechen sollte, könnten die Folgen ähnliche sein?

Wiersberg: Wir wissen nicht, wann der Vulkan und ob der Vulkan überhaupt ausbricht. Es könnte ähnliche Folgen haben, und natürlich, im Rahmen unserer heutigen globalen und vernetzten Welt könnten die Folgen noch viel drastischer und noch viel gravierender sein.

Meyer: Warum ist dieses Gebilde unter den Phlegräischen Feldern, warum ist das überhaupt ein Supervulkan? Was unterscheidet ihn von einem normalen Vulkan?

Wiersberg: Der Begriff Supervulkan bezieht sich eigentlich auf die ausgeworfene Menge von Material, von Lockermaterial, und auf die Höhe der Eruptionssäule bei einem solchen Vulkanausbruch. Und der Begriff Supervulkan ist eigentlich definiert für Vulkane, bei denen die Menge sich im Bereich von mindestens 1000 Kubikkilometern bewegt. Das ist eine sehr große Menge. Insofern würde der Begriff Supervulkan auf die Campi-flegrei-Caldera eigentlich nicht zutreffen, denn die Campi-flegrei-Caldera hat in ihren Ausbruchsphasen geringere Mengen freigesetzt. Immer noch große Mengen, aber geringere Mengen.

Es gibt da diesen sogenannten Vulkanexplosivitätsindex, und der würde bei Campi-flegrei bei sechs liegen, und Supervulkane, bei Definition oder Teildefinition, bei acht. Nichtsdestotrotz ist auch die Campi-flegrei-Caldera, mit dem Begriff Supervulkan wird sie häufig beschrieben, und das bietet sich halt auch an in diesem Fall.

Meyer: Es heißt, dass das ein unsichtbarer Vulkan sei, dieser Vulkan unter den Campi flegrei, von dem wir sprechen. Anders als der Vesuv zum Beispiel, der hat ja diese klassische Kegelform. Wir muss man sich das eigentlich optisch vorstellen? Wie sieht dieser Supervulkan aus?

Wiersberg: Nun, es handelt sich dabei im Prinzip um eine Magmenkammer, die sich geleert hat durch einen Ausbruch und die dabei zusammengebrochen, also eingebrochen ist. Es hat im Prinzip also keine klassische Vulkankegelform, sondern es ist eine im Untergrund sich befindende kesselartige Struktur. Und bei Campi-flegrei ist es halt so, dass die sich zum Teil halt auch unter dem Meeresboden befindet. Das heißt, die Campi-flegrei-Caldera bedeckt halt nicht nur Land, sondern auch Meer.

Meyer: Von was für einer Ausdehnung reden wir? Wie groß ist dieser Supervulkan?

Wiersberg: Campi-flegrei-Caldera-Ausdehnung – müsste ich schätzen, Größenordnung 20, 25 Kilometer?

Meyer: Immerhin ein gewaltiges Ausmaß. Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die Aktivität des Supervulkans unter den Phlegräischen Feldern im Süden Italiens mit dem Geochemiker Thomas Wiersberg.

Herr Wiersberg, ich habe vorhin schon erwähnt, der Boden in der Region hebt sich zurzeit mit großer Geschwindigkeit, jedenfalls für geologische Maßstäbe, drei Zentimeter im Monat. Ihr Potsdamer Kollege, der Geowissenschaftler Ulrich Harms hat gesagt, man sieht, dass das Ganze eine gewisse Bewegung zeigt, das ist beunruhigend. Wie ist diese Anhebung des Bodens überhaupt zu erklären?

Wiersberg: Das wissen wir nicht genau. Es könnte damit zusammenhängen, dass sich die Magmakammer wieder füllt, nur muss man auch in dem Zusammenhang sagen, dass es in der Vergangenheit schon häufiger Phasen dieser Hebung gegeben hat.

Es gab zwei Hebungsphasen, die auch recht gut wissenschaftlich dokumentiert werden konnten. Und zwar zwischen 1969 und '72 und von 1982 bis '84. Und in diesen Phasen gab es zum Teil Erhebungsraten von bis zu 14 Zentimetern pro Monat, also deutlich mehr als das, was wir jetzt messen mit den drei Zentimetern pro Monat, ohne, dass es zu einer vulkanischen Aktivität in Form eines Ausbruchs gekommen wäre. Das Problem ist also, was wir haben: Wir wissen einfach nicht, inwieweit die Hebung oder Beschleunigung der Hebung, muss man in diesem Fall ja jetzt auch sagen, mit einer möglichen zukünftigen Explosion der Campi-flegrei-Caldera halt zusammenhängen könnte.

Meyer: Wir erwarten von der Wissenschaft ja heute eine Menge, zum Beispiel vielleicht naiverweise, dass Sie da auf irgendeine Weise nachschauen könnten, wie diese Magmakammern gefüllt sind, wie nahe sie an einem möglichen Ausbruch sind. Das können Sie offenbar nicht?

Wiersberg: Wir haben bis jetzt nur Oberflächenmessungen durchgeführt, also Messungen von der Oberfläche. Aber was natürlich sinnvoll wäre, und das wurde auch 2012 begonnen, ist, dass man sich näher an den Ursprung dieser Phänomene begibt, und das wäre in diesem Fall mit einer Tiefbohrung. Und das ist 2012 auch begonnen worden. Man hat eine 500 Meter tiefe Pilotbohrung abgeträuft, um einfach an diesen Ursprung der Phänomene näher heranzukommen, um dort Proben zu nehmen und um dort auch entsprechende Instrumente einzubauen für Langzeitmessungen von Druck, Temperatur, Stress, seismischen Aktivitäten, Geochemie und anderen Dingen halt auch. Und neben dieser Pilotbohrung soll es halt noch eine ungefähr drei Kilometer tiefe Hauptbohrung geben, um bessere Informationen zu bekommen vom eigentlichen Ursprung dieser Phänomene her, dieser Hebungsphänomene her.

Meyer: Und was könnten Ihnen diese Informationen verraten?

Wiersberg: Nun, sie könnten uns einerseits verraten anhand der Proben, die man nehmen kann, um welche Vorgänge es sich handelt, wie diese Vorgänge abgelaufen sind in der Vergangenheit. Diese Langzeitmessungen könnten zusätzlich auch Informationen, wichtige Informationen liefern, wie diese Phänomene im Prinzip in der Gegenwart ablaufen. Und wir erhoffen uns natürlich daraus auch entsprechende Informationen oder Rückschlüsse zu gewinnen im Sinne einer zukünftigen Vorhersage.

Meyer: Der italienische Zivilschutz hat die Alarmstufe für dieses Gebiet schon angehoben, der Grund ist ja wahrscheinlich, dass der italienische Zivilschutz befürchtet, dort könnte etwas passieren.

Wiersberg: Es gibt keinen wissenschaftlichen Hinweis darauf, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen diesen Hebungen und vulkanischen Ausbrüchen. Wir wissen es einfach nicht. Tatsache ist aber auch, dass man natürlich, um bei einem Ausbruch gewappnet zu sein, gerüstet zu sein, entsprechende Evakuierungsmaßnahmen halt auch schon vorbereiten muss. Und hier scheint es noch Handlungsbedarf zu geben, insofern könnte ich mir vorstellen, dass man hier in besonderem Maße noch mal aufmerksam machen möchte auf das Gefahrenpotenzial.

Dass es ein Gefahrenpotenzial gibt, das ist eine Tatsache. Aber die Menschen leben halt auf einem Vulkan dort, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, aber wir wissen halt nicht, inwieweit diese Hebungsprozesse mit einer zukünftigen Eruption zusammenhängen könnten.

Meyer: Es geht ja um einen dicht besiedelten Raum, um eine Großstadt unter anderem, eben Neapel – kann man irgendwie sagen, was für Vorwarnzeiten man erreichen kann, wenn man zum Beispiel bei den Tiefenbohrungen, die Sie angesprochen haben, genauere Erkenntnisse über diesen Vulkan gewinnen kann?

Wiersberg: Das kann man im Prinzip noch nicht. Weil: wir wissen ja auch noch gar nicht mal, ob unsere Messungen oder diese Tiefbohrung, ob die uns Informationen liefern kann, die im Sinne einer Vorwarnung auch genutzt werden könnte. Beim Vesuv gibt es Evakuierungspläne, die davon ausgehen, dass man eine Vorwarnung, Größenordnung drei Wochen vorher, halt liefert, um dann in Ruhe evakuieren zu können. So was existiert aber für die Campi-flegrei-Caldera halt noch nicht.

Meyer: Was passiert im Supervulkan unterhalb der Phlegräischen Felder bei Neapel? Darüber haben wir mit Thomas Wiersberg gesprochen, er ist Geochemiker vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Herr Wiersberg, vielen Dank für das Gespräch!

Wiersberg: Ich bedanke mich!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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