Lawinen

Auf den Spuren der weißen Macht

29:48 Minuten
Eine Lawine stürzt den Berg hinab.
Naturgewalt: Ob sich eine Lawine vom Berghang löst, hängt zu großen Teilen vom Wetter und der Hanglage ab. © blickwinkel / dpa
Von Georg Gruber · 27.11.2018
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Freeriding und Tourengehen abseits der Skipisten liegen im Trend. Doch die Natur lässt sich nicht bändigen – und die Lawinengefahr könnte mit der Klimaerwärmung weiter steigen.
Julia: "Dann hab ich irgendwie versucht, Schnee wegzuschaufeln, das hat aber nicht geklappt, das war einfach so verrückt, weil ich gedacht habe, ich bin so nah an der an der Oberfläche, ich kann meine Hand bewegen und bin zu schwach, mich aus dieser Situation zu befreien und ich sterbe jetzt hier."

Sprengstoff gegen die Lawinengefahr

Vali Meier: "Also da ist eine Panzertüre, die ist doppelt verriegelt, es braucht einen Schlüssel, es braucht einen zweiten Schlüssel und einen dritten dazu."
Hinter der Eisentür ist eine kleine Kammer.
"Das ist so ein kleines Sprengstoffmagazin, eben mit 100 Kilo gelagert. Und wir haben das Raketenrohr, das haben wir hier gelagert."
Vali Meier ist Chef der Bergwacht "SOS Jakobshorn" im Schweizer Kanton Graubünden.
"Das ist eine ausgemusterte Armeewaffe, die war früher für die Panzerabwehr gedacht und heute ist sie nur noch für den zivilen Lawinenabschuss im Einsatz."
Die Bergstation der Gondel, wo sich auch das Sprengstoffmagazin befindet, liegt auf 2.600 Metern. Vali Meier ist schon um fünf Uhr morgens oben auf dem Berg, er achtet darauf, dass die Skifahrer und der Ort im Tal, Davos, sicher vor Lawinen sind.
Wenn es viel geschneit hat, wird gesprengt: Dann kommt die Panzerabwehr zum Einsatz oder sie fliegen mit dem Helikopter zu kritischen Hängen und lösen dort mit Sprengstoff Lawinen aus.
"Das sind jetzt vorfabrizierte Sicherheitsanzündschnüre, und vorne ist die Sprengkapsel dran, die Sicherheitsanzündschnur, die verzögert die Zeit."
An diesem Morgen ist es klar. Vali Meier bereitet nur eine kleinere Sprengung vor.
"Sicherheitsanzündschnüre müssen befestigt werden mit Isolierband, damit sie beim Werfen nicht aus der Ladung herausfallen können."

Von der Bergstation aus ist es nicht weit bis zum Gipfel.
Vali Meier, Chef der Bergwacht "SOS Jakobshorn", unterwegs mit dem Lawinensuchhund Wuppi.
Vali Meier, Chef der Bergwacht "SOS Jakobshorn", unterwegs mit dem Lawinensuchhund Wuppi.© Georg Gruber
Meier: "Weiter hoch geht's nicht mehr."
Reporter: "Wahnsinnspanorama."
Meier: "Ja, ist wunderbar."
Reporter: "Was sieht man alles? Kennen sie alle Berge?"
Meier: "Ja, ja, schon."
Reporter: "Wie heißt der Hund?"
Meier: "Sie heißt Wuppi, ist ein weiblicher Hund, eine Hündin, das ist ein belgischer Schäfer, ist sehr gut geeignet für den Lawineneinsatz."
Reporter: "Der findet die Leute?"
Meier: "Ja, genau, er ist immer dabei. Jetzt gehen wir noch ein Stück weiter nach unten."

Probesprengung bevor das Skigebiet freigegeben wird

An einem Hang mit Blick ins Tal bleiben wir stehen. In den vergangenen Tagen war Föhn.
"Das heißt Südwind. Und Südwind bedeutet, dass es den Schnee verfrachtet in die Nordhänge. Und wenn wir da schauen, da sehen wir Abgänge, eingeschneite Abgänge, wo es spontan Schneebrettauslösungen gegeben hat. Und das Ziel ist jetzt, eine Testsprengung auszuführen, eine Probesprengung, in einem Nordhang, wo der Auslaufbereich ist in Pisten und Anlagen."
Er nimmt den Sprengstoff aus dem Rucksack. Die Zündschnur ist 60 Zentimeter lang, das bedeutet 90 Sekunden bis zur Detonation. Vali Meier geht ein paar Schritte durch den tiefen Schnee in Richtung Hangkante.
Vali Meier, Chef der Bergwacht "SOS Jakobshorn", wirft den Sprengsatz für die Probesprengung.
Bergwacht-Chef Vali Meier wirft den Sprengsatz für die Probesprengung.© Georg Gruber
"Jetzt sehen Sie da, das Ziel war eigentlich zu prüfen, wie viel eingewindeten Schnee es hat in diesem Nordhang. Und man sieht jetzt: Oberflächlich ist es ganz leicht abgegangen. Also das heißt, die Schneedecke ist stabil, einzig oben ganz wenig der eingewindete Schnee ist ein bisschen labil. Das führt zu keinen größeren Abgängen. Also kann man für heute ein gutes Gewissen haben und das Schneesportgebiet öffnen, bis dann die Erwärmung einsetzt, wo sich dann wieder eine andere Beurteilung und eine andere Lawinensituation darstellt, können wir das Gebiet freigeben."
Der Wind ist ein Baumeister von Lawinen, von Schneebrettlawinen, sie sind für Wintersportler am gefährlichsten. Daneben gibt es Lockerschneelawinen und Gleitschneelawinen, wenn der Schnee die Haftung zum Untergrund verliert. Als besonders unfallträchtig gilt der erste Tag nach einem ausgiebigen Schneefall.

"Ich bin ein bisschen unüberlegt da reingefahren"

Andi: "Das war letztes Jahr, mein erster Skitag am Tegernsee am 9. Dezember. Ich bin mit zwei Freunden dahin gefahren. Das ist ein Rodelberg, wo eine alte Gondel hochfährt, der Wallberg. Und es hatte hier im Voralpenland sehr viel geschneit und wir waren rechtzeitig da, sind hochgefahren, eine halbe Stunde zum Gipfelkreuz gelaufen und dann ist das Schneebrett nach meinen ersten zehn Schwüngen schon abgegangen. Und ja, ich war sehr gierig. Es war sehr viel Neuschnee, hatte auch – glaube ich – den Tag davor sehr stark geblasen. Ich hab den großen Hang vor mir gesehen und bin bisschen unüberlegt da reingefahren und dann ging es ab."

Wetter und Hanglage sind entscheidende Faktoren

In der Regel gerät kein Ski- oder Snowboardfahrer zufällig in eine Lawine:
"Der allermeiste Fall ist, dass der Verschüttete die Lawine selber ausgelöst hat oder zumindest die Gruppe, in der er war, dass es eine andere Gruppe war und es kommt noch eine weitere Gruppe in Gefahr, das gibt es auch, aber eher selten."
Es gibt viele Faktoren, die Hänge gefährlich machen können: Neuschnee, Neigung, je steiler, desto riskanter, Ausrichtung, Nordhänge sind oft gefährlicher, Temperaturveränderungen und die Zusammensetzung der Schneedecke, die in der Regel aus verschiedenen Schneeschichten besteht.
"Die wichtigen lawinenbildenden Faktoren, die sind einerseits vom Wetter, da geht es um Niederschlag, Temperatur, Strahlung im Wesentlichen, dann die Schneedecke selbst, gibt es irgendwelche schwachen Schichten, die sich innerhalb von der Schneedecke gebildet haben und eben das Gelände, welches sehr match-entscheidend ist für die Bildung von Lawinen. Unterhalb von 30 Grad gibt es eben keine Schneebrettlawinen, zum Beispiel, und die Wahrscheinlichkeit von Schneebrettlawinen nimmt dann auch mit der Steilheit zu."
Lukas Dürr. Er arbeitet unten im Tal, in Davos, für das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, das älteste und weltweit immer noch führende Forschungsinstitut seiner Art. Hier wird auch das Lawinenbulletin erstellt, mit Einschätzungen der Gefahrenlage für die gesamten Schweizer Alpen, ein Muss für jeden Tourengeher und Freerider.
Aufnahme von 1953: Ein Mitarbeiter des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung bei Messungen auf dem Weissfluhjoch.
Aufnahme von 1953: Ein Mitarbeiter des traditionsreichen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung bei Messungen auf dem Weissfluhjoch.© KEYSTONE/ PHOTOPRESS-ARCHIV/ Margrit Baeumlin
In einem Warnraum werden Daten aus der gesamten Schweiz gesammelt und aufbereitet: Daten von Messstationen im Gebirge und Informationen von Bergbauern, Hüttenwirten und Bergführern, die regelmäßig Beobachtungen an das SLF weiterleiten.
"Und aus all diesen Datengrundlagen wird eben hier in diesem Warnraum ein Lawinenbulletin erstellt. Dieses besteht aus Gefahrenstufen, besonders gefährdeten Gelände und einer Beschreibung zu jeder Gefahrenstufe, mit der Gefahr, und einer Empfehlung für wenig erfahrene Tourengeher."
Von entscheidender Bedeutung ist die Stabilität des Schneedeckenaufbaus. Schnee ist nicht gleich Schnee: Temperaturunterschiede führen zu Umwandlungsprozessen innerhalb der Schneedecke. Die Kristalle verändern sich, Neuschnee ist weniger dicht, als Altschnee. Über den Winter legt sich Schneeschicht auf Schneeschicht, jede mit unterschiedlichen Eigenschaften. Ursache für Schneebrettlawinen sind letztlich Schwachschichten im Schnee.
"Wenn die Temperaturgradienten sehr groß sind, also sehr große Temperaturdifferenzen auf kurze Distanzen, dann wird die Schneedecke sehr stark aufbauend umgewandelt. Das heißt, es entstehen große kantige Körner, die relativ wenig Berührungspunkte haben untereinander und die eben wie eine Art Kartenhaus funktionieren. Da ist sehr viel Luft drin, da sind wenig Berührungspunkte. Und das kann man sich vorstellen, wenn da eine Schicht oben drauf zum Liegen kommt, dass da sich sehr leicht ein Bruch in diesem Kartenhaus in dieser schwachen Schicht bilden kann und sich die Schneetafel darauf eben großflächig vom Untergrund lösen kann, durch diesen Kollaps oder diesen Strukturbruch in dieser schwachen Schicht."
Ein solcher Strukturbruch läuft so ähnlich ab, wie das Anstoßen einer Reihe von Dominosteinen.
"Man beginnt irgendwo und dieser Bruch breitet sich dann kreisförmig in alle Richtungen ähnlich wie ein Dominoeffekt aus. Und so ist es eben möglich, dass wir mit unserem bescheidenen Gewicht von 80 Kilo mehrere hundert Tonnen Schnee in Bewegung versetzen können. Bekämen wir die ganze Ladung Schnee am 23. Dezember als Weihnachtsgeschenk, dann hätten wir keine Schneebrettlawinen, weil, dann gäbe es keine Schichtung. Es braucht verschiedene Schneefallphasen, Wettereinflüsse, die diese Schneedecken, Schneeoberflächen umwandeln und dann eine neue Schicht darauf, die dazu führen, dass wir am Schluss Schneebrettlawinen auslösen können."

"Man ist der wirklich voll und ganz ausgeliefert"

Andi: "Ich habe schon öfters Schneebretter ausgelöst, war dann meistens schnell genug, um dann noch wegzufahren, seitlich rauszufahren. Das hat in dem Fall dann gar nicht geklappt, weil das dann eben auch wahrscheinlich so auf 20 Meter Breite gerissen ist. Und das war schon erschreckend, dass man das so wenig noch unter Kontrolle hat. Man ist der wirklich voll und ganz ausgeliefert. Ich habe das schon gemerkt, dass das blöd wird und hab auch gewusst, dass unterhalb von mir viele große Bäume auf mich warten. Und dann ist es dunkel geworden und ich bin erst unterhalb von diesem Wald stehengeblieben und dann hat mich die Lawine wieder ausgespuckt und liegen gelassen.
Ich lag da und ich war so voller Adrenalin, dass ich dann irgendwann gemerkt habe, dass ich am Kopf verletzt bin. Dann kamen schon die beiden Freunde von mir. Der eine wollte neben mir anhalten und dann ist noch mal ein kleines Schneebrett mit ihm abgegangen. Das hat ihn aber nicht solange mitgenommen. Und dann haben wir uns da getroffen und besprochen und sind dann vorsichtig noch den Rest des Berges runtergefahren und dann ab ins Krankenhaus."

Schaufel, Sonde und LVS gehören zur Ausrüstung

Die Mitarbeiter des Forschungsinstituts gehen auch selbst raus, in die Berge. Oben auf dem Weissfluhjoch, auf rund 2700 Metern, werden von Hand Messungen gemacht - seit 1936, an jedem Tag, an dem Schnee liegt. Neuschnee, Schneehöhe, Einsinktiefe, Triebschnee, Krustendicke, Alarmzeichen im Gelände, frische Lawinenabgänge.
"Wir machen jetzt eine LVS-Sendekontrolle, dafür bitte ich euch alle, euer LVS auf Senden einzustellen. Prüft bei dieser Gelegenheit auch gerade den Batterieladestand, der sollte 50 Prozent oder mehr sein. Danach stellt ihr euch im Abstand von drei Metern zueinander auf und ich werde eure LVS prüfen, ob sie auf Senden eingestellt sind."

Jeder, der sich außerhalb der Pisten bewegt, sollte so ausgerüstet sein, mit Schaufel, Sonde und einem Lawinenverschüttetensuchgerät, kurz LVS. Inzwischen gibt es auch Rucksäcke mit Lawinenairbags. Lukas Dürr und sein Kollege Martin Heggli wollen an diesem Vormittag abseits der Piste ein Schneeprofil graben, um die Schneeschichten analysieren zu können.
Lawinenverschüttetensuchgerät (LSV).
Überlebenswichtig: Das Lawinenverschüttetensuchgerät (LSV).© dpa
Martin Heggli: "Ich hab 85 Prozent."
Lukas Dürr: "Du hast auch genügend Batterieladestand?"
Reporter: "Wo checke ich den?"
Dürr: "Beim einschalten."
Reporter: "79 Prozent. Gerät sendet, ist ok."
Dürr: "Okay, dann bitte ich euch, das Gerät in einen Traggurt zu stecken und unter einem Kleidungsstück zu versorgen. Das Gerät darf nicht an oberster Stelle liegen, weil es sonst im Falle eines Lawinenabgangs abgerissen werden könnte."

Tourengehen und Tiefschneefahren liegen im Trend

Der Himmel über dem Weissfluhjoch ist bedeckt. Wir gehen mit Tourenski und Fellen durch den Tiefschnee ein Stück Richtung Schwarzhorn hinauf.
Martin Heggli nimmt erste Daten in einem Protokoll auf, angefangen bei Wetter und Lufttemperatur, auch die Temperatur der Schneeoberfläche wird gemessen. Dann graben die beiden gerade nach unten, bis man alle Schneeschichten gut erkennen kann.
"Da sieht man schon vom Auge sehr große Unterschiede zwischen den Schichten, und du siehst: Hier unten gibt es Schichten, die einen extrem stark an Zucker erinnern, einfach sehr grobkörnigen Zucker, das heißt, diese Schneekörner haben sich sehr stark umgewandelt unter dem Temperaturgradienten und stark aufbauend umgewandelt. Und diese Schneekörner, die sind wie große Eiswürfel, kantige Eiswürfel, die haben wenig Bindungen zueinander und große Hohlräume, darum rieseln sie beinahe raus, wenn ich da mit der Hand reinfahre. Das hört man auch, das ist von dem her eine sehr schöne Stelle. Man sieht hier den neueren Schnee, dann diesen groben alten Schnee und unten ein paar dünne Schichten und weitere grobkörnige Schichten, bis an den Boden."
Getestet wird auch, wie stabil die Schneeschichten sind, wann sie ins Rutschen kommen und wie sich der Bruch über die Fläche ausbreitet. Durch Druck von oben, zuerst mit unterschiedlich intensiven Schlägen auf die Schneedecke.
"Jetzt spring ich von oben auf den Block." – Zum Schluss springt Lukas Dürr mit seinen Skiern auf einen freigestellten Schneeblock von zwei mal 1,5 Metern, bis der Schnee nachgibt und bricht. Die so gesammelten Daten fließen in das Lawinenbulletin ein – auch wenn Beobachtungen aus Schneeprofilen nicht so leicht verallgemeinert werden können, zu speziell sind meist die Begebenheiten vor Ort.
"Aber, was man sagen kann, wenn man eine solche Stelle in einem sehr steilen Hang trifft, als Skifahrer, dann wäre es durchaus denkbar, hier eine Lawine auszulösen."
Lukas Dürr und Martin Heggli vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) beim testen der Schneeschichten.
Lukas Dürr und Martin Heggli vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) beim testen der Schneeschichten.© Georg Gruber
Immer mehr Sportler verlassen die gesicherte Piste. Tourengehen und Tiefschneefahren liegt im Trend. Trotzdem ist die Zahl der Lawinentoten im Alpenraum in den vergangenen Jahrzehnten eher rückläufig. In Österreich starben in den 50er-Jahren noch jedes Jahr fast 50 Menschen durch Lawinen, heute etwa 20. Ähnlich verhält es sich in der Schweiz.
"Ich stelle fest, dass die Leute sich sehr gut informieren und sehr gut ausgerüstet sind. Und wenn man bedenkt, Davos, ist eines der größten Freeride-Gebiete der Schweiz, wenn nicht das größte. Und wenn wir in einem Winter, wo so viele Bewegungen draußen sind, dieses Jahr noch keine Lawinentoten hatten oder im Schnitt ein bis zwei, so muss ich sagen, ist es gefährlicher, wenn ich nach Zürich mit dem Auto fahre."

"Du wirst da rumgeschmissen und -gewirbelt"

Julia: "Das war am 16. März, jetzt dieses Jahr. Es war ein super sonniger Tag und der Schnee war schön. Wir waren ausgerüstet und ich hab auch einen Helm an und halt mit Pieps, Sonde, Schaufel und ABS-Rucksack. Und dann sind wir auf den Grat hochgestapft und dann sind wir dahinten rein und die Rinne sind wir dann runtergefahren und es war total super. Und der Andi hat gemeint, ich soll einfach in seiner Spur bleiben und hinter ihm rausfahren und das hab ich dann auch gemacht und unter diesem Felsband wollte ich dem Andi hinterherfahren und hab dann links hochgeschaut und hab einfach gesehen, dass von oben ein Riesenschwall Schnee kommt. Und dann, das ging halt alles total schnell, und dann kam dieser ganze Schnee und das ist ein bisschen wie beim Surfen, wenn du bei einer größeren Welle in die Waschmaschine kommst, also in die Gischt, nur dass du weißt, du kommst dann wieder hoch nach ein paar Sekunden, du musst nur ein paar Sekunden aushalten und du kommst dann wieder hoch. Und in der Lawine ist das halt so, du wirst da rumgeschmissen und -gewirbelt, aber du kommst nicht mehr hoch, mein erster Gedanke war so: Fuck! Das kann jetzt nicht wahr sein!"

Wichtig: Atemwege so gut wie möglich schützen

Die ersten 15 Minuten sind entscheidend, wer dann gefunden wird, hat große Chancen zu überleben, erklärt Vali Meier vom SOS Jakobshorn. Lawinenopfer bergen gehört zu seinem Job.

"Man sollte ja nie alleine unterwegs sein, also mindestens zu zweit oder in einer Gruppe. Und nach dem Abgang ist natürlich sehr wichtig, dass man sofort die Mittel, die man hat, das Lawinensuchgerät, die Sonde, die Schaufel einsetzt, damit man eben in dieser Viertelstunde im Stande ist, einen Kameraden zu retten."
Wer in eine Lawine gerät, sollte vor allem versuchen, seine Atemwege zu schützen.
"Weil, in der Lawine oder unter dem Schnee hat es genügend Sauerstoff, kann man längere Zeit überleben. Aber die Problematik ist, wenn die Atemwege verlegt sind, das heißt, Mund und Nase gefüllt sind mit Schnee, hat man keine große Überlebensmöglichkeit. Und so ist es wichtig, mit den Handschuhen, ist es eine gute Möglichkeit, versuchen, die Atemwege zu schützen oder mindestens den Mund beim Abgang zu schließen."

"Das ist so gewaltig, diese Massen von Schnee"

Julia: "Dann hab ich gemerkt, dass das einfach viel zu viel Schnee ist. Ich konnte gar nichts machen, ich hab versucht, irgendwie zu rudern oder sonst irgendwas. Man weiß ja auch, dass man mit den Händen eine Höhle vor dem Gesicht bilden soll, das kann man alles total vergessen. Das ist so gewaltig, diese Massen von Schnee. Und dann war ich halt unten drunter und ich hab halt gemerkt, dass meine Hand rausschaut und das war das einzige, dass ich nicht sofort total den Verstand verloren habe.
Ich konnte nicht den Schnee vor meinem Gesicht wegschaufeln und dann hatte ich meine Jacke, ich hatte so eine Hardshell-Jacke an, die ging mir über den Mund bis zur Nasenspitze und ich hab so das Gefühl gehabt, ich ersticke an meiner Jacke. Und es war überall Schnee, in meiner Brille war Schnee, aber es war irgendwie nicht komplett schwarz, sondern man konnte so erahnen, dass irgendwie noch Licht durchkommt. Und dann hab ich irgendwie versucht, Schnee wegzuschaufeln. Das hat aber nicht geklappt, das war einfach so verrückt, weil ich gedacht habe, ich bin so nah an der an der Oberfläche. Ich kann meine Hand bewegen und bin zu schwach, mich aus dieser Situation zu befreien und ich sterbe jetzt hier."

Lawinenmessung per Drohne

Ein Seitental nicht weit von Davos: Nach dem letzten Dorf, ganz hinten, gut zehn Minuten mit dem Auto, kommt eine Wirtschaft, ein beliebtes Ausflugsziel. Neben der Wirtschaft, keine 100 Meter entfernt, ist eine Lawine abgegangen.
"Es hätte noch in diese Richtung, noch 50 Meter mehr und dann hätten wir die Ablagerungen direkt vor der Tür von diesem Restaurant gehabt."
Perry Bartelt ist Forscher am SLF. Zusammen mit seinem Kollegen Yves Bühler ist er hierhergekommen, um die Lawine zu vermessen. Mit einer Drohne, die den Hang abfliegt.
"Man kann die Lawine so sehr genau dokumentieren, das hat man vorher so nicht gekonnt. Man konnte vielleicht mit dem GPS rumlaufen und den Auslauf vermessen. Aber so hat man auch die Massenverteilung, die Schneehöhen, die abgelagerten und auch die Anrissgebiete, zum Teil. Wo ist zum Teil wie viel Schnee angerissen, mit welcher Höhe? Das hat man vorher nicht erheben können."
Yves Bühler: "Jetzt können wir mal oberluga, da ist das Haus mit den zwei Autos, jetzt haben wir die Lawine."
Perry Bartelt: "Kannst du mit dem Haus, sodass wir die Distanz…"
Bühler: "So?"
Bartelt: "Ich würde gerne die Entrainement-Spuren sehen: Wie viel Schnee es auf dem flachen Gebiet aufgenommen hat."

"Natur ist Natur, mit dem sind wir aufgewachsen"

Das Ausflugslokal wurde 1999 von einer Lawine teilweise verschüttet, erzählt der Wirt.
Wirt: "Ja, das halbe Haus war weg. Und dort durfte man es wieder aufbauen und dann wurde die ganze Zone umgezont in die rote Zone, also Schutzzone oder Gefahrenzone eins. Und wenn jetzt noch mal sowas passiert, darf es nicht wieder aufgebaut werden."
Reporter: "Aber sind Sie da auch nachts oder nur tagsüber?"
Wirt: "Zum Teil auch nachts, ja."
Reporter: "Aber wenn das jetzt hier rot ist, heißt das, es könnte theoretisch passieren?"
Wirt: "Ja, das ist die Natur, das wird schon überwacht, vom Lawinendienst von Klosters, aber Natur ist Natur, mit dem sind wir aufgewachsen."
Eine Schneelawine geht ab, ausgelöst durch eine Testsprengung.
Eine Testsprengung löst eine Lawine aus - durchgeführt von Lawinenforschern des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im Mittelwallis.© KEYSTONE
Mit den Aufnahmen der Drohne kann Perry Bartelt im Institut die Lawine am Computer nachmodellieren, mit Hilfe einer speziellen Software. Um zu lernen, unter welchen Bedingungen sich so ein Vorfall wiederholen könnte.
"Das ist für uns sehr interessant zu wissen, was die Reichweite einer Lawine ist. Dieses Jahr haben wir hier auch eine Nassschneelawine, die sehr weit gegangen ist. Hier hat man auch das Problem: Das Restaurant ist eigentlich sehr gut positioniert, aber es ist seitlich von dem Lawinenzug. Die Frage ist: Könnte dieser Lawinenarm dieses Restaurant erreichen?"
Kritisch seien hier besonders Nassschneelawinen, erklärt Perry Bartelt.
"Sie haben eine Tendenz, sie könnten plötzlich eine Kurve machen und sie könnten eine Gegend bedrohen, anders als eine kalte, trockene Staublawine. Und darum sind wir da. Wir erwarten in Zukunft Klimaveränderungen mit wärmeren Temperaturen, mehr von diesem Typ Lawinen und darum nehmen wir das auf. Was wir auch erwarten, ist: Es gibt Mischformen. Wir können Schnee oben haben, dieser Schnee wird durch Regen, eine erhöhte Temperatur instabil. Es fängt an zu fließen und dann nimmt es nicht mehr Schnee auf, sondern Geröll. Diese Schneelawine startet als eine Schneelawine, aber endet als ein Murgang oder eine Steinlawine. Und vor dieser Mischform von Lawinen haben wir besonders viel Angst, dass es in Zukunft mehr gibt von dieser Art von Lawinen, nicht eine pur reine Schneelawine, sondern ein gemischte Stein-Schnee-Wasser-Lawine."

"Ich fand das schade, dass ich jetzt sterben muss"

Julia: "Dann bin ich irgendwie weggetreten. Ich hab mich dann schon so damit abgefunden, dass ich jetzt sterbe, so, also ich fand das irgendwie schade, dass ich jetzt schon sterben muss. Aber das schlimme war halt, dass ich mir dann gedacht hab, ich lass jetzt wegen so einem Scheiß mein Kind einfach zurück, die auch gerade ihre Oma verloren hat, und das hat mich, der Gedanke hat mich total fertig gemacht. Und dann kam der Andi - jetzt könntest du weiter erzählen."
Andi: "Ich hab eben das Brett gesehen und die Hand. Und am Anfang hat sich die Hand eben noch bewegt und ich hab gedacht, sie winkt mir irgendwie zu. Und als ich dann hingekommen bin, hab ich eben gesehen, dass eben nur das Handgelenk und die Hand rausguckt. Und dann hat sie sich auch schon nicht mehr bewegt. Und dann habe ich sehr schnell ihren Kopf ausgegraben. Es kam mir zumindest so vor, dass sie auch schon so ein bisschen violett aussah und die Lippen waren auch schon so ein bisschen bläulich schon und sie hat auch - ich habe es mir zumindest eingebildet, dass sie nicht mehr geschnauft hat. Und sie war bewusstlos. Und dann habe ich das Gesicht freigegraben und hab sie sehr laut angeschrien: Atme, atme, atme! Und dann hat sie irgendwann einen tiefen Schnaufer gemacht und hat gesagt: Andi, du bist da. Und dann hat sie gesagt: Ich sterbe jetzt. Und dann hab ich weiter gegraben und sie immer angeschrien, dass sie atmen soll, atmen soll – und irgendwann war sie dann wieder da.
Und dann habe ich sie fertig ausgegraben. Und verrückterweise war die Julia dann relativ gefasst, als sie dann wieder draußen war aus dem Schnee. Und ich hab dann einen schlimmen Heulkrampf gekriegt und mir wahnsinnig viele Vorwürfe gemacht. Und so absurd es war, hat die Julia mich dann getröstet, weil ich wirklich die Fassung verloren hab. Und dann sind wir doch relativ ängstlich und eingeschüchtert ganz runter Richtung Flussbett und dann haben wir noch mal eine halbe Stunde raus gebraucht, bis wir wieder an der Gondel waren. Und ja, so war das."

Der Klimawandel könnte neue Gefahren mit sich bringen

Der Schnee – noch immer gibt es offene Fragen, besonders, wie sich der Klimawandel auf das Lawinenaufkommen auswirken könnte. Das soll nun in einem neuen Forschungsprojekt am Schweizer SLF untersucht werden, denn, so heißt es in der Projektbeschreibung, "die Klimaerwärmung lässt Gletscher und Permafrost im Hochgebirge schmelzen und destabilisiert so Gesteinsmassen von enormem Ausmaß". Dazu kommt: Durch wärmere Temperaturen ändert sich auch die Schneedecke und die damit verbundene Lawinenbereitschaft.
Das Fahren abseits der Piste wird dennoch weiter boomen – solange es noch Tiefschnee gibt. Trotz der Gefahren.

"Keine Abfahrt ist es wert, dass man so von der Welt geht"

Andi: "Das Ereignis mit der Julia war für mich eigentlich tatsächlich traumatisierender, weil ich gemerkt habe, dass sich mein Leben so radikal geändert hätte. Und das war relativ knapp und ich glaube, sie wäre auch nicht oben geblieben, wenn sie den Rucksack nicht gezogen hätte und wenn ich diese Brettspitze nicht gesehen hätte, oder die Hand, dann wäre ich sicherlich auch mit dem Pieps, wenn ich sie hätte suchen müssen, zu spät gekommen. Und das hatte für mich dann doch eine stärkere Konsequenz. Ich glaube, ich werde das nicht mehr machen, dass ich Menschen dazu überrede, mit mir irgendwo runterzufahren. Ich glaube, jeder muss diese Entscheidung für sich selber treffen. Und bei dieser Rinne war es schon so, dass die Julia oben zu mir gesagt hat: Andi, ist mir ein bisschen zu heikel, und - das war schrecklich, ganz schrecklich. Und das arbeitet immer noch in mir, das Ereignis mit meiner Frau."
Julia: "Ich will es nie wieder erleben in meinem Leben und es steht einfach nicht dafür. Keine Abfahrt ist es wert, dass man dann so von der Welt geht. War das jetzt zu dramatisch? Nein, es ist einfach dramatisch. Es ist einfach Scheiße gewesen und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder - ich weiß nicht, wie es nächsten Winter wird."
Andi: "Im Grunde will ich natürlich auch in Zukunft nichts anderes machen, außer bei viel Neuschnee unverspurte Hänge runter fahren, trotz meiner Lawinenerlebnissen. Für mich ist es fast das größte Glück, was ich hab, es macht mich sehr glücklich."
Julia: "Der Andi wartet doch den ganzen Sommer auf den Winter."
Andi: "Man ist sich ja schon bewusst über die Gefahren. Und jetzt einfach einen Schritt zurück zu gehen und zu sagen, man geht jetzt wieder in ein Skigebiet fahren – also dann würde ich es halt lieber aufhören. Weil, ich weiß genau, was mich glücklich macht und das sind halt die Tage, wo es halt auch gefährlich ist. Also ein bisschen vernünftiger sein, nicht mehr ganz so gierig."
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