"Lauschangriff" im Kuhstall

Von Michael Engel · 23.06.2010
Ein Wissenschaftler aus Braunschweig hat ein Sprachanalyseprogramm für Kühe entwickelt, mit dem der Bauer im Großbetrieb schneller herausfinden kann, wie es den Tieren geht.
Und da sage noch einer, alle Kühe klingen gleich. Weit gefehlt, entgegnet Dr. Gerhard Jahns aus Bortfeld bei Braunschweig. Kühe muhen sehr unterschiedlich, je nachdem, was gerade anliegt.
Diese "Kuhdame" hier lässt sich gerade ihre "Fußnägel" machen. Klingt genüsslich, ist es aber nicht.

"Das ist Klauenpflege. Pediküre (lacht), wenn Sie so wollen. Das Tier muss fixiert werden und insbesondere dieses Fixieren ist unangenehm, aber - genauso wie die Klauenpflege - nicht schmerzhaft."

Dabei sind Kühe eigentlich eher ruhige Vertreter. "Muh" machen sie nur dann, wenn es Probleme gibt - bei Hunger oder Durst oder wenn die "Dame" Lust verspürt, aber kein Bulle in Sicht ist. Ansonsten ist es im Kuhstall eher still, weiß der pensionierte Agrarwissenschaftler – ehemals Mitarbeiter in der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig.

"Das liegt daran, dass sie von der Tierart her 'Beutetiere' sind. Und Beutetiere gehen natürlich hin und verhalten sich so leise wie möglich – selbst bei Verletzungen. Und daher ist ihr Vokabular relativ gering."

So umfasst das Vokabular der Kühe gerade mal zehn verschiedene Laute, die für das ungeübte Ohr sowieso irgendwie alle nach "Muh" klingen. In Wahrheit drücken die Tiere ganz unterschiedliche Bedürfnisse aus. Darüber hinaus gibt es noch eine Art "soziale Kommunikation" – muhen in geselliger Runde.

Bauern wissen natürlich, was die einzelnen Rufe bedeuten. Selbst dann, wenn die Tiere – je nach Rasse - unterschiedliche "Akzente" haben. Für die Entwicklung eines Spracherkennungsprogramms musste Dr. Gerhard Jahns erst einmal eine Art "Wörterbuch" für die Kuhsprache erstellen.

Das digitale Wörterbuch kennt heute rund 700 Lautäußerungen von 39 Kühen. Ein Sprachanalyseprogramm, das zum Beispiel auch in Navigationsgeräten eingesetzt wird, identifiziert dann das aktuelle Klangmuster, sucht in der Datenbank nach der Bedeutung und präsentiert das Ergebnis: Hungrige Tiere werden mit 100-prozentiger Sicherheit herausgehört, brünstige Kühe in 88 Prozent der Fälle, Tiere mit prallem Euter zu 74 Prozent.

"Man muss ja davon ausgehen, dass ein solches System für die Massentierhaltung gedacht ist. Ein Landwirt mit zehn, zwanzig, dreißig Kühen, der ist häufig im Stall, der kennt seine Tiere, der ist auf so etwas nicht angewiesen. Wenn Sie dagegen aber einen sehr großen Stall, also 100 oder bis zu 1000 Tieren haben, dann haben Sie unter Umständen auch Hilfskräfte, die die Tiere versorgen, und die werden so etwas durchaus übersehen können."

Mit dem "Lauschangriff" im Kuhstall lässt sich das Problem elektronisch lösen. Sogar für wenig Geld. Taugliche Mikrofone gibt es heute für zwei Euro im Elektronik-Laden. Einen Rechner hat heute sowieso jeder. Die Software stellt Gerhard Jahns sogar kostenlos zur Verfügung. Und während der Landwirt gerade eine E-Mail nach Brüssel abschickt, schlägt der Monitor Alarm.

"Ja, die Vorteile sind in der Tat, dass man sehr früh – im Grunde genommen sofort – erkennen kann, hier stimmt dies und jenes nicht. Es hat keinen Zweck, wenn Sie nachher feststellen, dann einen Tag später, das Tier hat Hunger oder Durst gehabt, sondern das müssen Sie schon sofort feststellen."

Noch größer sind die akustischen Herausforderungen beim nächsten Projekt. Im Visier des ruhelosen Rentners ist der kleine Beutenkäfer – lateinisch "Aethina tumida". Die unscheinbaren, nur fünf Millimeter kleinen Winzlinge aus Übersee dringen in Bienenkörbe ein und vertilgen die gesamte Brut mit Haut und Haaren. Ein Todesurteil für das Bienenvolk. Die Hoffnung des Tüftlers: Mit dem Mikrofon an der Wabe die extrem leisen Fressgeräusche heraushören, digital diagnostizieren, den Imker elektronisch alarmieren: Big Brother für die Bienen.