"Late Shift" von CtrlMovie

Interaktiver Thriller per App

Eine Hand hält eine Pistole. CZ 75 SP-01 SHADOW, Standard size duty and defence pistol, cal. 9 mm Luger; 9x21.
Der interaktive Film "Late Shift" ist ein Thriller über einen Raubüberfall. © picture alliance / dpa / Rene Fluger
Von Simone Schlosser · 22.03.2016
Es kommt auf Sekunden an: Im ersten interaktiven Film eines Schweizer Start-Ups bestimmt das Publikum die Handlung. Die Zuschauer von "Late Shift" können 180 Entscheidungen treffen, die dann zu sieben unterschiedlichen Film-Enden führen.
"Late Shift " beginnt mit seiner Hauptfigur Matt: Der Student arbeitet als Parkhauswächter in einem Londoner Nobelviertel. Eigentlich hat er sich auf eine ruhige Nacht eingestellt, doch schnell muss er seine erste folgenschwere Entscheidung treffen: Soll er der jungen Frau den Maserati geben oder nicht?
"I need a favor: I need the keys to the Masarati." – "Fuck."

Entscheidungen im Zwei-Minuten-Takt

Die Entscheidung treffen die Zuschauer per App: Innerhalb weniger Sekunden kann man entweder zustimmen, und die Schlüssel heraus geben, oder sich auf eine lange Diskussion einlassen. Wenn man nicht reagiert, läuft der Film automatisch weiter. Produzent Baptiste Planche und Regisseur Tobias Weber von der Schweizer Filmproduktion CtrlMovie haben "Late Shift" produziert:
Baptiste Planche: "Am Anfang stand eigentlich dieses Erlebnis eines Film-Zuschauers oder Kino-Besuchers, der in der Handlung steckt, der sich mit dem Protagonisten des Films identifiziert, und versucht ist, dem Helden oder Anti-Helden der Geschichte zuzuschreien, tu das, oder tu das nicht, oder tu's doch endlich."
Als Zuschauer muss man etwa alle zwei Minuten eine Entscheidung treffen. Der Einfluss auf den Verlauf ist unterschiedlich. Denn die Grundhandlung des Films ist vorgegeben: "Late Shift" ist ein Thriller über einen Raubüberfall, und als unfreiwilliger Held wird Matt unwillentlich darin verwickelt:
"Get over here. I need you to tie her up." (Lärm) (Schüsse) "Get back here."
Erst wird er unter vorgehaltener Waffe zum Diebstahl eines der Luxus-Autos aus dem Parkhaus gezwungen. Dann muss er sich als Teil einer kriminellen Bande an einem Raubüberfall auf ein Londoner Auktionshaus beteiligen:
"Simon, we're at the door." – "On the right make 5-2-0-9." – "Got it, we're in."

Sieben verschiedene Film-Enden sind möglich

Baptiste Planche: "Wir haben versucht, einen schönen Rhythmus, ein stimmiges Wechselspiel zu finden, zwischen Entscheidungen, die eher spielerisch sind. Dann gibt es Entscheidungen, die offensichtlich sehr relevant sind. Andere Entscheidungen, die als nichtig erscheinen, dann aber doch große Konsequenzen haben. Das wollten wir unbedingt machen, weil wir denken, dass das Leben auch so funktioniert. Und ich denke, darin besteht auch ein Anreiz für den Zuschauer, dass er nicht genau weiß, welche Entscheidungen jetzt wirklich starke Konsequenzen haben werden."
Potenziell ist jede Entscheidung relevant, und der Einfluss nimmt im Verlauf zu. Insgesamt sind sieben verschiedene Film-Enden möglich – vom Happy End bis zum düsteren Showdown. Ein Problem ist allerdings die Entwicklung der Hauptfigur Matt: Die App lässt den Zuschauern nicht viel Zeit, zu entscheiden. Ist Matt in einer Szene noch ein Draufgänger, wird er in der nächsten zum Angsthasen. Eine konsistente Figurenentwicklung ist dadurch schwierig.
Bemerkenswert ist allerdings die filmische und technische Leistung der beiden Filmemacher. Zumal das Budget mit knapp eineinhalb Millionen Euro vergleichsweise gering war. "Late Shift" ist der erste interaktive Film der als solcher funktioniert: Eine Entscheidung fügt sich nahtlos in die nächste, ohne dass der Filmfluss unterbrochen wird. Man sieht keinen Schnitt, der Soundtrack läuft weiter:
Baptiste Planche: "Die Finanzierung war sicher nicht einfach. Die größte Herausforderung war, dass eigentlich niemandem ganz klar ist, was auch nicht abschließend beantwortet werden kann, was dieses Projekt eigentlich ist. Ist es ein Film? Ist es ein Transmedia-Projekt? Ist es ein Game? Das macht es natürlich schwierig, weil man nicht in Schubladen und Kategorien passt."

Gemeinschaftserlebnis mit Potenzial

Bleibt die Frage nach der Zielgruppe für dieses neue Erlebnis: Gamer werden von dem begrenzten Handlungsspielraum enttäuscht sein, Filmliebhaber von den Inkonsistenzen in der Figurenentwicklung. Doch Produzent Baptiste Planche und Regisseur Tobias Weber sehen ihr Publikum genau dazwischen. Für sie liegt das Potenzial von "Late Shift" im Gemeinschaftserlebnis auf der großen Leinwand:
Tobias Weber: "Wir sehen einfach vor allen Dingen in großen Städten die Tendenz zu Event-Cinema, zu neuen Formen von Entertainment. Da kann interaktives Kino schon spannend sein, weil es ist schon interessant, was passiert, wenn 50 oder 100 Leute gemeinsam bestimmen, wo die Geschichte zusammen durchgehen muss. Da ist es immer laut. Da wird gelacht. Da wird gebuht. Und das an sich kann schon ein spannendes Erlebnis sein.
Aktuell ist "Late Shift" eine Spielerei. Aber eine Spielerei mit Potenzial. Interessant wird vor allem sein, wie die Interaktion in anderen Genres funktioniert. Die beiden Filmemacher planen jedenfalls als Nächstes eine romantische Komödie.
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