Lasst uns über Sex reden!

20.05.2012
Robie Harris und Michael Emberleys Aufklärungsbuch "Total normal" beantwortet alle wichtigen Fragen Heranwachsender - beschäftigt sich aber auch mit dem wichtigsten Thema: den Gefühlen. Ein Buch, das Eltern dazu anregt, locker mit ihren Kindern über das wichtige Thema Sex zu sprechen.
"Total normal" heißt ein Aufklärungsbuch für Kinder ab 10 Jahren, das jetzt im Beltz Verlag neu herausgebracht wurde - mit hohen Verkaufszahlen vom ersten Tag an. Umfassend legt die Autorin ihr Thema an, darin liegt die große Stärke des Buches: Um die vielen physiologischen Details von Ejakulation, Chromosomen und Geburtsvorgang geht es ebenso wie um das, was auch Jugendliche am meisten interessiert: Gefühle, die Angst vor dem ersten Mal, der Busen, der nicht wachsen möchte, der Penis, über den die anderen lachen könnten, bis hin zu den rechtlichen Regelungen des Schwangerschaftsabbruches und den neuesten Forschungsergebnissen zu HIV reicht die Palette der Themen.

Stilistisch hält Robie H. Harris gekonnt Balance zwischen freundlicher Empathie, sachgerechter Erklärung und wichtigen Informationen am Rande. Welches Aufklärungsbuch nimmt sich schon einmal die Zeit für eine sprachgeschichtliche Erläuterung all der lateinischen und griechischen Begrifflichkeiten, in welche die Erwachsenen ihre Rede über sexuelle Empfindungen und Vorgänge kleiden? Von A wie Adoleszenz bis Z wie Zygote reichen die Erklärungen. Mit ihrem sympathisch-leichten Strich bilden die Zeichnungen von Michael Emberly eine ideale Ergänzung. Keine sterilen Makro-Geschlechtsorgane werden hier präsentiert, sondern Menschen mit Gesichtern und Persönlichkeiten. Witzige Comic-Strips holen Peinlichkeitskandidaten dort ab, wo sie sich kichernd aufhalten mögen.

Die erste englischsprachige Auflage des Buches erschien bereits 1994 - erstaunlich, wie frisch Zeichnungen und Text noch immer wirken. Einige Kapitel machen sich nachgerade progressiv aus, so die wunderbare Doppelseite "Der Körper des Menschen". Ganz ohne Worte erzählen allein die Bilder von unserer Vielgestaltigkeit: kleine braune dicke Körper, muskulöse schwere runde, ballonartige weiße kleinköpfige, athletische durchtrainierte rollstuhlfahrende, gebeugte drahtige weibliche und viele mehr. Wie fern steht dieser Geist doch der entfesselten Rosa-Kleidchen-versus-Laserpistolen-Manie heutiger Tage, die schon die Jüngsten auf eine penetrant dichotome Geschlechtswahrnehmung trimmt.

Die hinteren Kapitel des Buches streifen schließlich auch die dunklen Seiten der Sexualität. Um Missbrauch geht es dort, um schwere Krankheiten, die man sich beim Sex zuziehen kann, und in einem neuen, ergänzenden Kapitel auch um Sex im Internet - ohne Alarmismus, aber angemessen sachlich und ernst.

So liebenswürdig und gut durchdacht sich das Buch liest - die Fülle all dessen, was hier ans Kind gebracht werden soll, zeigt jedoch auch: Ein Buch kann das persönliche Gespräch zwischen Eltern und Kindern, möglichst vor der Genier-Zeit der beginnenden Pubertät, nicht ersetzen. Die sinnvollste Aufklärung von Kindern speist sich aus der Reflexion eigener Erfahrungen und Gefühle und der besonnenen Kommunikation über Körper und Sexualität, die sich daraus ergibt. "Total normal" ist eine - schön gemachte - Aufmunterung dazu, genau das zu machen.

Besprochen von Susanne Billig

Robie H. Harris: Total normal - Was Du schon immer über Sex wissen wolltest
Illustriert von Michael Emberley, übersetzt von Franziska Weber
Beltz und Gelberg Verlag, Weinheim 2012
98 Seiten, 14,95 Euro
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