Landwirtschaft und Grundwasserschutz

Deutschland bekommt eine neue Düngeverordnung

07:41 Minuten
Ein Traktor verteilt aus Düsen Wirtschaftsdünger auf einem Feld. Im Hintergrund ist Wald zu sehen.
Wirtschaftsdünger wird im sächsischen Colditz auf ein Feld gespritzt. © imago images / Dirk Sattler
Von Johannes Kulms · 22.04.2020
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In Deutschland tritt 2021 eine neue Düngeverordnung in Kraft, um das Grundwasser zu schützen. Die Landwirte haben sie lange bekämpft und arrangieren sich nun. Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube sieht noch Verbesserungschancen - an mehreren Stellen.
In der Maschinenhalle wartet ein rotes Ungetüm. Es hat 260 PS und acht Reifen. Gleich wird der Trecker hinaus auf die Felder rollen. Aber jetzt hat er erst mal Durst.
"Der hat jetzt einen Tank von 520 Litern, meine ich. Den hat er jetzt gerade vollgemacht, ja," sagt Arno Nehlsen, der Betriebsleiter auf dem Gut Osterrade. Die Flächen liegen 20 Minuten Autofahrt von Kiel entfernt und gehören der Hessischen Hausstiftung. "Von dem Standort Osterrade aus werden gut 1.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen bewirtschaftet", erklärt Nehlsen. "Und die Kulturen sind Raps, Weizen, Gerste und Silomais."

Düngerappetit der Pflanzen

Auf dem Gut Osterrade haben nicht nur die mächtigen Landmaschinen Appetit. Sondern auch die Pflanzen.
Doch wenn die neue Düngeverordnung im kommenden Jahr in Kraft tritt, werden sie nicht mehr die Menge an Nährstoffen kriegen, die sie brauchen, sagt Nehlsen. "In diesen sogenannten Nitratsgebietskulissen sollen wir ja in Zukunft 20 Prozent unterhalb des Pflanzenbedarfs düngen. Was eigentlich einer Unterernährung gleichkommt. Also ich vergleiche das immer ganz gut mit meinen Kindern, die haben 100 Prozent Hunger. Und ich gebe ihnen halt aber bloß 80 Prozent von dem, was sie essen möchten."
Arne Nehlsen ist Betriebsleieter auf Gut Osterrade. Er steht auf dem Hof, im Hintergrund ist ein Trecker zu sehen.
Arne Nehlsen darf nicht mehr so viel düngen wie in den Jahren zuvor. © Deutschlandradio / Johannes Kulms
Nehlsen weiß selber, dass dieses Bild hinkt und 20 Prozent weniger Düngemitteleinsatz keineswegs automatisch 20 Prozent weniger Erträge bedeutet. Bei einem Weizenpreis von 18 Euro rechnet er mit einem Umsatzrückgang um etwa fünf Prozent.

Rote und grüne Zonen

Die Düngeverordnung, die der Bundesrat Ende März verabschiedet hat, unterscheidet zwischen roten Zonen und grünen Zonen. In den roten Zonen sind die gemessenen Stickstoffwerte besonders hoch. Die Nitrate, die durch die Düngemittel in die Böden einsickern, gefährden das Grundwasser. Die Flächen, für die Arno Nehlsen als Betriebsleiter verantwortlich ist, liegen in einer roten Zone.
Bisher seien die auf dem Gut Osterrade angebauten Pflanzen bedarfsgerecht ernährt worden, sagt Nehlsen. In den letzten Jahren hätten sie regelmäßig im Herbst den Stickstoffgehalt im Boden gemessen. Und festgestellt, so Nehlsen, "dass die Stickstoffwerte wirklich im minimalen Bereich waren. Dass da über den Winter auch nichts mehr durch den Niederschlag ins Grundwasser gelangen konnte."

Politische Auseinandersetzung

Monatelang sind bundesweit tausende Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland auf die Straße gegangen, haben mit ihren Treckern demonstriert. Auch Arno Nehlsen war dabei. Die neue Düngeverordnung sieht er als Beweis dafür, dass die Politik die Bauern immer noch nicht ernst nimmt.
Doch an weitere Demos denkt er jetzt erstmal nicht mehr. Vielleicht auch, weil er die Sachen fast sportlich sieht. Nehlsen sagt, wir Landwirte sind doch auch Unternehmer und müssen das Beste aus neuen Situationen machen.
Die Bundesregierung könne nicht dauerhaft Strafzahlungen wegen überhöhter Nitratwerte nach Brüssel überweisen, sagt er. "Wir haben sicherlich auch als Landwirte in der Vergangenheit Fehler gemacht. Vielleicht vor allem den organischen Dünger nicht verteilt. Dazu zählt übrigens auch Klärschlamm. Also das, was die Bevölkerung, ich sage mal, produziert, wurde ja auch vielleicht nicht immer bedarfsgerecht ausgebracht."
Während der Deutsche Bauernverband die 20-Prozent-weniger-Dünger-Auflage der Politik für "fachlichen Unsinn" hält, gibt es von Seiten der Umweltschützer durchaus Anerkennung für die neuen Regeln: Greenpeace sieht einen ersten Schritt zu mehr sauberem Wasser; die Umweltschutzorganisation BUND erinnert daran, dass Deutschland seit über 25 Jahre nicht die EU-Vorgaben zum Gewässerschutz einhalte. Das Zugeständnis an die Landwirte, wegen der Corona-Krise mehrere Punkte der Verordnung erst im kommenden Januar in Kraft treten zu lassen, hält der BUND für vertretbar.

Probleme bei der Umsetzung

Aber ist damit wirklich ein jahrzehntealtes Problem gelöst? "Nein, natürlich nicht", sagt Friedhelm Taube, Professor an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und dort Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung. Seit vielen Jahren forscht Taube zum Düngeeinsatz.
"Jetzt haben wir eine Differenzierung in rote und grüne Gebiete. Das heißt, rote Gebiete sind solche, wo Brunnen mit Grundwasserbelastung dokumentiert sind. Dann wird drüber diskutiert, ob der Brunnen jetzt die richtige Messstelle hat, ob er jetzt vielleicht ein paar Meter weiter links oder rechts stehen soll – ich übertreibe bewusst einmal – das geht komplett an der eigentlichen Problematik vorbei!"
Mit der neuen Düngeverordnung müssten in den nächsten Jahren riesige Verwaltungs- und Überwachungsmechanismen aufgebaut werden. Es werde wohl ein Subventionsprogramm für Anwälte, glaubt Friedhelm Taube. Etwa dann, wenn ein Landwirt ganz genau wissen wolle, wie die Festlegung des roten Gebiets zustande gekommen ist.

Düngung und Klimaschutz

Dabei gehe es beim Thema Düngung längst nicht nur um die Verschmutzung des Grundwassers, der Fließgewässer und der Meere. Auch das Klima sei betroffen, sagt Friedhelm Taube. "All das hängt ganz grundsätzlich zusammen mit Stickstoffüberschüssen der Landwirtschaft. Und sich jetzt - wie wir es im Augenblick tun - ein paar rote Gebiete rauszunehmen und da minus 20 Prozent der Düngung dann vorzugeben, das ist natürlich etwas, was nicht überzeugend ist aus wissenschaftlicher Sicht."
"Aber auf der anderen Seite", so Taube, "ist es im politischen Prozess natürlich gut erklärbar, wenn Sie über 25 Jahre mauern und dann der Druck, der politische Druck, entsprechend hoch ist und dann relativ schnell entschieden werden muss. Dann kommen solche Schnellschüsse zustande, wie wir sie jetzt sehen."
Trotzdem äußert der Kieler Agrarwissenschaftler auch Verständnis für den Unmut der Landwirte. Die neuen Regeln böten kaum eine langfristige Planbarkeit für die Höfe.

Alternativen für die Landwirte

Der Forscher stellt auch klar, dass in Deutschland nicht zu viele Tiere pro Fläche gehalten würden. Doch gleichwohl gebe es Regionen, in denen die Konzentration sehr hoch sei. Versuche ein Landwirt aber in Gegenden mit wenig Tierbestand einen neuen Hof anzusiedeln, scheitere dies oft am Widerstand von einzelnen vor Ort, die sich pauschal dagegen wehren.
Gleichwohl sieht Taube bei der neuen Düngeverordnung die Chance auf kurzfristig positive Effekte. Die verordneten minus 20 Prozent in den roten Gebieten könnten dabei helfen, die konventionelle Landwirtschaft insgesamt grüner zu machen und Klima- und Wasserschutz zu verbessern.
"Sie müssen ja nicht überall minus 20 Prozent düngen. Sie können ja auch sagen, ich dünge in der Fläche minus 10 Prozent und an den Rändern dünge ich gar nicht mehr", schlägt Taube vor. "Und der Staat würde für diese Bereiche, wo gar nicht mehr gedüngt wird, dann eine Ausgleichszahlung für die Landwirte liefern. Damit bekämen wir – wenn jeder Landwirt da mitmachen würde und wir fangen in den roten Gebieten damit an – eine wunderbare Biotopvernetzung. Natürlich müssen dafür Landwirte dann auch belohnt werden."

Einsicht beim Bauernverband

Anruf bei Werner Schwarz: Er ist seit vielen Jahren Präsident des Landesbauernverbandes Schleswig-Holstein und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes. Doch an diesem Morgen macht er keine Schreibtischarbeit, sondern verlädt auf seinem Schweinemastbetrieb nördlich von Hamburg Ackerbohnen zur Futteraufbereitung.
Beim Thema Düngeverordnung klingt es dagegen fast so, als sei das Futter für die ganz großen Proteste erst einmal aus. "Ich glaube nicht, dass da eine Chance draus erwächst. Wir haben in einigen Bereichen Aufgaben zu erledigen. Das ist unbestritten. Und die müssen verbessert werden. Meine Argumentation ist dann immer: Gegen sauberes Wasser können wir als Bauern nicht argumentieren."
Werner Schwarz sieht weiterhin fachliche Defizite in einigen Bereichen der neuen Düngeverordnung. Doch die ganz große Keule, die jahrzehntelang von der Bauernlobby gegen schärfere Bestimmungen in Deutschland geschwungen wurde, holt er an diesem Morgen nicht raus.
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