Landwirte als Internethändler

Direkt an die Kunden statt an den Supermarkt

10:45 Minuten
Ferkel laufen frei auf einer Wiese umher.
Direktvertrieb von Lebensmitteln verspricht nachhaltigere Produkte von glücklicheren Tieren, als das im Supermarkt der Fall ist. © picture alliance / Countrypixel / FRP
Von Robert Fishman · 28.05.2021
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Die Lebensmittelbranche befindet sich seit Jahren in einem harten Preiskampf, für viele Landwirte geht es ums Überleben. Immer mehr von ihnen verkaufen ihre Produkte deshalb einfach selbst – mit besseren Margen und mehr Nachhaltigkeit.
Landwirtinnen und Landwirte bekommen vom Handel trotz steigender Kosten kaum noch auskömmliche Preise für ihre Lebensmittel. Deshalb verkaufen immer mehr Bauern ihre Produkte direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher. Dabei hilft ihnen das Internet.
In Ostwestfalen haben Erzeugerinnen und Erzeuger die Genossenschaft Wochenmarkt24 gegründet. Gemeinsam organisieren sie den Verkauf ihrer Lebensmittel über eine Internetplattform. Abends bekommen die Kundinnen und Kunden die Produkte vor die Haustür geliefert.
Das Modell ist so erfolgreich, dass es in immer mehr Regionen expandiert. Auch in Lörrach an der Schweizer Grenze und in Osnabrück kaufen die Leute bei Wochenmarkt24 online direkt beim Bauern ein.
"Unser Fuhrpark umfasst derzeit 30 Auslieferungsfahrzeuge und darüber hinaus auch fünf E-Fahrzeuge. Und wir haben hier an der Logistikhalle den Vorteil, dass wir über eine Photovoltaik-Anlage, die gerade konstruiert wird, tagsüber die Fahrzeuge mit Sonnenstrom laden und diesen Strom nachts nutzen können. Wir können hier in der Logistik bis zu tausend Auslieferungen pro Nacht leisten", beschreibt das geschäftsführende Vorstandsmitglied Eike Claudius Kramer.

Von der Industrie unerwünschte Produkte

Bestellen kann man die Leckereien online über das gemeinsame Vermarktungsportal Wochenmarkt24.de direkt bei den angeschlossenen Bäuerinnen und Bauern in der Region. Zum Beispiel beim "Sender Wildhandel" im Kreis Gütersloh. Stephan Graute züchtet Schafe und Schweinesorten, die sonst keinen Abnehmer finden würden:
"Wir verarbeiten viel mageres Wildfleisch. Und da muss vernünftiger Speck zu. Die Schweine, die diesen Speck liefern, haben in der heutigen industriellen Produktion gar keinen Platz mehr. Und wenn ich da Produkte von herstelle, kann ich da jetzt nicht industriellen Speck zukaufen, sondern da muss ich schon selber sehen, dass ich eine alte Rasse habe, die sich dazu eignet."
Die kleinen Mengen Fleisch, die Graute produziert, würde ihm der Lebensmittelhandel gar nicht abnehmen. Dafür bietet er seinen Schafen und Schweinen ein artgerechtes Leben. Der Landwirt kann nur so tierwohlfreundlich arbeiten, weil er direkt vermarktet:
"Wochenmarkt24 ist für uns eine große Chance. Und deswegen ist es für mich auch sehr spannend, auf dem Land produzieren zu können und trotzdem die Kunden in den Ballungsgebieten zu erreichen."

Das Erfolgsmodell expandiert

2018 haben sich in Ostwestfalen landwirtschaftliche Betriebe und einige regionale Verarbeiter zur Genossenschaft Wochenmarkt24 zusammengeschlossen. Diese bietet ihre Produkte gemeinsam auf www.wochenmarkt24.de direkt den Endverbrauchern an. Ein Logistikunternehmen holt die Waren auf den Höfen ab und bringt sie in eine Lagerhalle am Stadtrand von Bielefeld.
Dort stellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Warenpakete für die Kundschaft zusammen. Anschließend werden sie noch am selben Abend ausgefahren. Wer werktags bis 18 Uhr und samstags bis 14 Uhr online bestellt hat, bekommt sein Lebensmittelpaket noch in der folgenden Nacht vor die Tür gestellt. Der Laden brummt, sagt Eike Claudius Kramer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Genossenschaft, und freut sich:
"Wir haben hier in Bielefeld nun über 35 Erzeuger und wir haben ja weitere Standorte bereits gegründet. Einmal im Nordosten von München, in Lörrach, im äußersten Südwesten von Deutschland, in Osnabrück, sodass wir mittlerweile über 150 Erzeuger haben. Und ihre Kapitaleinlagen, die sie geleistet haben, schaffen letztendlich die Grundlage unseres Wirtschaftens."

Lieferung an sechs Tagen pro Woche

Betriebe, die mitmachen wollen, müssen für 500 Euro einen Genossenschaftsanteil kaufen. Allein in Bielefeld und Umgebung beliefert Wochenmarkt24 inzwischen täglich außer sonntags rund 800 Haushalte mit Bestellungen im Wert von jeweils etwa 40 Euro.
20 Prozent des Umsatzes führen die Lieferanten an Wochenmarkt24 ab – für die Logistik, die Technik und die Verwaltung. Im Online-Shop zahlen die Kundinnen und Kunden etwa genau so viel wie im Laden – inklusive Lieferung frei Haus. Mindestbestellwert: 20 Euro. Für die Bäuerinnen und Bauern lohnt sich das:
"Wenn so 10 bis 20 Bestellungen am Tag ... Kommt auf das Produkt natürlich an, Gemüse brauchen Sie ein bisschen mehr als bei Fleisch, weil hochwertiger im Kundengeschäft, also im Preis. Dann ist man da sehr schnell dabei, dass man hier mitmachen kann", so Kramer.

Direktvertrieb ist gut für die Umwelt

Online-Direktvermarkter helfen auch, die Landwirtschaft nachhaltiger, umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten. Vermarktet wird nur in der jeweiligen Region. Die Transportwege bleiben kurz. Produziert und verpackt wird das, was die Kunden bestellt haben. So entstehen deutlich weniger Lebensmittelabfälle. Das bestätigt zum Beispiel Jürgen Braun, der an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen zu nachhaltiger Agrar- und Ernährungswirtschaft forscht:
"Durch die Bündelung der Produktangebote einzelner Unternehmen im engen regionalen Radius können zum einen Transportentfernungen optimiert und damit Emissionen reduziert werden. Zum anderen kann auch die Abstimmung der Produktionsorganisation, also des Anbaus auf dem Feld, überbetrieblich erleichtert organisiert werden und damit zu einer Verbesserung der Biodiversität führen."
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