Landtag Sachsen-Anhalt

"Die AfD ist natürlich nicht eine Fraktion wie jede andere"

André Poggenburg (l-r), Daniel Roi, Matthias Büttner und Tobias Rausch, sitzen in der ersten Reihe der AfD-Fraktion, aufgenommen am 12.04.2016 während der Konstituierung des neuen Landtages im Plenarsaal in Magdeburg (Sachsen-Anhalt).
Die Politiker André Poggenburg, Daniel Roi, Matthias Büttner und Tobias Rausch sitzen in der ersten Reihe der AfD-Fraktion – Aufnahme vom 12. April 2016 während der Konstituierung des neuen Landtages im Plenarsaal in Magdeburg / Sachsen-Anhalt © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Martin Machowecz im Gespräch mit Dieter Kassel · 19.09.2016
Wie läuft es mit der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt? Die Politiker der etablierten Parteien täten sich schwer mit ihren neuen Kollegen, meint der Journalist Martin Machowecz. Manche wollten ihnen nicht einmal die Hand geben. Mit diesem "Kindergartenspiel" täten sie sich allerdings keinen Gefallen.
Dieter Kassel: Nach der Abgeordnetenhauswahl gestern in Berlin ist noch lange nicht alles klar. Es gibt sehr konkrete und nachvollziehbare Spekulationen darüber, wer die Stadt in Zukunft regieren wird, aber da ist noch nichts sicher, eines aber ist es, nämlich dass die AfD, die über 14 Prozent der Stimmen bekommen hat, auch ins Berliner Abgeordnetenhaus jetzt einziehen wird.
"Auch" ist da wirklich der richtige Begriff, denn wenn man das jetzt schon mitzählt in Berlin, dann sitzt die Alternative für Deutschland damit in zehn Länderparlamenten in Deutschland, aber nirgendwo hat sie so viele Abgeordnete wie in Sachsen-Anhalt: Da besteht die AfD-Fraktion aus 25 Menschen – 23 Männern und zwei Frauen.
Deshalb wollen wir gerade da hinschauen, denn dort hat Martin Machowecz die ersten sechs Monate AfD im Länderparlament intensiv beobachtet. Das tat er im Auftrag der "Zeit", denn er ist eigentlich Redakteur der "Zeit" im Dresdner Büro. Schönen guten Morgen, Herr Machowesz!
Martin Machowecz: Schönen guten Morgen, hallo!
Kassel: Der Landtagspräsident von Sachsen-Anhalt, der CDU-Politiker Hardy Peter Güssau, der hat sich extra einen Knopf einbauen lassen, mit dem er das Mikrofon am Rednerpult abschalten kann, und das hat er selber so begründet, nämlich falls ein AfD-Abgeordneter zu lange redet. Hat er eigentlich diesen Knopf jetzt schon häufiger mal benutzt?
Machowecz: Er kann ihn jetzt gar nicht mehr nutzen, weil Herr Güssau inzwischen leider sein Amt verloren hat …
Kassel: Stimmt, klar, logisch.
Machowecz: … leider, aus seiner Sicht, er hat aber ihn einmal benutzt. Er hat diesen Knopf sich einbauen lassen, weil er einfach Angst hatte, dass die AfD-Abgeordneten, wenn die dann ins Parlament eingezogen sind, die ganze Zeit Rabatz machen und ihm irgendwie das Leben schwer machen und die Redezeit nicht einhalten.
Er hat dann aber festgestellt, die sind eigentlich gar nicht so undiszipliniert, wie er vermutet hat. Er hat also seinen Knopf, mit dem er die AfD abschalten kann, nur ein einziges Mal verwendet, und das auch nur, weil ein etwas älterer AfD-Abgeordneter, der die Gepflogenheiten des Parlaments noch nicht so richtig kannte, ein wenig seine Redezeit überschritten hat, aber das war schon sozusagen die einzige Szene.
Kassel: Güssau ist nicht mehr da, aber der Knopf vermutlich schon noch, oder?
Machowecz: Der Knopf ist noch da. Der Knopf ist noch da, genau.
Kassel: Aber das klingt jetzt ein bisschen so, Herr Machowecz, als ob die AfD-Abgeordneten – von ihren politischen Positionen mal abgesehen – eigentlich eine Fraktion wären wie jeder andere. Kann man das so sagen?

"Die sind da selber noch im Findungsprozess"

Machowecz: Nee, die AfD ist natürlich nicht eine Fraktion wie jede andere. Die AfD ist eine Partei und dann auch im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Fraktion, die vieles infrage stellt, die aber selbst noch nicht so genau weiß, wohin sie will, glaube ich. Will sie jetzt eine ernsthafte, ja, ich nenne es mal "Alternative" im Parlament sein, die sich ordentlich benimmt und die Regeln einhält, oder will sie permanent provozieren, über die Stränge schlagen und den Rahmen dessen verlassen, was man guten Gewissens sagen kann. Das ist so ein bisschen der Spagat, in dem sich die Fraktion auch befindet.
Und mein Gefühl ist, die sind da selber noch im Findungsprozess. Jeder Abgeordnete selbst fragt sich noch, wie viel Provokation will er eigentlich und wie viel anständige Sacharbeit will er eigentlich. Das muss noch ausverhandelt werden in den nächsten Monaten und Jahren.
Kassel: Wo die nicht Monate und Jahre, aber doch paar Wochen suchen mussten, waren die Abgeordnetenbüros im Landtag, die natürlich jeder Fraktion zustehen, aber die AfD musste eine Weile warten, ehe sie welche bekommen hat. Da hatte ich nun das Gefühl, so ein bisschen Kindergartenbenehmen hat nicht nur die eine Seite an den Tag gelegt, oder?

Die anderen Parteien sind verunsichert durch die AfD

Machowecz: Ja, ja, absolut, das ist völlig richtig. Gerade deswegen, weil die AfD es den anderen Parteien sozusagen durch ihre schiere Existenz schon so schwer macht, sind die anderen auch durch die Anwesenheit dieser AfD-Fraktion total verunsichert, das merkt man schon.
Die finden ganz schwer einen Umgang mit der AfD, sie haben es ganz schwer, mit ihr klarzukommen. Da gibt es also Leute, die den AfD-Abgeordneten die Hand nicht geben wollen, die sie in der Kantine und auf dem Gang nicht grüßen, und das ist eben genau dasselbe wie das Beispiel, das Sie gerade nannten: Da wird es also von den etablierten Parteien lange der AfD – jetzt sage ich auch schon etablierte Parteien, man übernimmt das dann schon in seinen Sprachgebrauch – schwer gemacht, Räume für ihre Abgeordneten zu bekommen.
Die AfD musste wirklich mehrere Wochen und Monate warten, weil die anderen eben keine Anstalten gemacht haben, das jetzt besonders zu beschleunigen. Man musste da ganz viel umziehen und ganz viel ausverhandeln. Es hat jetzt, glaube ich, zwei, drei Monate gedauert, bis dann wirklich die meisten AfD-Abgeordneten irgendwie einen ordentlichen Arbeitsplatz hatten.
Und daran merkt man schon, man will es denen jetzt nicht so leicht machen und versucht da den ein oder anderen Trick. Am Ende führt das nur dazu, dass die AfD-Abgeordneten nach Hause zu ihren Wählern gehen und sagen: Hey, die behandeln uns ganz schlecht, die sind ganz böse zu uns, seht ihr, so große Angst haben die vor uns. Und im Grunde spielt man der AfD damit ein bisschen in die Karten, wenn man dieses, wie Sie es richtig genannt haben, Kindergartenspiel mitmacht.
Kassel: Die Abgeordneten der AfD sind natürlich anders als die der anderen Parteien – ich nenne es immer neutral so – keine Politprofis, keine erfahrenen Landtagsabgeordneten. Spürt man das, und vor allen Dingen, ist das immer nur negativ oder ist das manchmal auch angenehm?

Festgefahrene Rituale sind nicht mehr selbstverständlich

Machowecz: Also es stimmt, die sind keine Politprofis, da sind ganz verschiedene Figuren dabei. Irgendwie vom Kfz-Mechaniker über den Feuerwehrmann bis zur Bankkauffrau sind da sozusagen alle möglichen Leute ins Parlament gespült worden. In Sachsen-Anhalt ist das noch mal krasser, weil sie ganz, ganz viele Direktmandate erobert haben und dadurch auch viele Leute, die von der Partei selbst nicht sozusagen als Abgeordnete eingeplant waren, plötzlich ins Parlament gerutscht sind.
Das führt dazu, dass irgendwie alles ein bisschen drunter und drüber geht. Das ist nicht nur schlecht. Die AfD stellt auch irgendwie Regeln infrage, stellt irgendwie Verfahren infrage, sie sorgt dafür, dass die anderen Parteien irgendwie auch wieder gefordert sind, so ein bisschen ihre Selbstgewissheiten überprüfen müssen, und darin liegt natürlich, wenn man es so sagen will, so was Gutes in diesem Einzug der AfD ins Parlament.
Also festgefahrene Rituale und ganz lange eingespielte Vorgehensweisen sind eben plötzlich nicht mehr selbstverständlich, und das ist für eine Demokratie in aller Regel ja gar nicht so schlecht.
Kassel: Nun hat ja die AfD eigentlich alle zehn Landtagswahlen gewonnen mit Dingen, die eher was mit der Bundespolitik zu tun haben, im Großen und Ganzen hat sie ja nur zwei Themen, die auch noch miteinander zusammenhängen: Flüchtlinge/Migration und innere Sicherheit.
Nun muss man ja in so einem Landesparlament, das sich da – muss man ja immer wieder erinnern – ja nicht im Wesentlichen immer nur zu Landtagssitzungen trifft, zwischendurch gibt's Ausschüsse und diverses andere, wo die wirkliche Arbeit geleistet wird, man muss sich ja nun mit landesspezifischen Themen beschäftigen. Haben denn davon die AfD-Abgeordneten überhaupt eine Ahnung?

Zwei Teile der Fraktion: die Streber und die Hetzer

Machowecz: Also, das ist ganz verschieden. Es gibt da wirklich völlig unterschiedliche Leute in dieser Fraktion. Ich würde sagen, am Ende zerfällt die eigentlich in zwei Teile, wenn man das so polemisch sagen will. Ich nehme jetzt mal zwei Begriffe, die beide nicht so nett klingen: die Streber und die Hetzer, sage ich mal. Also es gibt Leute, die sind wirklich angetreten, vor allem Hetzreden zu halten und wollen Tabus zu Fall bringen. Da gibt es zum Beispiel einen Islamwissenschaftler, der irgendwie immer heftig gegen die angebliche Islamisierung wettert, und das ist sozusagen sein großes Thema. Und dann sind da wirklich Leute, die streben nach Höherem, die interessieren sich nicht so richtig für Landespolitik.
Es gibt aber auch eine andere Hälfte der Fraktion, die nimmt das richtig ernst. Da gibt es einen Bauern, der will ganz aufrichtig Landwirtschaftspolitik machen. Da gibt es einen Inhaber von mehreren Handyshops, der sich ganz, ganz fleißig im Petitionsausschuss engagieren möchte. Also da sind wirklich dann auch Leute, die schreiben irgendwie große Reden zu Wirtschaftsförderung und einer Bäckereikette, die irgendwie pleitegeht, und man sieht, dass die da richtig akribisch hinterher sind.
Das ist genau der Punkt, dass es eben nicht eine einheitliche Suppe ist, diese Partei. Da kommen ganz viele Leute aus ganz vielen Richtungen und Strömungen mit verschiedenen Interessen zusammen.
Kassel: Nach den Wahlen in Berlin wird auch dort die AfD ins Landesparlament einziehen, in Sachsen-Anhalt stellt sie mit 25 Abgeordneten eine starke Fraktion und ihre eigene stärkste in diesen zehn Beispielen, deshalb hat "Zeit"-Redakteur Martin Machowecz sie dort intensiv beobachtet und seine Erfahrungen mit uns geteilt. Herr Machowecz, vielen Dank fürs Gespräch!
Machowecz: Gerne, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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