Lakonisch Elegant

#10 Gelbwesten - Protestkultur oder Troll-Party?

30:37 Minuten
Die sogenannten Gelbwesten protestieren in Frankreich
Die Gelbwesten - was treibt sie an? © imago / Omer Messinger
Von Christine Watty und Julius Stucke · 13.12.2018
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Alle Macht geht von der Straße aus – oder doch nicht? Welchen Einfluss hat das Netz auf Proteste wie in Paris? Darüber reden wir mit der Reporterin Anett Selle, dem Schriftsteller Michal Hvorecky und der Protestforscherin Sabrina Zajak.
In dieser Folge Lakonisch Elegant bewegen sich Julius Stucke und Christine Watty zwischen Beton und Bytes; also zwischen der Straße, auf der Protest stattfindet und den Bytes des Internets, das seine eigene Rolle in der aktuellen Protestkultur spielt.
Anett Selle ist freie Reporterin und schickt Dutzende Stunden kommentiertes Videorohmaterial von ihren Einsätzen in die sozialen Netzwerke, so auch aus Paris. Ihre Eindrücke vom letzten Wochenende sind vielfältig – von der friedlichen Demonstration am Morgen bis zur Erleichterung am Ende des Tages, keinen Stein abbekommen zu haben. Woher kamen die vielen Menschen?
Anett Selle: "Ich hab Texte gelesen, dass die Gelbwesten ein Monster sind, das Facebook erschaffen hat." Es sei so dargestellt worden, als ob die Protestler instrumentalisiert worden wären. "Mein Eindruck war, dass sich die Leute vor allem selbst motivieren." Facebook – das ist für sie vor allem ein Werkzeug, das man benutzen oder missbrauchen kann.
Michal Hvorecky ist slowakischer Schriftsteller, der sich mit Trollaktionen mit dem Ursprung in Osteuropa oder Russland beschäftigt. Für sein letztes Buch "Troll", aber auch, weil er selbst mal Opfer einer Kampagne war, nachdem er sich regierungskritisch geäußert hatte - er weiß also, wie es sich anfühlt, wenn ein soziales Netzwerk gegen eine Person missbraucht wird.
"Die russischen Trolle wünschen uns einfach nur Chaos und Verwirrung. Denen passt es perfekt ins Bild des chaotischen Westens, wenn da Autos angezündet und Geschäfte zerstört werden." Hvorecky fällt auf, dass Protestbewegungen immer wieder unterwandert werden von Verschwörungstheoretikern. Das sei eine Gefahr - und könne zur Diskriminierung der ganzen Bewegung führen.
Auf unserer Protestkultur-Reise in diesem Podcast fiel uns auf, dass es bisher - trotz vieler Vermutungen - keine echte Zutatenliste für große Protestbewegungen gibt: Wie kann man denn überhaupt rausfinden, wer warum auf einer Demo erscheint? Durch Umfragen! An solchen arbeitet Sabrina Zajak, die unter anderem Vorstandsvorsitzende des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung ist.
Eins steht fest: Demos sind eine körperliche Sache. Schreibt auch eine Philosophin wie Judith Butler, und Sabrina Zajak bestätigt das: Wer demonstriert muss raus auf die Straße: "Da zeigt sich die Masse, wird physisch sichtbar und das ist immer noch die wichtigste Artikulationsform."
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version des Podcasts haben wir durch eine Äußerung der Moderation den Eindruck erweckt, die Journalistin Anett Selle habe die Proteste in Frankreich inhaltlich bewertet. Das hat sie an keiner Stelle unseres Gesprächs getan.

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