Lagodinsky: Zentralrat der Juden hat sich würdelos verhalten

Sergey Lagodinsky im Gespräch mit Ute Welty · 08.02.2010
Der jüdische Publizist Sergey Lagodinsky kritisiert den Umgang des Zentralrates der Juden in Deutschland mit seiner Präsidentin Charlotte Knobloch. "Dass da Informationen aus dem Zentralrat anscheinend gezielt gestreut worden sind, macht das alles etwas unwürdig, etwas würdelos. So sieht ein Neuanfang nicht aus", sagte das Mitglied im Präsidium der Jüdischen Gemeinde Berlin.
Ute Welty: Der Publizist Sergey Lagodinsky beobachtet die Vorgänge rund um den Zentralrat der Juden mit besonderem Interesse. Er selbst ist Mitglied des Präsidiums der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Guten Morgen, Herr Lagodinsky!

Sergey Lagodinsky: Schönen guten Morgen!

Welty: Würden Sie selbst gern Präsident des Zentralrates werden?

Lagodinsky: Danke, dass Sie so etwas mir zutrauen würden! Ich glaube, wir haben jetzt eine Präsidentin – und wir haben sie noch einige Monate – und dazu stehe ich. Also ich stehe zu unserer Präsidentin des Zentralrats, das ist Charlotte Knobloch.

Welty: Wie schätzen denn Sie diese Ankündigungen vom Wochenende insgesamt ein: Ist das jetzt ein Generationswechsel oder ein Generationswechsel mit angezogener Handbremse?

Lagodinsky: Ich bin etwas überrascht, ehrlich gesagt, um diese Diskussion, und man merkt, dass das eine Diskussion der Mehrheitsgesellschaft ist, also der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft hier, weil – aus meiner Sicht und aus der Innenperspektive – ein Generationswechsel ist das nicht, und es ist auch keine historische Zäsur, zumindest, wenn man das von innen heraus betrachtet.

Welty: Warum nicht?

Lagodinsky: Aus der Innenperspektive ist vielleicht die wichtigere historische Marke, wenn es um Generationenwechsel, um Themenwechsel geht, nicht so sehr 1945. Also es kommt nicht darauf an, wenn man ein jüdischer Mensch in Deutschland ist, kommt es weniger darauf an, dass der Stellenwert des Holocaust durch persönliche Erlebnisse bestimmt wird. Wir sind alle, wir stecken halt alle drin in dieser Geschichte, und das wird auch so bleiben. Für uns ist die historische Marke 1989, da, wo die Zuwanderung, die Massenzuwanderung nach Deutschland angefangen hat, da, wo auch ansonsten dieses Land sich geändert hat. Wir haben viel mehr amerikanische, israelische Juden und natürlich Juden aus der Sowjetunion, die hier selbstverständlich leben, die hier ihr Leben aufbauen können. Und man muss die Sprache und die Visionen finden, wie man diese Vielfalt, auch religiöse Vielfalt, integriert. In dem Sinne spielt es weniger eine Rolle, ob der künftige Präsident vor oder nach dem Holocaust geboren ist.

Welty: Das kann einen ja auch nicht wirklich überraschen, dass die Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager eines Tages nicht mehr selbst dafür sorgen können, dass die Erinnerung wach bleibt. Hätte man nicht diesen Zeitpunkt ein bisschen besser vorbereiten können?

Lagodinsky: Vor allem hätte man es würdiger gestalten können. Die ganze Geschichte der letzten Woche, wie man damit umgegangen ist, dass da Informationen aus dem Zentralrat anscheinend gezielt gestreut worden sind, macht das alles etwas unwürdig, etwas würdelos. So sieht ein Neuanfang nicht aus, und ich hoffe, dass das wirklich eine Panne war und nicht eine gezielte Strategie.

Welty: Lassen Sie uns noch mal bitte schauen auf diesen Zeitpunkt des Wechsels, auf diese mögliche Vorbereitung, die man auch vielleicht nicht so betrieben hat, wie sie notwendig gewesen wäre. Warum ist das denn nicht geschehen? Würden Sie vielleicht sogar sagen, da steckt eine unbewusste Angst dahinter, dass mit den Zeitzeugen auch ein Stück Legitimation verloren geht?

Lagodinsky: Die Legitimation soll man sich nicht mit eigenen Biografien erkaufen. Wir sind, und das ist die Folge: Wir haben jetzt eine Holocaust-Überlebende, der – ob bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – ihr Schicksal praktisch, de facto, zum Vorwurf gemacht wird und gesagt wird, nur weil sie Holocaust-Überlebende ist, können bestimmte Diskussionen jetzt nicht stattfinden. Das ist, mit Verlaub, wirklich Unsinn. Diskussionen werden vorangetrieben von Menschen mit Visionen, mit Strategien, von Menschen, die professionell handeln. Und jeder Präsident, jede Präsidentin hinterlässt eine Duftmarke in ihrer Amtszeit. Frau Knobloch hat eine solche Marke hinterlassen beziehungsweise die ist ja noch da, und sie bestimmt noch die Richtung. Da stehe ich noch mal, muss ich ausdrücklich sagen, dazu, auch als Präsidiumsmitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Das ist eine Mahnerin, aber ja, jede religiöse Gemeinschaft in Deutschland soll auch einen moralischen Anspruch haben. Insofern sind wir vielleicht nicht anders als evangelische oder katholische Interessenvertretungen. Und ich glaube, sie hat es wunderbar gemacht, sie macht es wunderbar. Was danach kommt, ist hoffentlich ein Neuanfang in eine Richtung, wo eben die Vielfalt dieser Gemeinschaft, vielleicht auch die Professionalität der Führung, neue Führungskräfte die Zukunft bestimmen werden. Dafür haben wir aber einiges noch zu leisten.

Welty: Was wünschen Sie sich denn für einen Zentralrat unter einem möglichen Nachfolger Dieter Graumann, Sie persönlich?

Lagodinsky: In erster Linie müssen wir aufpassen, dass wir hier nichts vorwegnehmen. Der Zentralrat, so hoffe ich, ist ein demokratisches Gremium und wir wissen nicht, also sollten wir zumindest nicht wissen, wer der Nachfolger sein wird. Der soll gewählt werden, und wir müssen abwarten, was im November passiert. Ich wünsche mir, unter Dieter Graumann, den ich kenne und schätze als einen sehr guten Redner, auch als jemanden, der seine Position sehr klar und scharf formuliert, dass er weiterhin selbstbewusst nach außen die Interessenvertretung macht. Und das bedeutet auch, eine klare Sprache zu sprechen, wenn es um Fragen auch der Erinnerung, auch der historischen Erinnerung an Holocaust geht, auch um Antisemitismus, auch um Außenpolitik. Also das bleibt hoffentlich, der Zentralrat der Juden in Deutschland wird eine unbequeme Interessenvertretung bleiben, aber nach innen müssen wir die integrative Kraft entfalten und stärken. Und da bin ich gespannt, ob Herrn Graumann das gelingt. Er gehört zum Establishment, er gehört zu denjenigen, die – trotz seines jungen Alters, sozusagen – in Frankfurt aufgewachsen ist, in Frankfurt aktiv ist und die Frankfurter Gemeinde ist keine Gemeinde, die dafür bekannt ist, zum Beispiel die Zuwanderer aus der Sowjetunion besonders willkommen zu heißen. Das ist eine der wenigen Gemeinden in Deutschland, die eben versucht, sie etwas fernzuhalten.

Welty: Der Zentralrat der Juden vor dem Wechsel an der Spitze, dazu die Einschätzungen des jüdischen Publizisten Sergey Lagodinsky im Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für das Gespräch, einen guten Start in die Woche wünsche ich!

Lagodinsky: Danke sehr!
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