Lagerkampf der Ideologien

31.10.2005
Der seit 1985 in den USA lebende chinesische Schriftsteller Ha Jin schildert in "Kriegspack" den Koreakrieg aus Sicht eines chinesischen Kriegsgefangenen, der zwischen die verfeindeten Lager der Maoisten und der taiwanesischen Nationalchinesen gerät. Ha Jins Held zweifelt und verzweifelt an der grausamen Realität im Kriegsgefangenenlager.
Er ist mit Literaturpreisen überschüttet worden wie kaum ein anderer Neuamerikaner: der Chinese Ha Jin, 1956 in der nordchinesischen Stadt Jinzhou geboren, 1985 zum Studium in die USA eingereist. Eigentlich wollte er nach dem Erwerb des Doktortitels in amerikanischer Literatur nach China zurückkehren, doch wie viele andere chinesische Studenten in den Staaten schockierte die brutale Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Tiananmen Platz ihn und seine Frau so, dass er beschloss zu bleiben.

Mangels Arbeit begann Ha Jin zu schreiben und zwar in Englisch. Seine Produktivität ist geradezu furchterregend. In 14 Jahren legte er zwei Gedichtbände, zwei Sammlungen mit Kurzgeschichten, drei Romane, eine Novelle vor. Wie besessen schreibt Han Jin, so als gälte es das Leben.

Jetzt hat er den Roman "Kriegspack" vorgelegt – eine düstere und im Westen sicherlich unbekannte Geschichte aus dem Koreakrieg, als China aus purem Eigeninteresse Truppen nach Nordkorea schickte. Kaum ausgebildet, schlecht ausgerüstet, miserabel verpflegt – so geraten die chinesischen Soldaten, unter ihnen auch der Erzähler Yuan, schon bald in Kriegsgefangenschaft. Und nun beginnt eine lange Odyssee durch die Lager, in denen sich zwei völlig verfeindete Gruppe gegenüberstehen: Die Anhänger Maos, der kommunistischen Partei Chinas und die Parteigänger Chiang Kai-sheks, der vom Festland nach Taiwan geflüchteten Nationalchinesen.

Beide Gruppen hassen sich. Unter den Augen der amerikanischen und südkoreanischen Bewacher wird massiver Druck auf die Gefangenen ausgeübt, sich Chiang Kai-shek anzuschließen. Die Nationalchinesen drohen, erpressen, foltern, schrecken sogar vor bestialischem Mord nicht zurück. Viele Gefangene geben nach. Doch der Erzähler widersteht, nicht zuletzt weil er Mutter und Verlobte in China zurückgelassen hat. Sie würde er unweigerlich verlieren.

Als einer der wenigen, die gut englisch können, wird er zum Dolmetscher. Das erleichtert ihm ein Leben sozusagen zwischen den Fronten. Weil er alles liest, was er in die Hände bekommt, gilt er als Intellektueller. Man respektiert ihn, aber man misstraut ihm auch. Zu recht, denn Yuan ist sich seiner eigenen Haltung sehr unsicher. Die ideologische Engstirnigkeit der Kommunisten stößt ihn ebenso ab wie die kaltherzige Grausamkeit der Nationalisten. Er schwankt, laviert, wird zwischenzeitlich zum Helden des Kommunisten und dann wieder zum heimgekehrten Sohn der Nationalisten.

Ha Jin zeigt, wie schwer es unter solchen Verhältnissen ist, sich selbst nicht zu verleugnen, seine Menschlichkeit und seine Individualität zu bewahren. Ihm ist der Vorwurf des Plagiats gemacht worden, weil seine Schilderungen der Lagerverhältnisse weitgehend den Erinnerungen eines chinesischen Kriegsgefangenen entsprechen. Das mag so sein, nur ist Jins Held kein aufrechter Kommunist wie der rotchinesische Autor, sondern ein an sich und der Umwelt zweifelnder und verzweifelnder Mann.

Die Kunst des Schriftstellers besteht nicht zuletzt in seiner Fähigkeit, bekannte historische Ereignisse in eine Parabel über Menschlichkeit und Menschsein zu verwandeln. Das ist Ha Jin gelungen.


Ha Jin: Kriegspack
Übersetzung Susanne Hornfeck,
dtv premium, München 2005,
458 Seiten, 15 €