Lärm und Stille (1)

Hörschaden

Nachbildungen menschlicher Ohren, aufgenommen bei der Firma 3B Scientific in Hamburg am 27.5.2003.
"Mein Leben steht jetzt unter stetem Hördruck": Autorin Kathrin Röggla über ihren Hörschaden © picture-alliance / dpa / Volker Heick
Von Kathrin Röggla · 02.03.2015
"Lärmkrieg" heißt ein Theaterstück der österreichischen Autorin Kathrin Röggla. In den Originaltönen dieser Woche befasst sie sich nicht nur mit Lärm, sondern auch dem Gegenteil: der Stille. Ihre akustischen Erkundungen können Sie hier nachlesen und nachhören.
Ich habe ich mir einen Hörschaden zugezogen. Nächtelanges Transkribieren, der allgemeine Berufsstress mit den üblichen Verrenkungen am Schreibtisch haben ein Rauschen und Fiepen in meinem Körper hochgepitcht, das nun ständig bei mir bleibt. Stille ist mir nur noch im abstrakten Sinn möglich. Ich produziere andauernd diese Eigengeräusche, auf die ich mich nicht einschießen soll, so der behandelnde Arzt, der allerdings nicht viel behandeln kann.
Ein Mittel der Tinnituswahrnehmungsreduktion ist die dauernde Ablenkung. Nebengeräusche, Hintergrundmusik, Stimmengewirr. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, dachte ich mir zu Beginn. Doch der Aufforderung, nicht dem Eigengeräusch andauernd zuzuhören, Folge zu leisten, zieht eine nur größere Aufmerksamkeit nach sich. Man spricht deswegen von einem akustischen Teufelskreis, dem nur durch Ablenkung beizukommen ist. Retraining ist angesagt.
Mein Leben steht jetzt unter stetem Hördruck. Ich muss andauernd hören, um nicht dauernd dem Fiepen zuzuhören. Fokusing ist hier jedenfalls fehl am Platz. Hintergrundgeräusche sind fix gebucht, ich leben in meinem eigenen Hörspiel, das aber nicht Vorder- und Hintergrundgeräusche voneinander trennen kann, sondern manchmal den Hintergrundgeräuschen nahezu den Vortritt lässt.
Ständiges Weghören
Es gilt ja auch ansonsten ständige Hörlücken zu schließen. Das machen wir doch andauernd, sagt auch mein Mann und sagt noch etwas, das ich schon wieder nicht verstehe, weil ich schon im nächsten Gespräch bin, in dem ich so einiges überhöre. Während ich beispielsweise Milo Rau zuhöre, wie er mir über Re-Enactment und dem Kongo etwas via Skype sagt, ignoriere ich nicht nur meine quäkende Tochter im Hintergrund, sondern vielleicht sogar ein Drittel der Dinge, die Milo Rau mir sagt, weil ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt bin, über die sich schon wieder der leise Tonfall des ungarischen Verlegers legt, der am Vorabend über die Nacht und Nebel-Verfassungsänderungen seiner Regierung, über die Faschisierung einer Gesellschaft im legalen Rahmen sprach, über das sich schon eine Interviewspur legt, die ich im Geiste erstellen muss, weil in fünf Minuten dieser Journalist anruft.
Ich weiß jetzt schon, dass ich allzu geläufig auf seine Fragen antworten werde, aber mich gar nicht reden höre, sondern ständig daran denken muss, was ein Kollege eben gesagt hat: "Murkes gesammelte Schweigen" sei nun mal ein wirklich genialer Titel gewesen, so ein Buch hätte ich nun wirklich gerne geschrieben.

Die Autorin Kathrin Röggla wurde 1971 in Salzburg geboren. Sie studierte Germanistik und Publizistik in Salzburg und Berlin. Im Jahr 1992 entstanden die ersten Bücher sowie Kurzprosa. Seit 1998 verfasst und produziert sie auch Radioarbeiten – Hörspiele, akustische Installationen, Netzradio. Seit 2002 schreibt sie Theatertexte. Ausgezeichnet wurde Kathrin Röggla mit zahlreichen Preisen, darunter dem Salzburger Landesliteraturpreis (1992), dem Reinhard Priessnitz-Preis und Meta-Merzpreis (1995), dem Internationalen Preis für Kunst und Kultur des Kulturfonds der Stadt Salzburg (2005), dem Nestroy 2010 und dem Arthur-Schnitzler-Preis 2012.

© dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen
"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart". Wir bitten Schriftsteller jeweils für eine Woche um einen kurzen Text. Er soll kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen.
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