"L'invitation au voyage"

16.07.2013
Deutschland und Frankreich – eine Beziehung, die im Jubiläumsjahr des Élysée-Vertrages vielfach gefeiert wird. Nicht ganz einfach ist das Verhältnis beider Länder in musikalischer Hinsicht. Die Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie begibt sich mit einer Konzertreihe auf Spurensuche.
Schwebende Klänge, gleitende Farben – kein erdenschweres Streben nach der Grundtonart, keine markanten Betonungen: Das französische Kunstlied mit seinen Höhepunkten bei Fauré und Debussy stellt den denkbar reizvollsten Kontrast zum deutschen Lied dar – und das, obwohl das Lied sogar als "le lied" in die ansonsten um ihre Eigenständigkeit besorgte französische Sprache eingegangen ist. In Frankreich sagt man aber auch "la chanson" – und meint damit nicht nur Édith Piaf. Und wenn die Rede von "la mélodie" ist, sind keinesfalls ausschließlich schöne Melodien gemeint, sondern – nun ja – Lieder.

Das französische Kunstlied ist im wörtlichen Sinne schwer zu begreifen, da hierfür verschiedene Begriffe herangezogen werden müssen. Und diese besondere Kunstform hat es auf Podien im deutschen Sprachraum schwer, weil die unbestrittenen Meisterwerke der Gattung zwischen Beethoven und Schönberg vor allem in deutscher Sprache entstanden sind. Doch gibt es wohl kein anderes Land, das eine derart ausgefeilte Liedkunst hervorgebracht hat wie Frankreich – schließlich waren erlesenste Dichter und Komponisten wie Stéphane Mallarmé und Claude Debussy Zeitgenossen.

Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart hat in den vergangenen Monaten einige Liederabende präsentiert, die das französische Kunstlied unter die Lupe nahmen. Diese Reihe findet nun ihren abschließenden Höhepunkt in einem Konzert der Sopranistin Véronique Gens, die zu den bedeutendsten französischen Sängerinnen unserer Zeit gehört.

In ihrem rein französischen Programm kombinieren Gens und ihre Pianistin Susan Manoff maßstabsetzende Lieder der Meister Gabriel Fauré und Claude Debussy mit Werken von Henri Duparc und Reynaldo Hahn – zwei Vertretern der Belle Époque. Von letzterem natürlich dabei: "À Chloris", ein Hauptwerk der besonderen Art. Man sollte versuchen, diese formvollendete Rokoko-Nachahmung mit den Ohren von Marcel Proust zu hören: Der war Reynaldo Hahn leidenschaftlich zugetan – denn mit diesem Lied hatte er die "verlorene Zeit" wiedergefunden.


Liederhalle Stuttgart, Schiller-Saal
Aufzeichnung vom 09.07.2013

Gabriel Fauré
Lieder für Singstimme und Klavier:
"Le papillon et le fleur" (Victor Hugo) op. 1,1
"Au bord de l’eau" (Sully Prudhomme) op. 8,1
"Après un rêve" (Romain Bussine) op. 7,1
"Les Berceaux" (Sully Prudhomme) op. 23,1
"Lydia" (Charles-Marie-René Leconte de Lisle) op. 4,2
"Mandoline" (Paul Verlaine) op. 58,1

Henri Duparc
Lieder für Singstimme und Klavier:
"L‘ Invitation au voyage" (Charles Baudelaire)
"Romance de Mignon" (Victor Wilder nach Johann Wolfgang von Goethe)
"Chanson triste" (Jean Lahor)

Claude Debussy
Lieder für Singstimme und Klavier:
"Fleur des blés" (André Girod)
"Nuits d’étoiles" (Théodore de Banville)

ca. 20:40 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Friederike Westerhaus im Gespräch mit Véronique Gens

Ernest Chausson
Lieder für Singstimme und Klavier:
"Hébé" op. 2,6 (Louise Ackermann)
"Le temps des lilas" op. 19,3 (Maurice Bouchor)
"La chanson bien douce" op. 34,1 (Paul Verlaine)
"Le colibri" op. 2,7 (Charles-Marie-René Leconte de Lisle)
"Les papillons" op. 2,3 (Théophile Gautier)

Reynaldo Hahn
Lieder für Singstimme und Klavier:
"Quand je fus pris au pavillon" (Charles d’Orléans)
"Trois jours de vendange" (Alphonse Daudet)
"Lydé" / "Tyndaris" / "Pholoé" (Charles-Marie-René Leconte de Lisle)
"À Chloris" (Théophile de Viau)
"Le printemps" (Théodore de Banville)


Véronique Gens, Sopran
Susan Manoff, Klavier