Kyle Abrahams "Requiem"

Mozart trifft auf Black America

08:01 Minuten
Szene aus dem Requiem: Ein Mann in einem Kleid steht auf einer mondbeschienenen Bühne. Am Boden liegen Tänzer.
Eine Inszenierung, die leichtfüßig daherkommt, aber hochkomplex und abstrakt die Geschichte der Schwarzen in den USA in den Blick nimmt. © Peter Hönnemann
Wiebke Hüster im Gespräch mit Eckard Roelcke · 20.08.2021
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Was passiert, wenn sich der schwarze Choreograf Kyle Abraham und die schwarze Musikproduzentin Jlin Mozarts Totenmesse in d-Moll aneignen, konnte man auf Kampnagel erleben. Unsere Kritikerin ist begeistert.
"Es ist wie alle große Kunst, und das spürt man von der ersten Minute an, eine sehr komplexe Kunst", schwärmt Tanzkritikerin Wiebke Hüster nach der Uraufführung von Kyle Abrahams "Requiem: Fire In The Air Of The Earth" auf Kampnagel.


Der schwarze US-Choreograf hat sich Mozarts Totenmesse angenommen und in einer Komposition der Musikproduzentin Jlin auf die Bühne gebracht. Die starken Klänge ziehen einen sofort in den Bann, die starken Bewegungen der zehn Tänzerinnen und Tänzer von Kyles eigener Kompanie A.I.M strahlen eine ungeheure Macht auf der Bühne aus, wie Hüster berichtet.
"Es fühlt sich leicht an, aber man spürt, dass es diese abstrakten Ebenen gibt und gleichzeitig die Ebene, in der Tanz sich als Darstellung sozialer Ereignisse manifestiert, in der man Geschichten erzählt bekommt, wo man auch wirklich die Beziehungen von Figuren zueinander verfolgen kann und wie diese sich verändern. Es ist vieles zugleich und doch eine wundervoll überraschende ästhetische Einheit."

Die Geschichte der Schwarzen in den USA

Titel und Zeitpunkt der Uraufführung könnten einen glauben lassen, es handle sich hier um ein Stück über die Pandemie, über die Toten, die wir weltweit zu betrauen haben. Doch davon handelt es nicht nur, wie Hüster berichtet:
"Es ist auch ein Stück darüber, wie viele Schwarze im Laufe der Geschichte, seit die Schwarzen in die Vereinigten Staaten verschleppt wurden, dort gestorben sind, einen gewaltsamen Tod gefunden haben. Das alles ist es auch. Zugleich ist es eine komplett abstrakte Komposition."

Obwohl es sich hier um eine Totenmesse handelt, "ist das Ganze von einer hoffnungsvollen, inspirierten Atmosphäre getragen", so Hüster. Dazu tragen sicher auch die "wirklich lustigen Kostüme" von Giles Deacon bei.
Der US-Choreograf Kyle Abraham.
Der US-Choreograf Kyle Abraham.© Tatiana Wills

Ballett ist keine Kunst von alten Leuten

Männer tragen tunikaartige, kurze Kleidchen, manche mit Extrarüschen um den Hals oder um die Beine. Eine Frau trägt ein tutuartiges Röckchen. Die Kostüme sind aus weißer fließender Seide, mit schwarzen und roten Sprenkeln, die aussehen wie Blutspuren, manche Kostüme mit grünen Sprenkeln erinnern an florale Muster.
Der Abend auf Kampnagel zeigt auf eindrückliche Weise, wie Hüster erklärt, "dass das klassische Ballett eben keine Kunst von alten Leuten ist und keine Kunst, die dem 19. Jahrhundert angehört".
(ckr)
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