Kurzweiliges Italienpanorama

20.05.2013
Die Geschichte Italiens von der Antike bis zur Gegenwart, nicht mehr und nicht weniger hat sich der britische Autor David Gilmour vorgenommen. Mit erzählerischem Talent schlägt er große Bögen: ein Lesevergnügen, sehr informativ.
Italien sei doch nur ein geografischer Begriff, verhöhnte Metternich das zersplitterte Land 1849. Dank Napoleon hatten dennoch Bestrebungen eingesetzt, Italien politisch zu einigen, was 1861 schließlich auch geschah. Die Epoche zwischen 1815 und 1870 ist als "Risorgimento" (Wiedererstehung) in die Geschichte eingegangen. Die Spannung zwischen einem Drang zur Einheit und starken Regionalismen charakterisiert Italien bis heute.

Der Brite David Gilmour setzt mit angelsächsischem Pragmatismus genau dort an. Er findet herkömmliche Gesamtdarstellungen der italienischen Geschichte zu zentralistisch, weil alles auf die nationale Einigung zulaufe, so als habe es keine Alternativen gegeben. Gilmour spürt stattdessen den zentrifugalen Tendenzen der Halbinsel nach und macht sich mit erfrischender Unverfrorenheit daran, auf vierhundert Seiten gut dreitausend Jahre Geschichte zu präsentieren.

Sein Ausgangspunkt ist die Geografie Italiens, die durch ihre Vielgestaltigkeit - die Alpen im Norden, ein unüberwindlicher Bergzug in der Mitte, die vielen Küsten und die Länge der Halbinsel - die Entstehung sehr unterschiedlicher Kulturen befördert habe.

Mit erzählerischem Talent schlägt Gilmour große Bögen und wählt Beispiele zur Illustration der verschiedenen Epochen, wodurch abstrakte Machtkonstellationen unmittelbar anschaulich werden. Die Fresken im Rathaus von Siena kommen ebenso vor wie die Turiner Reiterdenkmäler, Verdis Opern und der große sizilianische Roman "Der Leopard" von Tomasi di Lampedusa. Gilmour wehrt sich vor allem gegen eine Idealisierung des Risorgimentos als freiheitlicher Bewegung. Seine Sympathie gehört den kommunalen Strukturen der toskanischen Städte.

Wie eine Besatzungsmacht
Die ausgeklügelte Wahl der neun Statthalter in Siena band verschiedene Klassen in die politischen Geschehnisse ein, etablierte zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein fortschrittliches Bauwesen, sorgte für Feuerwehr und Müllentsorgung. Die Verhältnisse zu idealisieren, liegt dem Autor dennoch fern. Ins Schwärmen gerät er vor allem bei den Schilderungen des Gemeinwesens von Venedig, wo auch die Führungsschicht individuelle Bedürfnisse hintanstellte und mit Bruderschaften, Schulen und Krankenhäusern für die Einwohner sorgte. Selbst die bourbonische Monarchie in Neapel kommt mit ihren europäischen Handelsbeziehungen und dem fortschrittlichen Rechtssystem besser weg als das reaktionäre Piemont, unter dessen Regie die nationale Einigung dann aber zustande kam.

Hier erkennt David Gilmour den Ursprung der aktuellen italienischen Misere: Das Risorgimento habe die regionalen Errungenschaften mit Füßen getreten und sich vor allem im Süden wie eine Besatzungsmacht aufgeführt. Keine ganz neue Erkenntnis. Zwar führt der Autor einige Erklärungen an, weshalb Italien diese Fehler 150 Jahre lang nicht ausgleichen konnte, aber hier hätte man sich ausführlichere Analysen gewünscht. Prägnant erläutert Gilmour auch die Entwicklungen des späten 20. Jahrhunderts.

Mit seinem Loblied auf einen weltoffenen Lokalpatriotismus als Alternative zum nationalen Projekt muss man zwar nicht einverstanden sein. Kurzweiliger und informativer kann ein Italienpanorama aber nicht sein.

Besprochen von Maike Albath

David Gilmour: Auf der Suche nach Italien. Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart
Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Rita Seuß
Klett-Cotta, Stuttgart, 2013
512 Seiten, 29,95 Euro
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