Kurzreferate und ein bisschen Krawall

Von Jürgen König · 24.03.2011
Die Idee von "DisputBerlin!" ist simpel: Talkgäste beziehen zu einem Thema in Pro und Contra-Manier Stellung und inszenieren einen Schlagabtausch, bei dem am Ende per Abstimmung das Publikum entscheidet. Beim ersten Mal ging es um die These "Ohne Religion wäre die Welt besser dran!".
Zunächst begrüßte die Initiatorin des Projektes, Jutta Falke-Ischinger, die Gäste.

"Das ist eine Premiere und ein Experiment zugleich. Und Sie alle sind Teil davon, Teil von 'Disput Berlin'. Wir führen hier heute ein neues Format ein. Ein Format, das ich aus unserer Zeit in England kenne, das in Deutschland noch relativ ungewohnt ist. Wir finden aber, die Zeit und natürlich auch Berlin, ist reif für eine neue Streitkultur."

Und sie erklärt auch gleich das Prinzip des neuen Formats.

"Normalerweise geht das ja in deutschen Talkshows so: Dann wird eine Frage gestellt, und jeder sagt dann dazu das, was er ohnehin immer schon mal sagen wollte. Und wir bei 'Disput Berlin' machen das anders. Wir formulieren keine Frage, sondern eine zugespitzte These. Und um die wird dann gestritten. Pro und Contra."

"Pro und Contra" – so hieß schon mal eine Fernsendung ähnlichen Zuschnitts, aber seien wir nicht mäkelig. Dass es sich hier um das Ausprobieren eines neuen Fernsehformats handelte, darf man getrost vermuten, Kameras zeichnen - im entsprechenden Setting - den Abend auf; dass der Moderator des Abends, Stefan Aust, am Fernsehsender N24 beteiligt ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Disput Berlin – wer ihn gewinnt, entscheidet das Publikum, Stefan Aust erklärt: wie.

"Wenn Sie auf die 1 drücken, dann heißt das 'Pro', wenn Sie auf die 2 drücken, heißt das 'Contra', und auf die 3: Ist das eine Enthaltung."

"Ohne Religion wäre die Welt besser dran!": Das ist die These des Abends. Gleich zu Beginn stimmt das Publikum ab: 35,7 Prozent der Gäste stimmen der These zu, 56,3 Prozent sind dagegen. Dann kommen die acht Disputanten, jeder hat vier Minuten Zeit, seine Meinung zu äußern, danach eine Runde mit Fragen aus dem Publikum und Antworten vom Podium, danach hat noch mal jeder Disputant 100 Sekunden für ein Schlusswort – anschließend stimmt das Publikum noch einmal ab – so ist es vorgesehen. Den Reigen der Disputanten eröffnet Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

"Wir haben uns entschieden, zu dieser These einer wichtige Besonderheit hinzuzufügen: Ohne organisierte Religion wäre die Welt besser dran. Denn gegen religiöse Erlebnisse, religiöse Gefühle, eine Beerdigung, die einen tröstet, gegen all diese Dinge haben wir nichts, sie sind Teil unserer Kultur – wir sind keine Banausen, sondern wenden uns nur gegen organisierte Religionen, die einen Machtanspruch reklamieren."

Für den ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, war das natürlich eine Steilvorlage.


"Wenn die Debatte des heutigen Tages so anfängt, dass zunächst gesagt wird: Die organisierte Religion wollen wir nicht, ohne sie wären wir besser dran - und sofort im Anschluss daran werden gute Beerdigungen gelobt, dann frage ich Sie, meine verehrten Damen und Herren, wie kommen gute Beerdigungen zustande, wenn es nicht eine organisierte Kirche gibt (Applaus)?"

Es wäre müßig, den Gang der Argumente im Detail nachzuvollziehen. Nichts dabei, was man nicht schon gehört hätte. Nur einige Ausschnitte. Der Journalist Matthias Matussek zeigt sich religiös:

"Es scheinen Fragen in der Religion verkapselt zu sein, die ihn und uns nicht ruhen lassen. Und zu denen gehört seit Kant: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Also: Wie soll ich leben? Und was wird danach?"

Oder Philipp Möller, der als "atheistische Kampagne" einen Bus mit der Aufschrift "Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott" durch halb Europa fahren ließ:

"Solange religiöse Gruppierungen der Meinung sind, im Besitz absoluter Wahrheiten zu sein, solange deutsche Bistümer zum allergrößten Teil aus Steuergeldern, nicht aus Kirchensteuern, sondern aus Steuergeldern finanziert, aber vom undemokratischen Vatikan gesteuert werden, solange wir Berufschristen dafür bezahlen, dass sie Homosexualität als Sünde bezeichnen, die wider die Natur wäre, und solange wir die nötige Kritik am Islam als islamophob oder gar als rassistisch abtun, solange kann und muss Religion kritisiert werden."

Dagegen wiederum: die Unternehmerin Fürstin Gloria von Thurn und Taxis:

"Die organisierte Religion erfindet keinen Aberglauben, sie hält ihn im Zaum. Sobald organisierter Glaube zerstört wird, wird er von dem unmöglichsten Aberglauben überwuchert, von dem es jetzt wie Maden in den Wunden des Christentums wimmelt."

Ohne Zweifel: Es war amüsant. Neue Erkenntnisse brachte es nicht wirklich, auch eine "neue Streitkultur" konnte der Berichterstatter beim besten Willen nicht erkennen, jeder fiel dem anderen ins Wort, wo es nur ging, einmal gab es Tumult – nachdem Philipp Möller salopp vom "jüdischen Aberglauben" gesprochen hatte, fiel ihm der Prälat Wilhelm Imkamp heftig ins Wort:

"In Berlin kann man nicht vom kindisch-jüdischen Aberglauben reden." "Ich hab Ihnen ja versprochen, dass Leute sich persönlich beleidigt fühlen!" "Ich bin nicht beleidigt!" "Macht aber den Eindruck!" "Ich ärgere mich nur, dass Sie im Namen von Aufklärung vom jüdischen Aberglauben sprechen. Und die jüdische Religion disqualifizieren! Und dann kommen Sie hin und sagen, die Katholische Kirche hat die Juden verfolgt! Die Judenverfolger, das sind Sie!" "Ich habe Einstein zitiert!" (Heftige Buhrufe.)"

Und das war denn auch der Aufreger des Abends. "So geht streiten."- mit diesem Slogan wirbt Disput/Berlin. Na ja. Sprechen wir lieber vom Charme eines Gesellschaftsspiels. Schade war es, dass das illustre Podium, zu dem noch die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek und der Journalist Alan Posener gehörten, jenseits ihrer Kurzvorträge niemals wirklich miteinander disputieren konnten; wegen der ausführlichen Publikumsrunde blieb dafür keine Zeit – und dabei hätte man sie doch gerne erlebt beim intellektuell glanzvollen Ringen um die Wesenszüge des Glaubens und des Nicht-Glaubens.

Stattdessen: Kurzreferate und ein bisschen Krawall. Und dabei lassen sich doch komplexe Themen nur schlecht auf Thesen verknappen. Jeder vereinfacht, so gut es geht, was wiederum zur Folge hat, dass nicht die besseren Argumente wirken, sondern die besseren Redner. Am Ende gewannen die Religionsbefürworter 1,8 Prozent der Stimmen hinzu – und das war's dann auch schon.