Kurzkritiken

Helden in der Fremde

Die Schauspielerin Geraldine Chaplin in Panama City bei der Präsentation ihres Films "Sand Dollars".
Die Schauspielerin Geraldine Chaplin in Panama City bei der Präsentation ihres Films "Sand Dollars". © picture alliance / dpa / Jeffrey Arguedas
Von Christian Berndt · 05.12.2015
Drei Filme erzählen Geschichten von Menschen, die in der Ferne ihr Glück suchen: Ein Bürgerkriegsflüchtling im französischen Exil, eine Studentin in New York und eine alte Französin, die eine junge Frau aus der Karibik liebt.
Ein Berg Leichen wird verbrannt, Opfer des Bürgerkrieges in Sri Lanka. Der französische Film "Dämonen und Wunder" - in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet - beginnt drastisch. Dheepan ist auf der Flucht vor dem Krieg, und weil nur Familien Chancen auf Asyl bekommen, tut er sich mit einer jungen Frau mit Kind zusammen. Aber auch die Frau ist nicht die Mutter des Mädchens, sondern hat sich einfach im Flüchtlingslager ein Waisenkind genommen. So kommen die drei als falsche Familie nach Frankreich, ins –vermeintlich -gelobte Land:
"Ihr Götter, sorgt dafür, dass alles gut wird und wir hier keine Probleme kriegen."
Dheepan bekommt sogar einen Job, aber sie landen an einem sozialen Brennpunkt, der sich bald als lebensgefährlich erweist:
Die zerfallene Sozialbausiedlung wird von Gangstern beherrscht und Dheepan mitten in einen Bandenkrieg hineingezogen. Es ist eine sarkastische Volte der Geschichte, dass er in Frankreich die im Bürgerkrieg erlernten Kriegstechniken braucht. Jacques Audiard zeigt, wie schon in seinem intensiven Gefängnisdrama "Ein Prophet", eine Welt ohne Gesetz und Moral. Die Kraft von "Dämonen und Wundern" liegt weniger im Erzählerischen, als vielmehr in den physisch-aufgeladenen Momentaufnahmen, die authentisch bis in die Poren wirken - ob es um Gewalt oder die langsame Annäherung Dheepans an seine neue Familie geht. Der Film ist nicht nur ein kühl beobachtendes Konglomerat aus Flüchtlings-, Gangster- und Familiendrama, sondern auch eine atemberaubend aktuelle Zustandsbeschreibung.
Hipster zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Der Wechsel in eine vermeintlich bessere Welt steht auch am Beginn der amerikanischen Komödie "Mistress America". Die 18jährige Tracy ist hoffnungsfroh zum Studieren aus der Provinz nach New York gekommen. Aber schnell folgt die Ernüchterung, nirgendwo findet sie Anschluss, New York ist wie eine Party, zu der man nicht eingeladen ist, sagt sie. Notgedrungen ruft sie ihre hier lebende, zukünftige Stiefschwester Brooke an, und die beiden treffen sich am Times Square – Brookes Zuhause.
"Tracy?"
"Der Times Square ist so verrückt."
"Ja, oder?"
"Ich kenn niemanden, der hier wohnt."
"Außer mich. Ich kam vom Busbahnhof hier an und dachte, hier muss ich unbedingt wohnen."
Anscheinend erreicht sie alles, was sie will. Brooke, gespielt von der derzeitigen Königin des amerikanischen Indie-Kinos Greta Gerwig, ist eine selbstbewusste Lebenskünstlerin. Sie schleppt Tracy mit auf hippe Partys und Konzerte, wo sie spontan bei den Bands mitsingt. Tracy ist tief beeindruckt:
"Genauso sollte eine junge Frau von heute leben und ihre Freiheit auskosten."
Brookes neueste Idee ist es, ein Szene-Restaurant zu eröffnen, aber die Finanzierung klappt nicht. Nach der anfänglichen Begeisterung merkt Tracy bald, dass es sich bei Brooke, die vieles macht, aber erfolglos bleibt, mehr um Schein als Sein handelt. Der New Yorker Regisseur Noah Baumbach hat sich mit Filmen wie "Frances Ha" den Ruf eines Woody Allen des Indie-Kinos erarbeitet. Auch in "Mistress America" geht es wieder um junge Hipster zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Hinter den Witzen verbergen sich konservative Einsichten
Mit dem Film ist es allerdings wie mit der Heldin: Hinter den Witzen stecken oft eher banale, tendenziell auch konservative Einsichten, zum Beispiel über das absehbare Scheitern einer Lebensweise der verlängerten Jugend. Und Baumbachs Versuch, Brookes Besuch bei einer früheren Freundin, der zum flotten Schlagabtausch über Lebenslügen eskaliert, als zeitgemäße Screwball-Komödie zu inszenieren, wirkt mehr überkonstruiert als treffend. Das absehbare Scheitern der tragikomischen Heldin trägt am Ende doch sehr moralinsaure Züge. An Woody Allens ironischer Schärfe erinnert "Mistress America" mit seinem harmlos-angepassten Humor nur von sehr weiter Ferne.
Von der Flucht in die Ferne und verlorenen Illusionen handelt auch "Sand Dollars" aus der Dominikanischen Republik. Die alternde Französin Anne, eindrücklich gespielt von Geraldine Chaplin, verbringt viel Zeit des Jahres in der Karibik, wo sie eine Beziehung mit der jungen Dominikanerin Noeli führt. Aber die Erwartungen der beiden sind unterschiedlich. Noeli hat einen Freund, sie möchte mit Anne nach Paris ziehen und sie heiraten, damit sie Geld nach Hause schicken kann. Anne aber hält sie hin. Als Noeli schwanger wird, stellen sich alle Fragen wieder neu. Das Regieduo Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas hält den fragilen Zustand zwischen Zuneigung und Ausbeutung wunderbar in der Schwebe. Man weiß nie genau, wie und ob es im nächsten Moment weitergeht – so zerbrechlich ist dieses Dreiergebilde. Die Offenheit des genauen Blicks zeichnet "Sand Dollars" aus als ein Drama, das zart und nüchtern auf den Tauschwert der Liebe schaut.
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