Kurz vor dem Austicken

28.06.2008
Im Zentrum von Franz Doblers Roman "Aufräumen" steht ein zorniger, nicht mehr ganz junger Mann. "Beat" will die Brücken zu falschen Freunden abbrechen, seinen Job schmeißen und gegen alles Angepasste rebelieren. Gleichzeitig bahnen sich "zarte Bande" an. Die Welt von Außenseitern, die Dobler konstruiert, überzeugt.
"Austickender Mann in der Straßenbahn" - mit dieser Ellipse steigt Franz Dobler ein in seinen Roman "Aufräumen". In diesen wenigen Worten steckt schon der Kern seines Romans: die Wut vor allem, die immer wieder durchschlägt; das Überschreiten von Grenzen; der Amoklauf; der Mann, der sich nicht mehr im Griff hat; die Straße, auf der alles passiert.

Beat heißt der Held dieses Romans. Er trägt zwei Namen in einem, als Sohn eines Schweizers heißt er träge langgezogen Be-at, als DJ und alter Punkrocker ist er der englische Beat, der Mann mit dem starkem Gefühl für Rhythmus und Drive.

Der Roman beobachtet 24 Stunden in seinem Leben, die angesichts des austickenden Mannes in der Straßenbahn mit einem festen Vorsatz beginnen: aufzuräumen. Beat will aufräumen mit falschen Freunden, die sich ewig nicht mehr gemeldet haben, aufräumen mit diversen Nebentätigkeiten, mit denen er sich nur prekär über Wasser hält.

Vor allem will er seinen Job als Ideenlieferant für einen Pornoproduzenten loswerden, spätestens als er erfährt, dass der inzwischen Folter-Pornos vertreibt. Der Produzent ist Beat allerdings auf den Fersen, weil er meint, Beat habe ihn an die Polizei verpfiffen. Beat besorgt sich eine Pistole, um sich notfalls gegen den Pornotypen verteidigen zu können. Natürlich wird diese Pistole irgendwann losgehen.

Die Porno-Verfolgungsgeschichte ist der eine Motor dieses Romans, der andere ist, wenig überraschend, die Liebe. Franz Dobler inszeniert die Anbahnung der zarten Bande allerdings in einem ganz eigenen Stil. Der Mittvierziger Beat trifft die Mittvierzigerin Monika, als sie gerade eine Kiste mit Singles auf die Straße fallen lässt, DJ trifft DJane.

Ihre erste Nacht ist ein Auftritt von Monika: mit alten, entlegenen und überhaupt unmöglichen Songs bringt sie einen ziemlich gewöhnlichen Laden in Schwung. Beat macht ihr den Saalschützer, der ihr die Musik- Auskenner vom Hals hält. Über die Musik entsteht etwas zwischen diesen beiden rauen, abgestoßenen, innen aber glühenden Menschen. So grantig Monika Beat zuerst abwehrt, so wild fliegt sie auf ihn, als sie seine entschlossene Verlorenheit gespürt hat.

Dieses Paar und die Pornotypen, das Figurenarsenal dieses Romans wird daneben nur noch sparsam ergänzt: durch einen sterbenden Schriftsteller, einen alten, grantigen Juden, den Beat ab und an besucht. Ein kurdischer Gastwirt spielt eine Rolle, ein türkischer Freund, ein verrückter Drogenfreak.

Mehr braucht Franz Dobler nicht, um eine überzeugende Welt von Außenseitern zu konstruieren. Bürgerliche Lebensläufe kriegen die alle nicht hin, selbst wenn sie es wollten. Sie sind nervös, überdreht, von der Rolle. Beat treibt 24 Stunden durch diese Szenerie, übermüdet, die Pistole in der Tasche, später Monika an der Seite, und das starke Gefühl im Kopf, dass die ganze überspannte Szenerie um ihn herum jeden Moment einstürzen könnte.

Das ist die Stärke dieses Romans: Beats Aufräumen fördert die Schutthalden der Gegenwart zu Tage, das Verbogene, Angepasste, Eingefügte jedes Lebens. Alle diese angestrengt zurechtgebogenen Lebenskonstruktionen können in jedem Moment explodieren, "austickender Mann in der Straßenbahn", und genau diesen Moment kurz vor der Explosion erzeugt der Roman konsequent.

Sätze brechen aus, Fantasien schießen quer, Tagträume irrlichtern, immer steht die Szenerie kurz vor dem Austicken. Da muss einem Franz Dobler mit keiner Moral mehr kommen, sein "Aufräumen" zeigt konsequent und formbewusst, cool und komisch, wie die Dinge stehen, bei den Außenseitern genau wie bei den anderen.

Rezensiert von Frank Meyer

Franz Dobler: Aufräumen
Roman, Verlag Antje Kunstmann, München 2008
206 Seiten, 17,90 Euro