Kurz und kritisch

Besprochen von Ernst Rommeney · 24.11.2013
Wirtschaftsjournalist Neil Irwin schreibt über die Stärken und Schwächen der Zentralbanken. Geht es nach Finanzwissenschaftler Gerald Pilz, sollten sich die Europäer weniger an sich als an den Welthandel halten, während Historiker Arnulf Baring den Zustand Deutschlands analysiert.
Für Neil Irwin arbeiten Zentralbanker wie Alchemisten, die einst aus gewöhnlichen Substanzen Gold und Silber herzustellen zu suchten – und das in verborgenen, ja unheimlichen Labors. Im Verborgenen zu arbeiten, gehört ebenso zu ihrer Stärke, wie gut untereinander vernetzt zu sein, genau zu analysieren und schließlich unabhängig zu entscheiden.
Cover: Neil Irwin "Die Alchemisten. Die geheime Welt der Zentralbanker"
Cover: Neil Irwin "Die Alchemisten. Die geheime Welt der Zentralbanker"© Econ Verlag
Außenstehende bemängeln oft, dass sie nicht demokratisch kontrolliert werden. Folgt man dem Wirtschaftsjournalisten der "Washington Post" wird dieses Manko dadurch ausgeglichen, dass im Zentralbankrat recht unterschiedliche Persönlichkeiten – nicht selten kontrovers streitend – einander in Schach halten.
Wären sie nicht konservative Leute, so meint er, säßen sie nicht in einem solchen Gremium. Und doch hätten sie in der jüngsten Krise seit 2007 unkonventionell und dadurch erfolgreich gehandelt – einfach, weil sie aus den schlechten Erfahrungen ihrer Vorgänger gelernt hätten.
Aus dem Nichts schöpften diese neuzeitlichen Alchemisten wertvolles Geld, fluteten die Wirtschaft, um Katastrophen abzuwenden, sobald Banken und Investoren einander misstrauisch Kredit verweigerten. Noch ungeschrieben allerdings ist das Kapitel, wie sie diese Liquidität wieder einfangen und die Masse an zweifelhaften Staatsanleihen ohne Verluste aus ihren Depots bekommen wollen.
Erfolg und Stärke der Zentralbanken aber sei auch zu ihrem Problem geworden. Denn sie mischten sich, mehr als ihnen erlaubt, in die Politik ein.

Neil Irwin: Die Alchemisten. Die geheime Welt der Zentralbanker
Econ Verlag, Berlin 2013
512 Seiten, 26,00 Euro

Gerald Pilz hat das Vertrauen in Zentralbanker und Politiker längst verloren. Er schreibt launig im Rausch der Apokalypse. Und wer schon vorher wusste, dass es mit Euroland nicht gut gehen werde, dass die da oben alles falsch machen, der kann mit dem Dozenten an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg darüber auch bloggen.
Cover: Gerald Pilz "Europa im Würgegriff"
Cover: Gerald Pilz "Europa im Würgegriff"© UVK
Dabei ist er nicht unfair. Er leidet mit den Griechen, versucht deren Seelenlage zu deuten, ihren wirtschaftlichen Absturz historisch einzuordnen. Und er bleibt ehrlich zu seinen Lesern. Brächen die Märkte über ihnen zusammen, dann schützten weder Gold, Immobilien noch Bitcoins aus dem Internet vor Verlusten.
Überhaupt sei Europa viel zu klein gedacht, baue ängstlich eine Wagenburg gegen den Welthandel. Das 21. Jahrhundert gehöre eindeutig den Asiaten und die Europäer hielten sich besser an die Amerikaner.

Gerald Pilz: Europa im Würgegriff
UVK Universitätsverlag, Konstanz 2013
200 Seiten, 19,99 Euro

Er wünscht sich ein selbstbewusstes, zuversichtliches, handlungsbereites und auch starkes Deutschland. Doch, so bedauert Arnulf Baring, mangele es an glaubwürdigem, qualifiziertem Personal. Begabte Politiker kämen derzeit allenfalls aus dem Osten des Landes. Es brauche eine Elitenbildung wie in Frankreich.
Cover: Arnulf Baring "Der Unbequeme. Autobiografische Notizen"
Cover: Arnulf Baring "Der Unbequeme. Autobiografische Notizen"© Europa Verlag Berlin
Überzeugend könnten Franzosen "vive la Republique, vive la France" ausrufen, aber Deutsche nicht "es lebe Deutschland". Denn sie hätten 1200 Jahre ihrer Geschichte völlig vergessen, seien gefangen in der Katastrophe des Dritten Reiches. Das mache sie unfähig, kritisch Patriotismus zu leben, weltoffen nationale Interessen zu formulieren und daraus eine Gemeinschaft zu entwickeln, die Krisenzeiten meistern helfe.
Und die beeindrucken auch in seinen Lebenserinnerungen, wenn er schildert, wie er Krieg und Nachkriegszeit erlebte oder was er während der Studentenrevolte durchmachte. Aber natürlich will der studierte Jurist, der als Professor zum Historiker und Politikwissenschaftler wurde, nach wie vor unbequemer Publizist sein.
Nicht falsch, aber auch nicht wirklich richtig analysiert er im 5. Kapitel den Zustand des Landes. Manchem seiner Argumente fehlen die letzten 15 Jahre. Da ersehnt er sich den Zusammenbruch des Eurosystems, wovon er neue Kraft erwartet, erinnert sich aber nur flüchtig an 1914.
Oder, wie er es ausdrücken würde, hier schreibt ein Protestant, nicht aber ein Buddhist, der sein Leben ohne Groll akzeptiert.

Arnulf Baring: Der Unbequeme. Autobiografische Notizen
Europa Verlag, Berlin 2013
400 Seiten, 21,90 Euro