Kurz und kritisch

02.10.2011
Karen Michels geht auf Reisen mit Martin Luther, Esther-Marie Merz und Camilla Landbø befassen sich mit Südamerika und Michael Zeuske untersucht den Mythos des Simón Bolívar.
Auf der Straße begegnet man dem Leben, wie es wirklich ist. Spricht mit den Leuten, lässt sich ein Stück mitnehmen und entdeckt in Ulm, dass ein Dom wohl für die Macht der Kirche steht, doch viel zu groß ist, dem Volk das Wort Gottes zu verkünden. Wofür aber ist eine Kirche da? 12.000 Kilometer ist der Mönch Martin Luther gewandert. Seine weiteste Reise führte ihn nach Rom. Später ging es nach Heidelberg, Augsburg, Worms. Und wenn der Wanderer des frühen 16. Jahrhunderts vielleicht keinen Sinn hatte für die Schönheiten der Natur – die Welt außerhalb der Klostermauern war eine Entdeckung. Luther wurde klar, wie er diese Menschen anzusprechen hatte: in ihrer eigenen Sprache, mit Bildern aus der eigenen Wirklichkeit. Und so erfüllt das kleine, bibliophil aufgemachte Buch eine dreifache Funktion. Erstens: Es erzählt ein Stück Geschichte unserer heutigen Kultur. Zweitens: Es gibt mit seinen fein gedruckten Stichen Einblick in eine Zeit des Gewahrwerdens. Und drittens: Es belegt, was "kreatives Reisen" bedeuten kann – offen sein für das Unbekannte. Zuhören, Hinschauen, Staunen.

"Martin Luther – die Lektionen der Straße" von Karen Michels, Corso Verlag


Sie sind viel gereist und haben viel gesehen, die beiden Autorinnen des Bandes "Südamerika zwischen Armut und Wirtschaftsboom". Und trotzdem ist ihnen kein gutes Buch gelungen. Sie reichern zwar ihre zufälligen Reiseerfahrungen mit vielen Zahlen und Fakten an, doch es fehlt ihnen die zeitgeschichtliche Perspektive und so schleichen sich immer wieder Fehler und Fehleinschätzungen ein. Und manchmal widersprechen sie sich. Für den Wirtschaftsboom der Regionalmacht Brasilien, die immerhin fast die Hälfte des Kontinents ausmacht, haben sie nur eine knappe Seite übrig. Hugo Chávez und seiner bolivarischen Revolution widmen sie dagegen ein ganzes Kapitel, ohne jedoch zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Unsinnige Sätze wie "Der Geist der Korruption spukt überall herum, doch niemand kann ihn fassen" sind symptomatisch für das Buch: Mit mehr Recherche wären sie den Ursachen der Korruption und so manch anderem Phänomen, das sie für unerklärlich halten, sehr wohl auf die Spur gekommen.

"Südamerika zwischen Armut und Wirtschaftsboom", von Esther-Marie Merz und Camilla Landbø, Verlag Ueberreuter


Venezuelas Präsident Hugo Chávez beruft sich auf Simón Bolívar, um seine Politik zu rechtfertigen. Das ist keineswegs neu, denn seit der unter Bolívars Führung erkämpften Unabhängigkeit von Spanien 1810 haben sich alle venezolanischen Präsidenten, Diktatoren wie Demokraten gleichermaßen, den Mythos des Befreiers zunutze gemacht. Der Historiker und Bolívar-Spezialist Michael Zeuske stellt in seinem flüssig geschriebenen Buch die verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Bolívar-Mythen aus Venezuela vor – und nicht, wie der Titel glauben machen kann, aus ganz Südamerika. Zeuske geht der Entstehung dieser Mythen nach und überprüft ihren Wahrheitsgehalt an Hand Bolívars Lebenswegs. Wie die immer wieder behauptete Verbindung des südamerikanischen Befreiers mit dem deutschen Forscher Alexander von Humboldt. Zu Unrecht, wie der Autor überzeugend beschreibt. Zeuskes Buch trägt dazu bei, zu verstehen, weshalb der Mythos Simón Bolívars bis heute dazu beitragen kann, die Venezolaner auf einen politischen Kurs - ob konservativ oder sozialistisch - einzuschwören.

"Simón Bolívar. Befreier Südamerikas. Geschichte und Mythos" von Michael Zeuske, Rotbuch Verlag
Buchcover "Martin Luther - die Lektionen der Straße" von Karen Michels
Buchcover "Martin Luther - die Lektionen der Straße" von Karen Michels© Corso Verlag
Buchcover "Südamerika zwischen Armut und Wirtschaftsboom" von Esther-Marie Merz, Camilla Landbö
Buchcover "Südamerika zwischen Armut und Wirtschaftsboom" von Esther-Marie Merz, Camilla Landbö© Verlag Ueberreuter
Buchcover "Simon Bolivar. Befreier Südamerikas Geschichte und Mythos" von Michael Zeuske
Buchcover "Simon Bolivar. Befreier Südamerikas Geschichte und Mythos" von Michael Zeuske© Rotbuch Verlag