Kurz und kritisch

04.07.2010
In "Kap meiner Hoffnung" beschreibt Irina André-Lang ihre Erfahrungen als Kinderärztin in Südafrika. "Nur im Weltall ist es wirklich still" ist ein Essay zur Lärm-Unkultur. "Werden wir ewig leben?" dreht sich um die Zukunft von Mensch und Technologie.
Irina André-Lang: Kap meiner Hoffnung. Als Kinderärztin in Südafrika
A1 Verlag

"Im Krankenhaus von Udupi begreife ich erstmals, was der menschliche Organismus alles überleben kann", schreibt Irina André-Lang. Udupi liegt in Indien, dort wird die junge Ärztin erstmals mit der Medizin in der Dritten Welt konfrontiert. Ein Schock, zugleich aber ein Erweckungserlebnis. André-Lang arbeitet in den Achtzigerjahren als Kinderärztin in Südafrika, erlebt dort das Ende der Apartheid, erfährt die kruden Bedingungen in den Krankenhäusern der Schwarzen, stürzt als Buschdoktorin mit dem Flugzeug ab … eine Biografie, die durchaus filmreif ist als Buch zwar gespickt mit manchmal peinlich offenherziger Privatbeichte, zugleich eine ergreifende Sozialreportage. Und daher sehr lesenswert: Wo Menschen-, ja Kinderleben so wenig zählen wie im AIDS-geplagten Südafrika, kann jedes vorläufig gerettete Leben als Manifest gegen das Nützlichkeitsdenken gelten.


Sieglinde Geisel: Nur im Weltall ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille
Galiani Verlag.

Man kann sich nur die Ohren zuhalten, meint Sieglinde Geisel in einem Essay zur Lärm-Unkultur. "Brot über einen Teller ziehen, der frisch aus der Spülmaschine kommt", nerve akustisch gewaltig, bekennt einer ihrer Gewährsleute. Das ist - Spülmaschine! - ein neues Phänomen. Alt hingegen sind grundsätzliche Klagen über Lärmbelästigungen. Schon Seneca schrieb eine Liste zivilisationsbedingter Störgeräusche, zu denen - römische Sklavenwirtschaft! - natürlich auch Niesen und Husten der Zwangsarbeiter zählten. Der Silentiarius, sprich der Oberschweigemeister, musste damals für Ruhe unterm Personal sorgen, mit nicht eben sanften Mitteln. Einen Silentiarius im Maschinenpark unserer übertechnisierten Haushalte erhoffen wir bislang vergebens.

Und so rattert, poltert, quietscht und kratzt es rund um die Uhr. Dazu ertönt Sieglinde Geisels leiser Weckruf: Innehalten, Lärm ausschalten! Denn wo sonst als zu Haus können Städter noch Ruhe finden, sind doch viele öffentliche Orte heute zu riesigen Beschallungsräumen und frei flottierenden Telefonzellen mutiert …


Tobias Hülswitt/Roman Brinzanik: Werden wir ewig leben? Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie
edition unseld

Trotz erheblicher Hörschäden könnte der Mensch theoretisch 122 Jahre alt werden. Das reicht einigen Leuten nicht, sie hätten gern mehr. Allen voran der Informatiker Ray Kurzweil, von dessen Thesen über die Aufhaltbarkeit menschlicher Verfallsprozesse Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik zu Gesprächen über das Ende des Todes angeregt wurden. Interessant ist dabei: Je naturwissenschaftlicher die Orientierung der Befragten, desto unerschütterlicher ihr Optimismus.

Der britische Biologe David Gems etwa hält Altern schlicht für eine therapierbare Krankheit, während der deutsche Zellbiologie Peter Gruss nicht ganz zu Unrecht feststellt: "Wenn sich auf der Erde nur eine nichtalternde Spezies entwickelt hätte, gäbe es uns nicht. Dann wäre es bei einer Spezies geblieben." Insgesamt eine wichtige Debatte über die Machbarkeit unserer Wünsche und die Wünschbarkeit des Machbaren. Bedenklich allerdings, dass die meisten Befragten glauben, ihre aktuelle Begeisterungsfähigkeit reiche auch für ein 400-jähriges Leben aus … daraus spricht wenig Lebenserfahrung.
Cover: "Irina André-Lang: Kap meiner Hoffnung"
Cover: "Irina André-Lang: Kap meiner Hoffnung"© A1 Verlag
Cover: "Tobias Hülswitt/Roman Brinzanik: Werden wir ewig leben?"
Cover: "Tobias Hülswitt/Roman Brinzanik: Werden wir ewig leben?"© edition unseld