Kurz und kritisch

02.04.2010
"Afrika - Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten" ist Entwicklungshilfe für Leser. "Die Regierung des Selbst und der anderen" untersucht das ethische Fundament der athenischen Demokratie. In "Barmherzigkeit" geht es um eine Tugend.
Asfa-Wossen Asserate: Afrika - Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
Verlag C. H. Beck.

"Gibt es Altenheime in Afrika?" Zugegeben, die Frage brennt nicht unter den Nägeln. Doch steht sie prototypisch für eine Buchreihe, die in "101 Fragen" ein Thema von allen Seiten beleuchtet. Asfa-Wossen Asserate kennen wir seit seinem Bestseller "Manieren" als äthiopischen Adeligen mit untadeligen Umgangsformen. Nun wendet er sich seinem Heimatkontinent zu. Dass der hoch informative Essay von bisweilen seltsamen Erkundungen durchzogen wird – "Liest man Harry Potter auch in Afrika?" – scheint dabei nicht allein den Verlagsvorgaben geschuldet, sondern zeigt eine gewisse Ironie.

Sie kontrastiert zum überwiegend deprimierenden Zustand jenes Erdteils, dem die Menschheit entstammt. Folgerichtig lautet die letzte Frage: "Was verdanken wir Afrika?" und Asserate schließt mit der Hoffnung "dass die Afrikaner selbst erkennen, was sie der Welt gegeben haben und in ihrer Leidensfähigkeit eines Tages auch die Früchte ihres Beitrags genießen dürfen." Prädikat: Entwicklungshilfe für westliche Leser.


Die Regierung des Selbst und der anderen
Vorlesungen von Michel Foucault am Collège de France 1982-84 in zwei Bänden, übersetzt von Jürgen Schröder, Suhrkamp Verlag

Die freimütige und spontane öffentliche Rede wünschte man sich öfter, aber wie wir wissen, kann, wer diese Form der Wahrheit wagt, damit durchaus die eigene Person aufs Spiel setzen. Die altgriechische Philosophie kannte für das aufrichtige, aus der Situation entstehende Sprechen den Begriff Parrhesía – im Gegensatz zum formalen Rederecht.

Der französische Philosoph Michel Foucault war von diesem Thema offenbar äußerst fasziniert, und kurz vor seinem Tode widmete er sich ihm auch in der Universität. In seinen beiden letzten Vorlesungsreihen in Paris Anfang der Achtzigerjahre begegnen wir vor allem antiken Denkern. Hier geht es um Mut, Glaubwürdigkeit und Offenheit der Rede als besondere Kategorien.

Der große Theoretiker Foucault untersucht das ethische Fundament der athenischen Demokratie - und postuliert energisch eine notwendige Trennung von Philosophie und Politik. Einmal mehr dokumentieren sich in diesen Texten Foucaults unermüdliche Suche nach Wahrhaftigkeit – und seine Modernität. Nicht leicht, aber aufregend zu lesen.


Dimitré Dinev: Barmherzigkeit
Residenz Verlag.

Barmherzigkeit: ein altes Wort ohne Nachhall in der Moderne? Als barmherzig gilt heute, was anonyme Staatsinstanzen an Elend vermeidender Intervention hervorbringen, aber selten die Handlung des Einzelnen. "Das Glück, (...) dass ich überlebt habe, verdanke ich jenen unendlichen, ungeahnten Ressourcen an Güte und Barmherzigkeit, die jenseits des Rechts und sogar, ohne dieses Recht zu brechen, jeder Person zur Verfügung stehen”, schreibt hingegen der österreichische Autor Dimitré Dinev und konstatiert: "Die Barmherzigkeit ist (...) dein Bezug zu anderen Menschen." Einst aus Bulgarien geflüchtet, erfuhr Dinev bittere Armut - und die Erlösung daraus durch barmherzige Menschen.

Dass es dieser Tugend noch immer bedarf, liegt auf der Hand, denn "würde ihre Notwendigkeit verschwinden, dann wäre die perfekte Gesellschaft errichtet." Ein großartiger Essay mit erschütternden Beispielen, die dennoch nicht entmutigen: Im Menschen wohnt noch immer eine große Kraft, die Barmherzigkeit.
Cover: "Asfa-Wossen Asserate: Afrika - Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten"
Cover: "Asfa-Wossen Asserate: Afrika - Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten"© Verlag C. H. Beck
Cover: "Michel Foucault: Die Regierung des Selbst und der anderen"
Cover: "Michel Foucault: Die Regierung des Selbst und der anderen"© Suhrkamp Verlag