Kurz und kritisch

Indien unter die Lupe genommen

Tausende Kinder hauen in Steinbrüchen in Indien Pflastersteine für den europäischen Markt.
Tausende Kinder hauen in Steinbrüchen in Indien Pflastersteine für den europäischen Markt. © dpa picture alliance/ Doreen Fiedler
Von Antje Stiebitz · 28.06.2014
Diesmal dreht sich in unseren Kurzkritiken alles um Indien: Drei Bücher, die mit dem Wirtschaftsboom-Land hart ins Gericht gehen. Die Autoren kritisieren Korruption, Völkermord und mangelnde Demokratie – mal humorig, mal etwas zu selbstgerecht.
Vom Kuhdung zum Milchkollektiv, über das größte AKW der Welt bis zu den Plänen gigantischer Sonderwirtschaftszonen: Überall sucht Dominik Müller nach Antworten auf die Frage, wie in Indien das globale Kapital und die Elite gemeinsam ihre Profitinteressen durchsetzen – und dabei das Knurren von 800 Millionen hungrigen Mägen ignorieren.
D. Müller: "Indien. Die größte Demokratie der Welt?"
D. Müller: "Indien. Die größte Demokratie der Welt?"© Verlag Assoziation A
Das längste Kapitel widmet er dem wachsenden Hindu-Nationalismus. Hier bildet Indiens Mittelschicht kaderartig das Rückgrat einer nationalistischen Bewegung, die sogar Hitlers "Mein Kampf" zum Besteller machte. Allen voran ausgerechnet Narendra Modi, der neu gewählte Premierminister, der Hoffnungsträger inländischer und ausländischer Investoren. Ein schlichtweg beunruhigendes Buch.

Dominik Müller: Indien. Die größte Demokratie der Welt?
Verlag Assoziation A, Berlin
Knapp 200 Seiten, 16 Euro

Ist Indien eine säkulare Demokratie? War es je eine? Perry Andersen, in den 60er- und 70er-Jahren eine Schlüsselfigur der britischen Neuen Linken, beginnt mit den Anfängen der Kongress-Partei vor mehr als einem Jahrhundert, er führt durch den indischen Unabhängigkeitskampf über die Gründung und gleichzeitige Teilung Indiens bis zur heutigen Republik.
P. Anderson: "Die indische Ideologie"
P. Anderson: "Die indische Ideologie"© Verlag Berenberg
Dann holt Perry Anderson die beiden Säulenheiligen Indiens vom Sockel: Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru. Gandhi habe von Beginn an den politischen Säkularismus aufgeweicht. Und Nehrus Kaschmirpolitik beweise, dass Indien den Titel "Demokratie" nicht verdiene. Doch stets argumentiert Anderson belesen, feinsinnig und mit Humor.

Perry Anderson: Die indische Ideologie
Verlag Berenberg, Berlin
Knapp 200 Seiten, 22 Euro

Indien hat weder internationales Ansehen noch Vertrauen verdient. Denn die indische Wirklichkeit ist von einer arroganten Elite geprägt, die Millionen Todesopfer billigt. Und der Westen blickt lieber auf riesige Absatzmärkte als auf die Misere. Gleich in ihrer Einleitung holen Georg Blume und Christoph Hein zur Anklage aus. Die beiden deutschen Asienkorrespondenten werfen Indien einen Völkermord an Mädchen und Frauen vor. 18 Millionen Frauen seien alleine in den vergangenen zehn Jahren zu Tode gekommen – durch das Kastensystem, Korruption und lebenslange Diskriminierung. Mädchen werden abtrieben, verhungern im Kindesalter. Frauen siechen mangelernährt und ohne ärztliche Behandlung dahin, oder fallen gar Mitgiftmorden zum Opfer. Im Untertitel kündigen die Autoren eine "Streitschrift gegen ein unmenschliches System" an. Doch mit ihrem selbstgerechten Ton dürften sie die dringend nötige Diskussion um Missstände nur noch erschweren.
G. Blume/Ch. Hein: "Indiens verdrängte Wahrheit"
G. Blume/Ch. Hein: "Indiens verdrängte Wahrheit"© Edition Körber-Stiftung

Georg Blume und Christoph Hein: Indiens verdrängte Wahrheit: Streitschrift gegen ein unmenschliches System
Edition Körber-Stiftung, Hamburg
Knapp 200 Seiten, 17 Euro