Kurz und kritisch

Der gesunde Umgang mit der Krankheit

Ein Rollstuhl steht zusammengeklappt in einem Hausflur.
Im hohen Alter kommen sich Eltern und Kinder mitunter näher als sie je waren. © picture alliance / dpa / Oliver Killig
Von Christian Rabhansl · 25.07.2015
Wird bei einem Angehörigen Krebs oder Demenz diagnostiziert, verändert das auch den eigenen Alltag erheblich. Drei neue Bücher schildern persönliche Erfahrungen. Sie erzählen Leidensgeschichten und Glückserfahrungen, weil sich zum Beispiel Vater und Kind nach der Diagnose näher kommen.
Moni isst die Schokolade. Sie greift nach dem Becher, beinahe ungeduldig. Ich halte die Luft an. Sie trinkt. Schluck. Für. Schluck.Und ich kann nichts tun. "Schmeckt gar nicht so bitter", sagt sie, als sie den leeren Plastikbecher abstellt.
Volker Prause, Sabine Eichhorst: Der Himmel so weit (Buchcover)
Der Himmel so weit (Buchcover)© Verlag Ludwig
Ich sitze am Fußende der Liege im Gras, eine Hand auf ihrem Bein. Vögel singen, der Bach plätschert. Gleich wird sie nicht mehr sein. Nie mehr.
Monika Prause hat Metastasen in der Wirbelsäule, im Rückenmark. Nach 23 Jahren ist der Krebs zurück, und Monika Prause bleiben nur wenige Woche zu leben. Wenige Wochen, in denen sie über das eigene Sterben bestimmt, gemeinsam mit ihrer Familie. Ihr Mann und beide Söhne haben ein Buch über diese Zeit geschrieben, über das Elend, die verbleibende Freude, die Verzweiflung und Ohnmacht. Auch gegenüber einer Gesellschaft, die vom assistierten Suizid möglichst nichts wissen will. Sie wollen eine neue Debatte über Sterbehilfe anstoßen. Und wer dieses Buch liest, wird die eigene Meinung mit Sicherheit überdenken.

Volker Prause, Sabine Eichhorst: Der Himmel so weit
Vom selbstbestimmten Sterben der Monika Prause. Ihre Familie erzählt
Verlag Ludwig
240 Seiten, Hardcover: 19,99 Euro, Ebook: 15,99 Euro

Sie zählt Geschirrtücher und behauptet, vergangene Woche wären es noch 34 gewesen, jetzt seien es nur noch 32. Sie verlegt ihre Handtasche und ruft verzweifelt in Frankfurt an, sie sei gestohlen. Sie klagt, dass das Hörgerät nicht mehr funktioniert. Der Akustiker, der hinzugezogen wird, spricht ihr nach einem kurzen Blick auf das Gerät seine Gratulation aus: "Sie bekommen das Ehrendiplom der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien! Sie haben eine zweite Batterie in das Fach gedrückt, wo eigentlich nur eine reinpasst."
Ute Dahmen, Annette Röser (Hrsg.): Mein Vater und die Gummi-Ente... (Buchcover)
Ute Dahmen, Annette Röser (Hrsg.): Mein Vater und die Gummi-Ente... (Buchcover)© SingLiesel Verlag
Es sind solche Alltagsgeschichten, die Ute Dahmen und Annette Röser gesammelt haben. In ihrem Buch: "Mein Vater und die Gummi-Ente..." lassen sie Ehepartner und Kinder von Demenz-Kranken erzählen und gehen damit den quälenden Fragen nach, die sich wohl jeder stellt, dessen Angehörige wunderlich werden: Was ist Demenz? Wo fängt sie an? Ab wann kann man von Demenz sprechen? Wie dement muss jemand sein, damit er "krank" ist? Das sind wichtige Fragen, doch eine Reduzierung auf Anekdoten gibt keine Antworten. Gelegentlich hinterlässt dieser Band sogar schalen Eindruck, man müsse solche Sorgen nicht allzu ernst nehmen. So bleibt als womöglich ungewollte Erkenntnis, dass der Schrecken des Unbekannten sich eben nicht im Banalen verliert.

Ute Dahmen, Annette Röser (Hrsg.): Mein Vater und die Gummi-Ente... Demenz
Gespräche und Erzählungen von und mit Angehörigen
SingLiesel Verlag
184 Seiten, 19,99 Euro

"Gute Nachrichten, Frau Tietjen!" Die Heimleiterin ist am Telefon. "Im Wohnbereich 2 ist eine Bewohnerin überraschend verstorben. Das klingt natürlich jetzt ein bisschen makaber, aber für Sie heißt das, Ihr Vater könnte schon jetzt in ein Einzelzimmer umziehen. Das würde allerdings bedeuten, dass Sie sich von der Kurzzeitpflege verabschieden und eine endgültige Entscheidung treffen müssten, ob Ihr Vater hier dauerhaft einzieht."
Bettina Tietjen: "Unter Tränen gelacht" (Buchcover)
Bettina Tietjen: "Unter Tränen gelacht" (Buchcover)© Piper Verlag
Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Die Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen bekommt am späten Abend einen Anruf aus Wuppertal, die Polizei ist dran, es habe einen Zwischenfall mit ihrem Vater gegeben. Über Nacht wird Bettina Tietjen klar: sie muss und will ihren Demenz-kranken Vater zu sich nach Hamburg holen, alleine kann er nicht mehr leben.
Also packt sie ihn kurzerhand ins Auto und schreibt heute: Dieser Umzug habe ihr Leben nicht nur verändert, sondern bereichert. Tochter und Vater rückten enger zueinander. In ihrem Buch "Unter Tränen gelacht" teilt sie diese Erfahrungen: bitterkomische Momente, die deutlich zeigen: Das Leben mit dem Phänomen Alzheimer ist hart – doch die richtige Haltung macht es einfacher. Zwei Jahre und sieben Monate dauerte diese neue Lebensphase, die Bettina Tietjen ohne jede Larmoyanz aufgeschrieben hat. Entstanden ist ein Buch, das fesselt und Mut macht.

Bettina Tietjen: Unter Tränen gelacht
Mein Vater, die Demenz und ich
Piper Verlag
304 Seiten, Hardcover: 19,99 Euro, Ebook: 16,99 Euro