Kurz und kritisch

Heute geht es um das Leben des Dichters Thomas Brasch ("Vor den Vätern sterben die Söhne"), um das Leben des Fälschers Adolfo Kaminsky und um eine neue Gottfried-Benn-Biografie.
Die Kinder der Preußischen Wüste
Der Roman von Klaus Pohl über Thomas Brasch erschien im Arche-Verlag.

Dies ist ein Roman, der minuziös das Leben des Dichters Thomas Brasch verfolgt, geschildert aus der Perspektive eines Freundes. Braschs jüdischer Vater floh vor den Nazis in die englische Emigration, stieg dann in der DDR bis zum stellvertretenden Kulturminister auf und starb 1989. Der Sohn Thomas verteilte 1968 Flugblätter gegen den sowjetischen Einmarsch in Prag und verbrachte lange Monate im Stasi-Gefängnis. 1977 erschien in West-Berlin sein Erzählungsband "Vor den Vätern sterben die Söhne", der ihn schlagartig berühmt machte. Nach der Ausreise aus der DDR führte er mit seiner Frau, der Schauspielerin Katharina Thalbach, das Leben der Bohème und starb drogenabhängig 2001.

Man merkt Klaus Pohls Roman die Nähe zur Hauptfigur an. Es ist eine unmittelbare Draufsicht, ein emotionsgeladenes Erzählen, das von melodramatischen Zuspitzungen lebt. Die Übergänge zu Klischees scheinen in diesem Schreibprozess keine Rolle zu spielen, der Stoff ist das pure Leben: da muss etwas heraus. Da wirkt der Stoff oft unverarbeitet und zu tagebuchartig. An vielen Stellen sehnt man sich nach einem Lektor. Wenn dieses Manuskript noch einmal gründlich durchgearbeitet worden wäre, hätte es ein wirklich gutes Buch werden können.

Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben
Das Buch von Sarah Kaminsky über das Leben ihres Vaters erschien im Antje Kunstmann Verlag.

"Ein Fälscherleben" erzählt von Mut, Können, Überlebenswillen und politischem Widerstand in Zeiten der Resistance und darüber hinaus. Denn Kaminsky führt seine politische Untergrundtätigkeit in die 70er-Jahre hinein fort. Gerade weil er als Jude im besetzten Frankreich Solidarität von anderen erfahren hat, will er sie nun zurückgeben. So erfährt der Leser etwas von den jüdischen Internierungslagern in Deutschland 1946, deren Insassen Kaminsky mit gefälschten Pässen hilft, nach Palästina zu fliehen. Später arbeitet er für die algerische Befreiungsorganisation, danach für die kubanische, und dann für nahezu alle anderen lateinamerikanischen Befreiungsorganisationen. Er hilft den Griechen und Portugiesen gegen ihre Militärdiktaturen, kämpft gegen die südafrikanische Apartheid und hilft sogar den Tschechen, die vor dem Einmarsch der russischen Truppen 1968 fliehen. Sein abenteuerliches, aber auch entbehrungsreiches Leben eines westeuropäischen Revolutionärs hat nun seine Tochter zu Papier gebracht. Gut und unterhaltsam geschrieben, erhellt es ein Stück europäischer Zeitgeschichte, die in deutschen Schulen so nicht vermittelt wird.

Gottfried Benn. Der Mann ohne Gedächtnis
Die Benn-Biografie von Holger Hof ist im Verlag Klett-Cotta erschienen.

In den vergangenen Jahren häufen sich die Biografien über Gottfried Benn. Seine Haltung einer dezidierten Anti-Politik scheint heute wieder sehr aktuell zu sein. Holger Hof geht in seiner neuen, großen Benn-Biografie auf solche Fragen allerdings nicht ein. Er hält sich streng an ein positivistisches Ideal. Hof hangelt sich an sämtlichen verfügbaren Dokumenten entlang und zitiert ausgiebig alles, was über den konkreten Tagesablauf Benns und seine Familien- und Beziehungsverhältnisse ausfindig gemacht werden kann. Diese Biografie hinterlässt aber genau dort ein unbefriedigendes Gefühl, wo sich die Benn-Exegeten bisher am intentivsten ausgetobt haben: bei Analysen und Deutungversuchen. Der völkische Schwenk Benns in der späten Weimarer Republik zum Beispiel, obwohl er sich lange ausschließlich in linksintellektuellen Kreisen bewegt und dort veröffentlicht hatte - jedes Mal wird durchaus vieles benannt, es werden unzählige Zitate herangezogen, aber letztlich bleibt alles doch zu sehr an der Oberfläche. Im Ganzen wirkt diese solide, stilistisch manchmal holprige Biografie eher wie eine bloße Aneinanderreihung von interessanten Belegstellen.
Adolfo Kaminsky. Im Hintergrund seine Tochter Sarah
Adolfo Kaminsky. Im Hintergrund seine Tochter Sarah© Verlag Antje Kunstmann / © Benjamin Boccas
Gottfried Benn im Sprechzimmer 1928
Der Arzt und Dichter Gottfried Benn im Sprechzimmer 1928© Deutsches Literaturarchiv Marbach