Kurt Beck über Anschlag am Breitscheidplatz

"Ich verstehe die Enttäuschung der Hinterbliebenen"

Kerzen und Kränze am Eingang der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz in Berlin erinnern an den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016.
Kerzen am Eingang der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz in Berlin. © Deutschlandradio / Sandra Stalinski
Kurt Beck im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.12.2017
Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vor einem Jahr schockte Deutschland. Die Behörden schienen schlecht vorbereitet auf ein solches Attentat – auch was die Betreuung der Opfer angeht. Der Opferbeauftragte Kurt Beck legt nun seinen Bericht vor.
Am 19. Dezember 2016* tötete Anis Amri einen Lastwagenfahrer und steuerte dann dessen LKW auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche in eine Menschenmenge. Elf weitere Menschen starben, rund 70 wurden verletzt. Die Anzahl der Opfer ist tatsächlich aber weitaus größer – Angehörige müssen mit dem Verlust eines geliebten Menschen klarkommen. Und wer das Blutbad selbst miterlebt hat, ist vermutlich traumatisiert.
Erst knapp drei Monate später setzte die Bundesregierung einen offiziellen Beauftragten für die Opfer des Terroranschlags ein, den langjährigen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz Kurt Beck. Dieser legt nun am heutigen Mittwoch seinen Abschlussbericht vor.
Sie sehen den Sattelschlepper, mit dem der Anschlag verübt wurde, Arbeiter befestigen ihn am 20.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin an einem Abschleppwagen.
Der Sattelschlepper, mit dem der Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin verübt wurde.© picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck, spricht in ein Mikrofon.
Das Fazit des ehemaligen SPD-Chefs Kurt Beck: "Wir waren nicht ausreichend vorbereitet."© Klaus-Dietmar Gabbert, dpa picture-alliance
Während des Kümmerns um die Opfer hat der SPD-Politiker Dinge erlebt, die nur schwer vorstellbar sind. So seien beispielsweise Rechnungen mit Inkasso-Hinweisen für Obduktionen an Angehörige verschickt worden, berichtete Kurt Beck im Deutschlandfunk Kultur. Das sei "völlig daneben" und so gefühllos gewesen, "dass man es gar nicht glauben mag", sagte Beck. Sein Fazit: "Wir waren nicht ausreichend vorbereitet."

Mehr Zuwendung ist "sehr notwendig"

Das stimmt wohl auch für die Bundesregierung. Angehörige klagten in einem offenen Brief über zu wenig Unterstützung und Beachtung, Bundeskanzlerin Merkel will sich nun mit ihnen treffen. Beck findet klare Worte: "Ich habe die Politik mehrfach darauf hingewiesen, wie die Sensibilitäten der Hinterbliebenen sind", sagte er. Die Begegnung mit Merkel sei "sehr notwendig":
"Ich verstehe die Enttäuschung der Hinterbliebenen. Denn wenn man sieht, wie der französische Präsident beispielsweise mit solchen Situationen umgegangen ist, (des) öffentlichen Gedenkens, einer persönlichen Zuwendung zu den Hinterbliebenen und Betroffenen, dann kann man diese Diskrepanz sehen und da hat es eben das Gefühl der Nichtbeachtung, der Zurücksetzung, gegeben."
Knapp ein Jahr nach dem Terroranschlag besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) den Breitscheidplatz in Berlin und unterhält sich mit dem Betreiber eines Bratwurst-Standes.
Knapp ein Jahr nach dem Terroranschlag besucht Bundeskanzlerin Merkel den Breitscheidplatz in Berlin: Ein Gespräch mit den Angehörigen der Opfer ist erst für die nächsten Tage terminiert© dpa / Michael Kappeler
In seinem Abschlussbericht wird Beck nun jede Menge Verbesserungsvorschläge machen. So müsse unter anderem das Opferentschädigungsgesetz reformiert werden, betonte er - damit ausländische Opfer nicht schlechter entschädigt werden als deutsche. Auch die Ersthilfe für die Hinterbliebenen hält der Sozialdemokrat für deutlich zu niedrig.
Becks Botschaft scheint angekommen zu sein. Justizminister Heiko Maas hat sich bereits für eine zügige Umsetzung der Vorschläge ausgesprochen. "Die Bundesregierung darf die Verletzten und Hinterbliebenen eines Anschlags nicht alleine lassen", sagte er der Funke-Mediengruppe. (ahe)


*In einer früheren Version wurde eine falsche Jahreszahl genannt.
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