Kurt Beck: Große Koalition ist handlungsfähig

Moderation: Wolfgang Labuhn und Matthias Thiel |
Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hält ein Machtwort in seiner Partei wegen des Unmuts über die Gesundheitsreform nicht für nötig. Eine gewisse Nervosität bei großen Reformschritten sei normal. "Das wird abklingen. Wir werden wieder vernünftig zusammenarbeiten", sagte der Ministerpräsident von Rheinland Pfalz. Beck verteidigte die inhaltliche Ausgestaltung der Gesundheitsreform.
Deutschlandradio Kultur: Der großen Koalition droht ein mächtiges Sommertheater. Die Stimmung ist denkbar schlecht, die Atmosphäre vergiftet. Deftige Worte wurden in dieser Woche ausgetauscht. Der Streit um die Gesundheitsreform hatte ja fast eine Koalitionskrise ausgelöst. Kurt Beck, müssen Sie da als SPD-Chef jetzt ein Machtwort sprechen?

Kurt Beck: Nein, das muss ich sicher nicht. Ich sehe das auch nicht so dramatisch, wie es jetzt aus Ihren Worten geklungen ist. Nein, ich glaube, dass es bei so großen Reformschritten schon normal ist, dass jeder von uns eine gewisse Nervosität spürt. Das liegt einfach in der Komplexität des Themas. Dann hat es eine Überraschung gegeben, eine für uns, die sozialdemokratische Seite unangenehme, nämlich dass die Union doch vor dem letzten Verhandlungstermin eine deutliche Kehrtwende gemacht hat hinsichtlich der Frage der Steuermitfinanzierung des Gesundheitssystems. Das hat Reaktionen ausgelöst, aber ich glaube, das wird abklingen und wir werden vernünftig weiter zusammenarbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Es hat allerdings einige sehr harte Worte gegeben, Herr Beck. Peter Struck, der SPD-Fraktionsvorsitzende, hat der Kanzlerin "Wortbruch" vorgeworfen. Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion, sagte sogar "der Fisch stinke vom Kopf her", gemeint war die Kanzlerin, wiederum im gleichen Zusammenhang. Ist das der richtige Stil im Umgang miteinander?

Beck: Wir sollten sicher, was die Tonlage angeht, auf beiden Seiten abrüsten. Das ist wahr und ich werde mich auch darum bemühen, dass das so ist. Ich hab im Übrigen das Interview von Peter Struck noch einmal nachgelesen in Originalton. Da klingt es nicht so hart, wie es dann beim Auskoppeln schien.

Deutschlandradio Kultur: Und Herr Kahrs?

Beck: Das ist, glaube ich, im Ton deutlich zu viel.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen es schon an, Sie wurden überrascht bei diesem etwas unglücklichen Gesundheitskompromiss. Ist die Kanzlerin da eingeknickt?

Beck: Es hat in jedem Fall einen Kurswechsel gegeben, den ich noch Mitte letzter Woche für nicht denkbar gehalten hätte nach allen Gesprächen, die wir geführt haben. Man muss ja sehen, da sind schon X Stunden Verhandlungen hinter uns gewesen und da durfte man schon von einer sehr deutlichen Annäherung in dieser Finanzierungsfrage ausgehen. Das war dann nicht mehr der Fall. Das habe ich schon sehr bedauert.

Deutschlandradio Kultur: Hätte man da vielleicht noch einmal neu anfangen müssen?

Beck: Da kann man nicht mehr neu anfangen, weil ja nun mal in beiden Parteien eine Mehrheit letztendlich zustande kommen muss. Und man weiß dann schon voneinander, wann es eher taktische Positionen zu verhandeln gilt und wann es wirklich so ist, dass jemand den Spielraum nicht mehr hat. Ich bedaure, dass es diesen Spielraum nicht mehr gab.

Deutschlandradio Kultur: Für wie stark halten Sie die Kanzlerin, Herr Beck, eigentlich in ihrem eigenen Unionslager?

Beck: Es ist aus meiner Sicht so, dass die Kanzlerin und dass die Regierung handlungsfähig ist. Das hat sie jetzt mit der Föderalismusreform bewiesen. Das hat sie damit bewiesen, dass viele große Reformwerke auf den Weg gebracht worden sind. Gerade die Gesundheitsreform, die mir in ihrem Finanzierungsteil nicht weit genug geht. Aber mehr war nicht zu machen, nur insgesamt ist diese Gesundheitsreform sehr, sehr viel besser als das, was öffentlich derzeit kommuniziert wird.

Deutschlandradio Kultur: Wir kommen gleich noch einmal darauf zurück, Herr Beck. Aber vorweg die Frage, verbunden mit einem Blick auf den kommenden Herbst: Da könnte es ja durchaus eine Neuauflage der jetzigen Konflikte geben, wenn wir über die Unternehmenssteuerreform zu sprechen haben, über die Details der Gesundheitsreform, über die Kombilohnmodelle, die dann kommen sollen, oder auch, wenn es um die Frage gehen wird, wer hat bei den ARGEN das Sagen, also den Arbeitsgemeinschaften zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen. Der Bund zahlt, die Kommunen wollen aber auf eigene Faust handeln. Was sehen Sie eigentlich für den Herbst voraus?

Beck: Eine Anstrengung ganz ohne Zweifel, aber auch die Chance und die absolute Erwartung, die damit verbunden ist, dass diese Probleme gelöst werden.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem, in der Koalition knirscht es. Von Beginn an war Schwarz-Rot durchaus ja nicht so ganz rund in seinem Lauf. Schnell machte sich ja der Eindruck breit, dass professionelle Zusammenarbeit anders aussieht. Manchmal hatte man so den Eindruck, dass man sich in der großen Koalition gerne auf Kosten des anderen profiliert. Wie lange ist das durchzuhalten? Wie groß sind da auch die Schnittmengen? Reicht das für eine ganze Legislaturperiode?

Beck: Wir haben eine sehr gute und klare Koalitionsvereinbarung. Die wird das Ganze auch begleiten und letztendlich die inhaltliche Klammer sein. Das, was zwischen den handelnden Personen an der Spitze der großen Koalition notwendig ist, nämlich sachlich zusammenarbeiten zu wollen, die Koalition zum Erfolg führen zu wollen und dafür auch die notwendige Vertrauensbasis zu erhalten, diesen Willen sehe ich absolut erhalten. Deshalb kann ich die Gesänge über das frühe Ende der Koalition nicht nachvollziehen.

Deutschlandradio Kultur: Gilt eigentlich noch das Wort Ihres Generalsekretärs Hubertus Heil, der da sagte, die SPD schufte im Maschinenraum der großen Koalition, während sich die Union auf dem Oberdeck sonne?

Beck: Bei so heißem Wetter, wie wir es jetzt haben, ist es ja auch auf dem Oberdeck nicht so angenehm. Also, ich glaube, dass zwischenzeitlich klar geworden ist, dass man sich um die harten innenpolitischen Entscheidungen gemeinsam bemühen muss und dass man gemeinsam die schwierigen Entscheidungen auch tragen muss. Diese Zeit, in der außenpolitische Auftritte auf der einen Seite und die schwierigen Entscheidungen zur Rente und so weiter dann vom Vize-Kanzler zu tragen waren, ist vorbei. Das sieht man ja in der aktuellen Diskussion. Insoweit, das ist von gestern.

Deutschlandradio Kultur: Nun sind Sie alle im Maschinenraum?

Beck: Wie es sich gehört. Eine gute Mannschaft muss sowohl beim Steuern in der Kapitänsetage wie auch beim Maschinenbedienen jeweils bereit sein, ihren Teil zu leisten.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zur beschlossenen Gesundheitsreform beziehungsweise zu den Eckpunkten. Proteste gab es ja von allen Seiten. Sie waren zum Teil verheerend. Mussten Sie die nicht erwarten?

Beck: Erstens sehe ich es nicht so, dass sie von allen Seiten kamen. Ich habe mit den Ärzten beispielsweise gesprochen, die das ganz anders sehen. Sie werden keinen der großen Sozialverbände gefunden haben, die bei den Protestierenden sind. Das ist ja alles keine Selbstverständlichkeit. Es werden die Protestierenden immer wahrgenommen, das ist normal, aber ich habe das schon differenzierter betrachtet. Darüber hinaus ist es vielleicht ein gutes Zeichen, dass die Interessenverbände sich alle berührt sehen, außer den Patienten und außer denen, die letztendlich den Kern des Gesundheitssystems darstellen, das sind die Krankenhäuser und die niedergelassenen Ärzte. Die können sehr gut mit dieser Reform leben. Also, insoweit sehe ich das mit großer Differenziertheit.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt aber auch Kritik von ernstzunehmenden Fachleuten wie Ihrem eigenen SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, der da meint, mit dieser Reform des Gesundheitswesens sei es nicht gelungen, die angestrebte Finanzreform im deutschen Gesundheitswesen zu verwirklichen. Was sagen Sie dazu?

Beck: Karl Lauterbach hat sicher in der Zuspitzung, wie er manchmal zu formulieren weiß, im Kern recht. Wir haben ja eine andere Idee gehabt und haben sie noch. Ich habe versucht, durch einen angemessenen Anteil in ein, zwei Schritten eine Umstellung auf eine stärkere Steuerfinanzierung sehr viel schneller und intensiver hinzubekommen, als dies in der Koalition möglich war. Dann hätten wir Beiträge senken können. Dann hätten wir Arbeitnehmer und arbeitsintensive Betriebe entlastet, zulasten aller, auch derjenigen, die derzeit vom System partizipieren, aber nicht unmittelbar bezahlen. Denn ein gutes Gesundheitssystem insgesamt ist auch etwas, was der Gesellschaft dient. Also, insoweit verstehe ich diese Kritik, aber man muss immer sehen, dass man eben das Mögliche dann umsetzt. Was jetzt auf dem Papier steht, ist das Mögliche.

Deutschlandradio Kultur: Der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung steigt jetzt erst einmal. Erst ab 2008 sollen die Krankenkassen, das sehen die Eckpunkte vor, über stufenweise steigende Steuermittel mit finanziert werden. Nun sagt Finanzminister Peer Steinbrück von der SPD, er wisse nicht, woher er das Geld für die Reform nehmen soll. Haben Sie da eigentlich die Rechnung ohne den Kassenwart gemacht, ihren eigenen sozusagen?

Beck: Der Kassenwart war ja bei den Gesprächen dabei, aber er hat zu Recht gesagt, ich kann mir ja nicht einfach 1,5 Milliarden aus dem Fleisch schneiden. Also muss es eine gemeinsame Sparanstrengung geben, wenn man nicht schon früher steuerfinanziert, was die Union nicht akzeptiert hat. Insoweit wird es eine Anstrengung geben müssen. Allerdings haben wir in der Vereinbarung dies sehend festgehalten, dass es nicht zulasten des Gesundheitssystems oder anderer Sozialsysteme geht, weil das wäre nicht akzeptabel. Sonst würden die Rentner oder der Arbeitsmarkt und die Bemühungen um Arbeitsplätze die Zeche bezahlen. Das haben wir ausdrücklich ausgeschlossen. So weit wird das eine Sparanstrengung der Regierung noch sein müssen, wobei 1,5 Milliarden sich bei der Größe des Gesamthausetats darstellen lassen, aber nicht ohne Anstrengung.

Deutschlandradio Kultur: Der Gesundheitsfond soll im Jahre 2008 eingeführt werden. Vorher muss aber der Risikostrukturausgleich stehen. Die Krankenkassen müssen sich auch entschulden. Ist dieses Datum 2008 wirklich zu halten?

Beck: Ich glaube schon, denn das sind ja anderthalb Jahre, die man zur Verfügung hat, um zu arbeiten. Es ist auch so, dass die Krankenkassen schon Überlegungen haben. Mir liegen schon konkrete Vorschläge vor, wie man möglichst mit wenig bürokratischem Aufwand die Dinge dann gestalten kann. Also, ich glaube, das ist zu schaffen. Noch einmal zu der Beitragsanhebung: Die hat mit dem neuen System ja nichts zu tun. Das Problem ist, dass wir eine Altlast hatten, eine Unterfinanzierung, nicht aller Kassen, aber etwa die Hälfte der Krankenkassen ist unterfinanziert.

Da in das neue System mit einer gleichen Ausgangslage gegangen werden muss, weil zukünftig ja jede Kasse zunächst mal pro Versichertem einen gleichen Betrag plus den Risiken, die aufgrund der Morbidität, aufgrund der Geschlechterzusammensetzung und so weiter hineinfließen, also, wenn von vornherein da eine Schieflage in den Finanzen ist, wird man das nie mehr ausgleichen können. Insoweit ist das noch der bisherigen unzureichenden Finanzierungsmethode geschuldet gewesen. Aber auch dort hätte ich mir gewünscht, wenn wir früher in die Steuerfinanzierung eingestiegen wären, dass wir auch darauf hätten verzichten können.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, der Patient ist der Gewinner. Trotzdem muss er mehr Beiträge bezahlen. Wo hat er gewonnen?

Beck: Er hat gewonnen bei der Versorgung. Wir haben erreichen können, dass - entgegen den Wünschen, die auf dem Tisch waren, auch seitens der Union, Leistungen in einer Größenordung von sieben Milliarden Euro rauszunehmen, die gesamten Unfälle, auch die häuslichen Unfälle herauszunehmen, das alles war auf dem Tisch, dann hätte sich jeder selber versichern müssen. Was das beispielsweise für ältere Menschen an Versicherungssummen bedeutet hätte, muss man gar nicht ausmalen. Aus dem Grunde hat der Patient gewonnen.

Dann sind eine Reihe von Verbesserungen da. Wir werden in die Prävention stärker investieren. Es wird im Bereich von Mutter-Väter-Kind-Kuren Neues geschehen. Und es wird eine Reihe von ganz wichtigen Feldern angegangen, beispielsweise die Finanzierung der Palliativmedizin, also der letzten Lebensphase von Menschen, dass wie würdig geschieht und dass das auch entsprechend abgesichert ist. Es gibt also eine Reihe von positiven Dingen. Dazu gehört auch eine integrierte Versorgung, das Zusammenwirken von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern, das bisher nicht ausreichend funktioniert hat. Also, für die Patienten ist das, glaube ich, wirklich eine gute Lösung.

Deutschlandradio Kultur: Herr Beck, lassen Sie uns jetzt zu Beginn der Sommerpause einmal auf den bisherigen Start der großen Koalition in Berlin zurückblicken. Dazu vielleicht ein Zitat des Bundespräsidenten: Horst Köhler sagte: "Wir können viel erreichen, wenn wir Mut haben Neues zu wagen. Daran sollten wir uns auch nach der Weltmeisterschaft erinnern." Herr Beck, hat die große Koalition, hat dieses schwarz-rote Bündnis in den vergangenen acht Monaten wirklich Mut bewiesen, Neues gewagt?

Beck: Wissen Sie, die Forderung Neues zu wagen, ist ja sicher in der Allgemeinheit richtig. Aber unter dem, was neu ist, verstehen nun mal verschiedene politische Kräfte sehr Unterschiedliches. Und wenn ich das Gesundheitswesen noch einmal heranziehen darf: Wenn ich als neu bezeichne, dass die Patienten und die Versicherten für sieben Milliarden Leistungen eine Zusatzversicherung abschließen müssen, dann ist das neu, aber für mich nicht verantwortbar. Und wenn ich auf der anderen Seite, so wie ich mir es gewünscht hätte, zu einer starken Steuerfinanzierung komme und damit eine echte dritte Säule der Finanzierung des Systems neben Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen aufbaue, dann ist das neu.

Wenn allerdings ein politischer Partner sagt, für uns kann das jetzt nicht infrage kommen, dann scheitert das Neue leider im Moment. Also, insoweit ist natürlich immer auch zu fragen, was geht gemeinsam in der Republik? Insgesamt hätte ich mir an vielen Stellen, nicht nur bei der Gesundheit, gewünscht, dass wir in der Tat ein Stück weiter gegangen wären. Aber die Koalitionsvereinbarung sieht durchaus Schritte vor, die die großen Sozialsysteme absichern werden, die den Haushalt konsolidieren werden und damit Zukunftsfähigkeit schaffen und die familienpolitischen Leistungen stärken, das haben wir ja mit dem Erziehungsgeld durchaus hingekriegt, und die über das 25-Milliarden-Programm Impulse in die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik geben. Das ist schon zusammengenommen, wenn man es als Ganzes sieht, ein Paket, das überzeugt.

Deutschlandradio Kultur: Aber wo wären Sie denn gerne in der Regierungsarbeit weiter gegangen?

Beck: Ich habe ein Beispiel bei der Gesundheitsreform angesprochen. Man hätte sicher aus meiner Sicht auch bei den anderen Sozialsystemen das eine oder andere grundsätzlicher angehen können, beispielsweise beim Aufbringen von Beiträgen generell. Es sind immer noch Leistungen in den Systemen, die eigentlich steuerlich hätten finanziert werden müssen, weil sie nicht Versicherungselement sind. Aber es hat keinen Sinn, über Dinge jetzt zu klagen, die eben nicht vereinbart sind. Das, was vereinbart ist, wird gemacht.

Deutschlandradio Kultur: "So ungeniert hat bisher noch keine Regierung den Bürgern in die Tasche gegriffen." Das schreibt die Baseler Zeitung. Schmerzt Sie diese Beurteilung, auch in Ihrer Funktion als SPD-Vorsitzender? Wie lange spielen Sie das Spiel noch mit?

Beck: Ja, wenn es so wäre, würde es mich sehr schmerzen, aber es stimmt ja so nicht. Es sind in der letzten Legislaturperiode Steuererleichterungen in einer Größenordnung von 60 Milliarden Euro gemacht worden. Und es werden jetzt drei Punkte Mehrwertsteuer erhöht, das ist wohl wahr. Davon geht einer in die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge, wird also zurückgegeben. Und die anderen beiden Punkte gehen eben in wirkliche Zukunftsaufgaben. Wir werden als Länder, zumindest werde ich das in Rheinland-Pfalz so tun, in die Hochschulen, wir werden in Beitragsfreiheit in den Kindertagesstätten, in Ganztagsschulen investieren.

Und ich glaube, das nutzt den Bürgern mindestens so sehr, als wenn man diese Angebote nicht machen würde, wenn man junge Familien allein lassen würde mit der Aufgabe Familienarbeit und Erwerbsarbeit zu vereinbaren, wenn man jungen Frauen weiterhin verwehrt, dass sie ihre berufliche Karriere auch machen können und trotzdem sich zum Kind entscheiden können, ohne dreifach belastet zu sein. Also, das - glaube ich - sind vernünftige Wege. Und dafür muss eben ein Gemeinwesen auch sorgen. Das geht eben auch nur, wenn die Einnahmeseite stimmt.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem, Herr Ministerpräsident, wenn man mit dem viel zitierten Mann oder der Frau auf der Straße spricht, dann verstärkt sich bei uns Journalisten der Eindruck, dass die Menschen in Deutschland zunehmend das Gefühl haben, einer Regierung mit ihrer mächtigen Zweidrittelmehrheit im Bundestag geradezu ausgeliefert zu sein, die sie gnadenlos abzockt. Die Umfragewerte für die beiden Koalitionspartner sprechen ja auch eine deutliche Sprache.

Beck: Wenn man so große Reformschritte gehen muss, gewinnt man selten dafür mitten auf dem Weg Zustimmung. Das war zu allen Zeiten bei allen Regierungen so. Das ist auch in der Landespolitik so, das ist in der Kommunalpolitik, die ich als Bürgermeister erlebt habe, so gewesen. Insoweit, wenn man mitten in der Baustellenarbeit ist, dann wird selten das Ganze gesehen. Ich sage auch offen, und das ist überhaupt keine Journalismusschelte, aber es ist natürlich so, dass auch fast nur das Negative dargestellt wird, dass wir mit Steuerkampagnen seit Monaten zu tun haben. Die Leute nehmen das natürlich wahr. Denn es ist ja auch meinungsbildend, was bei den Leuten ankommt. Wer hat schon die Chance als Bürger, ein 30-seitiges Papier über die Reform zum Gesundheitswesen wirklich zu lesen.

Deutschlandradio Kultur: Gut, aber im Herbst wollen Sie eine Unternehmenssteuerreform machen. Die Wirtschaft soll noch einmal um fünf Milliarden entlastet werden. Wie wollen Sie da dem Bürger vermitteln, dass er gleichzeitig höhere Steuern, höhere Krankenkassenbeiträge et cetera bezahlen soll?

Beck: Ich hoffe und erwarte, dass es unterm Strich - nicht im ersten und zweiten Jahr, aber unterm Strich - auf Dauer höhere Einnahmen des Staates seitens der wirtschaftlichen Steuerleistungen gibt.

Deutschlandradio Kultur: Auf das Prinzip Hoffnung hatte ja Rot-Grün auch schon mal gesetzt …

Beck: Ja, aber wir müssen auch sehen, dass wir im Bereich der Körperschaftssteuer im europäischen Vergleich zu hoch liegen. Es hilft uns ja nichts, wenn massenweise Kapital aus der Republik abfließt. Wir können das in einer freien Gesellschaft ja nicht verhindern. Und wenn dann Unternehmen ihre Gestaltungsmöglichkeit so nutzen, dass sie die Gewinne im Ausland versteuern und die Verluste dann in ihre inländischen Muttergesellschaften oder Töchter verlagern, das ist international legitim, aber wir müssen etwas dagegen tun.

Deshalb ist es mir lieber, wenn wir knapp 30 Prozent nominale Steuerlast auch kriegen, als wenn wir von 47 Prozent eben nur einen Bruchteil einnehmen. Ich glaube, das muss man so sehen. Wir müssen auch den Menschen erklären, dass Unternehmenssteuer und die Besteuerung von Unternehmern oder Managern etwas ganz anderes ist. Und das, was aus dem Unternehmen rausgenommen wird zum privaten Konsum oder zur privaten Kapitalvermehrung wird ja auch durch die so genannten Reichensteuer höher besteuert als bisher. Aber das, was im Unternehmen bleibt, was reinvestiert wird, was die Arbeitsplätze von morgen schaffen muss, das muss international konkurrenzfähig sein, was die Steuersätze nominal angeht. Parallel dazu wollen und werden wir auch die so genannten Steuerschlupflöcher, Gestaltungsmöglichkeiten schließen, soweit es immer nur geht.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Beck: Gerne.